Übereifer der Katalanen

Es muss kein Nachteil sein, wenn man eine sich über 200 Seiten erstreckende Romanhandlung auf einen einzigen Satz zusammenschnurren lassen kann. Bei Juan Marsés komischem Kleinod "Der zweisprachige Liebhaber" ist dies der Fall.
Ein Mann aus armen Verhältnissen, einst verheiratet mit einer begüterten Dame, der er hoffnungslos verfallen ist, kommt nicht über die Trennung hinweg und versucht sie mit allen möglichen Tricks zurückzuerobern – mit Kniffen, die ihn zusehends selbst in Verwirrung stürzen.

Barcelona 1985: Zehn Jahre ist es, her, dass Joan Marés von seiner aus Frau Norma Valentí i Soley verlassen wurde, und noch immer trauert er ihr hinterher. Immerhin hat sie ihm damals ihre Wohnung überlassen. Die befindet sich in einem architektonischen Wahrzeichen Barcelonas: im sogenannten "Walden 7", dem futuristischen Appartementgebäude von Ricardo Bofill aus den 70ern, dessen Fassade allerdings bedenklich bröckelt – nicht selten segeln Kacheln von den Wänden des hoch aufschießenden wabenartigen Baus. Ein sinnfälliges Bild für die Verfasstheit seines Bewohners, dessen Persönlichkeit sich zusehends auflöst.

Joan, 52, ist ein "vor Liebe Verrückter", der von Norma, 38, nicht loskommt. Völlig verzweifelt schlägt sich der Sohn einer abgetakelten Opernsängerin und eines Magiers als bettelnder Straßenmusikant auf den Ramblas durch und betrinkt sich. Bis er auf die Idee kommt, in die Haut eines anderen zu schlüpfen: in das Gewand eines "charnego", eines nach Katalonien Zugezogenen. Oft hat ihn seine Ex-Frau mit solchen "charnegos", mit Taxifahrern, Kellnern oder Schuhputzern betrogen. Auf die katalanische Patriotin Norma, die als Soziolinguistin in der Landesregierung mit einer "Katalanisierungskampagne" für die Verbreitung ihrer von Franco unterdrückten Muttersprache kämpft, wirken diese Männer gerade ihrer nicht-katalanischen Herkunft wegen sexuell anziehend.

Also klebt sich Joan Koteletten an, setzt eine Perücke auf und treibt das Verkleidungsspiel so weit, sich auch noch eine Augenklappe umzubinden, um sich endgültig das fesch-verwegene Aussehen eines "charnego" zu verleihen. Er ändert Stimme und Gang. Joan ist ein perfekter "Versteller". Er geht ganz in seiner Rolle als schäbig-charmanter Verführer auf – soweit, dass er sich darin fast verliert. Seine Persönlichkeit löst sich von Tag zu Tag mehr auf. Der zweisprachige Liebhaber weiß kaum mehr, wer er ist.

Marsés Roman bietet eine unterhaltsame Geschichte, die auf ironische Weise ein ernstes Thema spiegelt – den Übereifer jener Katalanen, die "das heilige Feuer der nationalen Sprache und Identität am Leben zu erhalten trachten". Dass das Buch einiges mit den Erfahrungen seines Verfassers zu tun hat, merkt man schon an der Namensähnlichkeit von Autor und Hauptfigur Juan Marsé – Joan Marés. Nimmt man dann noch hinzu, dass der Schriftsteller ursprünglich Juan Faneca hieß, welchen Namen sich Marsés Anti-Held im Roman zur Tarnung zulegt, so ahnt man, wie viel vom preisgekrönten heute 74-jährigen spanischen Literaten in diesem Werk steckt.


Besprochen von Knut Cordsen

Juan Marsé: Der zweisprachige Liebhaber
Revidierte Übersetzung aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011
204 Seiten, 10,90 Euro