Überflüssiger Pillencocktail
Jahrzehntelang glaubten viele Menschen, sie könnten mit ein paar Tabletten Krankheit und Alter ein Schnippchen schlagen. Sie nahmen Mittel gegen die so genannten freien Radikale. Nun plötzlich gilt es als blühender Unsinn, dass sich damit Krebs, Alzheimer oder Arterienverkalkung verhindern ließen.
"Oxidativer Stress gilt als Ursache einer ganzen Reihe von Krankheiten". So beginnt eine Pressemeldung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. In der Meldung heißt es weiter: "Krebs, Alzheimer, Arterienverkalkung und sogar das Altern selbst – die Liste der Krankheiten, an deren Entstehung oxidativer Stress beteiligt sein soll, ist lang." Als Ursache dieses sogenannten "oxidativen Stresses" galten bisher sogenannte "freie Radikale", also aggressive Substanzen, die angeblich alles schädigen, was sich ihnen in den Weg stellt. Dagegen sollten "Radikalfänger" in Form von vitaminreicher Kost und teuren Nahrungsergänzungsmitteln Krankheiten aller Art verscheuchen.
Nun hat sich bei genaueren Untersuchungen der Heidelberger Krebsforscher gezeigt, dass all die schönen Theorien und auch Messungen, die bisher die Gefährlichkeit der "freien Radikale" belegen sollten, einfach nur blühender Unsinn waren. Sie sagen, um mit den Heidelbergern zu sprechen, rein gar "nichts darüber aus, ob die Zelle unter oxidativem Stress leidet oder nicht". Der Fehler: Man hatte vor der Messung die Zellen zerstört. Das ist, wenn man so will, der Oberstress. Jetzt wurden erstmals intakte Zellen untersucht. Und siehe da: Nun ist das Gegenteil wahr. Radikalfänger – oder fachsprachlich Antioxidantien - bremsen gerade nicht die Bildung der Radikale im Körper.
Was steckt dahinter? Ein sogenanntes freies Radikal, das zum Beispiel durch UV-Strahlung in der Haut entstehen könnte, hat allenfalls die Lebensdauer eines Augenblicks. Die Antioxidantien im Blut werden davon nie etwas erfahren, noch haben sie die Möglichkeit aus eigener Kraft blitzartig den Zielort zu erreichen, um den Bösewicht zu stellen und unschädlich zu machen. Eine Zelle kann nie und nimmer dulden, dass irgendwelche Gesundheitsstoffe aus Himbeeren oder Vitaminpillen einfach so hereinspazieren und dann gute Werke tun. Das wäre viel zu riskant.
Zu allem Überfluss produziert der Körper selbst Radikale, sie sind für ihn lebenswichtig und dürfen um Himmels willen nicht irgendwelchen Radikalfängern zum Opfer fallen. Unser Immunsystem tötet mit einer gezielten Bildung aggressiver Radikale gefährliche Krankheitserreger. Wer also mit antioxidativen Nahrungsergänzungsmitteln sein Leben verlängern will, macht vor allem den Krankheitserregern in seinem Körper eine große Freude.
Inzwischen kennt man weitere körpereigene Radikale wie Kohlenmonoxid oder Stickstoffmonoxid. Die Fachwelt reagierte anfangs ziemlich skeptisch. Denn bisher waren beide Gase vor allem als Gift gefürchtet. Namentlich Kohleöfen verströmten das geruchsneutrale Kohlenmonoxid. Früher führte das zu zahlreichen Vergiftungen und Todesfällen. Kaum jemand konnte sich deshalb vorstellen, dass der Körper diese hochgiftigen Substanzen gezielt selbst herstellt und – wie sich jetzt zeigt - ihnen noch dazu in Form eines Radikals zentrale Aufgaben zur Regulation der Zelle überträgt. Ob lebenswichtig oder tödlich ist oft eine Frage der Dosis und des Ortes, an dem diese Stoffe wirken.
Der größte Schocker für die Gesundheitsgläubigen dürfte folgender Befund des Krebsforschungszentrums sein: Die Lebenserwartung menschlicher Zellen war umso höher, je mehr Radikale die Zellen erzeugten. Mit diesem Resultat haben die Heidelberger Forscher ein Vierteljahrhundert Ernährungspropaganda im Orkus versenkt. Denn auf diese Radikalfänger-Theorie stützte sich in Deutschland auch die offizielle Ernährungsberatung, damit wurde vor allem die Empfehlung begründet, viel Obst und Gemüse zu essen. Glücklicherweise ist unser Körper in der Lage die meisten pflanzlichen Radikalfänger effektiv zu entgiften, bevor sie Schaden anrichten können. Mahlzeit!
Literatur:
Seltmann S: Sicherheitsverwahrung für Oxidantien. Dkfz, Pressemeldung 17. Dezember 2012: Nr. 66
Albrecht SC et al: In vivo mapping of hydrogen peroxide and oxidized glutathione reveals chemical and regional specifity of redox homeostasis. Cell Metabolism 2011; 14: 819-829
Anon: Oxidativer Stress – im Wesentlichen nur ein Laborbefund? arznei-telegramm 2013; 44: 15
Wegiel B et al: The social network of carbon monoxide in medicine. Trends in Molecular Medicine 2013; 19: 3-11
Anon: Von freien Radikalen und oxidativem Stress: Das ;Märchen vom Schutz durch Nahrungsergänzung. Gute Pillen – Schlechte Pillen 2013; (1) 12-13
Heyden S: Das Ende der Supplementierung mit antioxidativen Vitaminen. Aktuelle Ernährungsmedizin 2003; 28: 113-120
Bjelakovic G et al: Antioxidant supplements for prevention of gastrointestinal cancers: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2004; 364: 1219-1228
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.: Gemüse und Obst - Multitalente in Sachen Gesundheitsschutz. Sekundäre Pflanzenstoffe haben es in sich. DGE-aktuell 07/2005
Schelosky S: Diabetes mellitus und Neurodegeneration. Gemeinsame Ursache: Freie Radikale. DIfE-Pressemitteilung 03/03
Nun hat sich bei genaueren Untersuchungen der Heidelberger Krebsforscher gezeigt, dass all die schönen Theorien und auch Messungen, die bisher die Gefährlichkeit der "freien Radikale" belegen sollten, einfach nur blühender Unsinn waren. Sie sagen, um mit den Heidelbergern zu sprechen, rein gar "nichts darüber aus, ob die Zelle unter oxidativem Stress leidet oder nicht". Der Fehler: Man hatte vor der Messung die Zellen zerstört. Das ist, wenn man so will, der Oberstress. Jetzt wurden erstmals intakte Zellen untersucht. Und siehe da: Nun ist das Gegenteil wahr. Radikalfänger – oder fachsprachlich Antioxidantien - bremsen gerade nicht die Bildung der Radikale im Körper.
Was steckt dahinter? Ein sogenanntes freies Radikal, das zum Beispiel durch UV-Strahlung in der Haut entstehen könnte, hat allenfalls die Lebensdauer eines Augenblicks. Die Antioxidantien im Blut werden davon nie etwas erfahren, noch haben sie die Möglichkeit aus eigener Kraft blitzartig den Zielort zu erreichen, um den Bösewicht zu stellen und unschädlich zu machen. Eine Zelle kann nie und nimmer dulden, dass irgendwelche Gesundheitsstoffe aus Himbeeren oder Vitaminpillen einfach so hereinspazieren und dann gute Werke tun. Das wäre viel zu riskant.
Zu allem Überfluss produziert der Körper selbst Radikale, sie sind für ihn lebenswichtig und dürfen um Himmels willen nicht irgendwelchen Radikalfängern zum Opfer fallen. Unser Immunsystem tötet mit einer gezielten Bildung aggressiver Radikale gefährliche Krankheitserreger. Wer also mit antioxidativen Nahrungsergänzungsmitteln sein Leben verlängern will, macht vor allem den Krankheitserregern in seinem Körper eine große Freude.
Inzwischen kennt man weitere körpereigene Radikale wie Kohlenmonoxid oder Stickstoffmonoxid. Die Fachwelt reagierte anfangs ziemlich skeptisch. Denn bisher waren beide Gase vor allem als Gift gefürchtet. Namentlich Kohleöfen verströmten das geruchsneutrale Kohlenmonoxid. Früher führte das zu zahlreichen Vergiftungen und Todesfällen. Kaum jemand konnte sich deshalb vorstellen, dass der Körper diese hochgiftigen Substanzen gezielt selbst herstellt und – wie sich jetzt zeigt - ihnen noch dazu in Form eines Radikals zentrale Aufgaben zur Regulation der Zelle überträgt. Ob lebenswichtig oder tödlich ist oft eine Frage der Dosis und des Ortes, an dem diese Stoffe wirken.
Der größte Schocker für die Gesundheitsgläubigen dürfte folgender Befund des Krebsforschungszentrums sein: Die Lebenserwartung menschlicher Zellen war umso höher, je mehr Radikale die Zellen erzeugten. Mit diesem Resultat haben die Heidelberger Forscher ein Vierteljahrhundert Ernährungspropaganda im Orkus versenkt. Denn auf diese Radikalfänger-Theorie stützte sich in Deutschland auch die offizielle Ernährungsberatung, damit wurde vor allem die Empfehlung begründet, viel Obst und Gemüse zu essen. Glücklicherweise ist unser Körper in der Lage die meisten pflanzlichen Radikalfänger effektiv zu entgiften, bevor sie Schaden anrichten können. Mahlzeit!
Literatur:
Seltmann S: Sicherheitsverwahrung für Oxidantien. Dkfz, Pressemeldung 17. Dezember 2012: Nr. 66
Albrecht SC et al: In vivo mapping of hydrogen peroxide and oxidized glutathione reveals chemical and regional specifity of redox homeostasis. Cell Metabolism 2011; 14: 819-829
Anon: Oxidativer Stress – im Wesentlichen nur ein Laborbefund? arznei-telegramm 2013; 44: 15
Wegiel B et al: The social network of carbon monoxide in medicine. Trends in Molecular Medicine 2013; 19: 3-11
Anon: Von freien Radikalen und oxidativem Stress: Das ;Märchen vom Schutz durch Nahrungsergänzung. Gute Pillen – Schlechte Pillen 2013; (1) 12-13
Heyden S: Das Ende der Supplementierung mit antioxidativen Vitaminen. Aktuelle Ernährungsmedizin 2003; 28: 113-120
Bjelakovic G et al: Antioxidant supplements for prevention of gastrointestinal cancers: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2004; 364: 1219-1228
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.: Gemüse und Obst - Multitalente in Sachen Gesundheitsschutz. Sekundäre Pflanzenstoffe haben es in sich. DGE-aktuell 07/2005
Schelosky S: Diabetes mellitus und Neurodegeneration. Gemeinsame Ursache: Freie Radikale. DIfE-Pressemitteilung 03/03