Über Lederhosen und Demokratie

Tracht darf alles

06:25 Minuten
Eine Frau mit einem traditionellen bayerischen Dirndl posiert für eine weitere Dame im Dirndl am Eröffnungswochenende des Oktoberfestes 2019 am 21. September 2019 in München. Dahinter steht ein Mädchen in Tracht mit Sonnenbrille.
lsbeth Wallnöfer meint, Tracht und Dirndl muss für alle zugänglich sein und soll, wie es ursprünglich mal war, dem Spiel der Kräfte der Moderne unterliegen. © Getty Images / Johannes Simon
Moderation: Liane von Billerbeck |
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Die Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer fordert eine Modernisierung der Trachtenkultur. Gar eine Demokratisierung. "Alles muss möglich sein", ist ihre Stilempfehlung. Und sie hat beobachtet, dass sogar die Grünen die Tracht schätzen gelernt haben.
Liane von Billerbeck: Mein Redakteur hat sich jetzt ein bisschen erschreckt, dass wir hier anfangen zu jodeln, aber das hat einen Grund, denn der Bundespräsident, der empfängt heute eine Delegation des Deutschen Trachtverbandes, und der Grund ist: Dieser Trachtenverband wurde vor 90 Jahren gegründet. Warum gerade die bayrisch-alpenländische Tracht so erfolgreich ist und welche politische Botschaft mit der Renaissance von Dirndl und Lederhosen einhergeht, darüber wollen wir reden mit Elsbeth Wallnöfer, österreichisch-südtiroler Volkskundlerin, Philosophin, Autorin. Sie hat auch zwei Bücher geschrieben, "Heimat. Ein Vorschlag zur Güte" und "Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten". Guten Morgen, Frau Wallnöfer!
Elsbeth Wallnöfer: Guten Morgen!
Billerbeck: Finden Sie es an der Zeit, dass der deutsche Bundespräsident die Trachtler empfängt?
Wallnöfer: Er ist ja nicht der erste Bundespräsident, der die Trachtler empfängt. Ich finde es an sich nicht schlimm, weil sie auch Teil der Gesellschaft sind, weil sie ein Teil der Gesellschaft sind, der diese Gesellschaft nach innen, im Kleinen ein bisschen zusammenhält.
Billerbeck: Nun könnte man ja sagen: Trachtenträger, Trachten tragen - das ist ein politisches Signal. Welches sehen Sie denn darin?
Wallnöfer: Also das stimmt natürlich. Trachten tragen ist ein politisches Signal. Das erkennen wir spätestens für die, die es sonst nicht so gut sehen, sieht man das mit der AfD. Die hat ihre Liebe zur Tracht entdeckt, die identitäre Bewegung hat ihre Liebe zur Tracht und Volkstanz entdeckt. Also die erleidet tatsächlich ethnopolitische Weihen vonseiten der Neuen Rechten.
Billerbeck: Das heißt, ein linker Bayer trägt keine Tracht?
Wallnöfer: Ein linker Bayer trägt keine Tracht.
Enthusiasten in bayerischer Tracht und Lederhosen schlafen am zweiten Tag des Oktoberfestes 2019 auf einem Hügel in der Nähe von Bierzelten.
Trachten tragen ist auch ein politisches Signal.© Getty Images / Sean Gallup
Wenn wir jetzt anfangen, linke Kräfte als, sagen wir mal, prinzipiell demokratisch gesinnte, kritische Kräfte zu deuten, dann muss ich dazusagen, dann gehören zu diesen linken oder demokratischen Kräften die Grünen, die interessanterweise gerade ihre Liebe zur Tracht und zur Heimat neu entdecken, weil man das den Rechten nicht mehr überlassen will. Das heißt: Tracht, Dirndl gehört zur Erzählung einer politischen Identitätspolitik, hat allerdings seine Gründe – und jetzt tut es weh – im Nationalsozialismus. Da gab es erstmals eine richtige politisch-programmatische Ansage, wie und zu welchem Zweck Tracht zu tragen ist.

Aus einem Zweck wird bei manchen ganz schnell ein Diktat

Billerbeck: Nun gucken wir ja immer nach Süden oder Südwesten, wenn es um Tracht geht, also vor allem nach Bayern, aber gilt das alles, was Sie da sagen, auch für Hessen, Niedersachsen und Trachten von der Nordseeküste?
Wallnöfer: Ja und nein. Also es gibt immer – das muss man dazusagen –, es gibt wirklich immer Trachtenpfleger, und sie sind wirklich Pfleger, die mit ihrer Tracht so tun, als wäre es ein krankes Haustier. Die nehmen diese Aufgabe, die sie sich da gestellt haben, Kultur zu erhalten, sehr ernst, aber dann gibt es natürlich immer auch die, die mit diesem Trachtenerhalt ein politisches Kulturdiktat aussprechen, die das Ganze zur Leitkultur erklären, die das gesellschaftspolitisch mit einem Zweck versehen, und dann wird es ganz schnell zu einem Diktat.
Billerbeck: Das heißt also, es wird ein bestimmtes Bild von Heimat und Brauchtum gezeichnet, das auch eine politische Konnotation hat?
Wallnöfer: Das ist von historischen Erzählungen ganz klar, so wie es gehandhabt wird, eine politische Konnotation. 1912 hat Deutschland zwar noch eine ganz dicht gesäte, allerdings kleingestreute Trachtenlandschaft, die – das muss man auch mal dazusagen – vom Aussehen sind das ja keine schönen Stücke, die sind voluminös, die sind plump, die sind nicht zum Vorteil der Frauenfigur, die sind nicht modisch.
Tracht ist eigentlich etwas Antimodernes. Das stand immer gegen die modernen Bestrebungen, von Gesellschaftserneuerungen. In Deutschland gab es 1912 tatsächlich noch recht dicht gesät, aber dem Untergang geweiht, wie man so schön sagte.

Als die Dirndl demokratisch wurden

Billerbeck: Inzwischen ist natürlich Tracht hochmodern. Es gibt superteure Luxusläden für Trachten, für Dirndl. Folgern Sie daraus, wenn ich Ihnen zuhöre, dass man Oktoberfest, bayrische Hochzeiten wieder dirndlfrei machen sollte? Ich höre schon den Aufschrei aus Bayern.
Wallnöfer: Nein, das muss man nicht. Wie uns die Trachtler gezeigt haben, die erste Zeit, als man Plastikdirndl anbot, also nicht teure seidene Stoffe, keine teuren Wollröcke, als der Dirndl quasi demokratisch geworden ist, nämlich bei Tchibo und bei Hofer beziehungsweise Aldi zu erwerben, da gab es zunächst einen Aufschrei der Puristen. Ich sage, das ist eine Form der Demokratisierung. Alles muss möglich sein. Der Unterschied zu den Trachtlern, die der Präsident heute empfängt, sind die, die dann aufschreien, wenn etwas nicht ganz korrekt ist, die sagen, man darf keinen Schmuck dazu oder nur bestimmten Schmuck, keine Uhr, keine Stiletto, keine Stöckelschuhe, das geht gar nicht. Also Tracht und Dirndl muss für alle zugänglich sein und soll, wie es ursprünglich mal war, dem Spiel der Moderne, dem Spiel der Kräfte der Moderne unterliegen. Damit kann es auch modisch werden. Wir haben auch ein Beispiel dazu: Dior gegen die Frauen aus Bihor in Rumänien. Da gab es jüngst einen Kampf, dass die Haute Couture anfängt, sich an der Volkskultur zu vergreifen, und dann kommen die Puristen und sagen, das darf man nicht. Aber natürlich, alles darf man. Mode lässt alles zu.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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