Überforderung als Prinzip
Für Joseph Beuys gehörte die Überforderung von Publikum, Kuratoren und Institutionen zum Programm. Darunter tat er es nicht, um damit auch immer wieder zu zeigen, dass die Kunstpraxis im hergebrachten Sinn zu Ende war. Vor 20 Jahren starb Beuys, einer der bedeutendsten Künstler der Moderne.
"Wir wollen Sonne statt Reagan, ohne Rüstung leben, ob West oder Ost, auf Raketen muss Rost."
Kaum zu glauben, aber im Jahr 1982 präsentierte sich Joseph Beuys mit diesem Anti-Reagan-Song als mikrofonschwingender Herold der Friedensbewegung. Der Künstler trat den Grünen bei und beabsichtigte - in letzter Konsequenz seines erweiterten Kunstbegriffs - Politiker zu werden. Bei der Bundestagswahl von 1983 allerdings verweigerten die Grünen ihm den sicheren Platz auf der nordrhein-westfälischen Landesliste. Es sollte dann also doch keine Rede von Beuys im Deutschen Bundestag geben.
Kurz zuvor, zur siebten documenta von 1982, hatte der Aktionist und Agitator seinen Austritt aus der Kunst erklärt. Seine Aktion der "7000 Eichen", die nach und nach in Kassel zusammen mit jeweils einer Basaltstele gepflanzt werden sollten, sah er schon in anderen Dimensionen. "Stadtverwaldung" nannte er dieses erst nach seinem Tod zum Abschluss gekommene Projekt. Es war als utopische Zeitmaschine gedacht, als Renaturierung einer von den Wunden des Kriegs übersäten Stadt und Gesellschaft.
Joseph Beuys, der 1921 geborene Kaufmannssohn aus Kleve am Niederrhein, war als Künstler ein Spätberufener. Als Meisterschüler von Ewald Matarés an der Kunstakademie von Düsseldorf hatte er in der Kunstdiaspora der Nachkriegszeit begonnen, das Spektrum des künstlerischen Ausdrucks in bis dahin unbekannter Weise zu erweitern. Der mit den Mystikern des Abendlandes bestens vertraute Beuys arbeitete mit solchen Materialien, deren organische Qualitäten mit metaphorischer Bedeutung aufgeladen werden konnten: mit Fett und Filz, mit Kupfer, Honig und Basalt. "Aus Steinen werdet Ihr Honig gewinnen", hatte Bernard von Clairvaux, der Gründer des Zisterzienserordens, gesagt und damit die Kraft des Glaubens charakterisiert, das Ummögliche möglich zu machen. In einem durchaus vergleichbaren Sinn verstand Joseph Beuys seine Kunst. Bei der documenta von 1968 verteidigte er in heftiger Diskussion mit protestierenden Studenten seine Installation mit Filzmaterialien und Kupferstangen als Versuch, das gesellschaftlich Bestehende zu überwinden:
"Die Kunst, die einen Wert dagegen setzt, gegen das Bestehende, ist eigentlich in dem Sinne noch nicht da. Ich glaube, dass meine Arbeit nichts anderes beabsichtigt, als diese Verhältnisse eben im richtigen Sinne zu verändern."
Rettung, Heilung, Wärme, Energieaustausch, Ermächtigung des Individuums zum kreativen Prinzip – das waren Vorstellungen, die Beuys mit seiner Kunst verband. Und dazu musste die Kunst ihrerseits gewohnte Grenzen überschreiten: 1976, auf der Biennale von Venedig, ließ Beuys für seine Arbeit "Straßenbahnhaltestelle" ein Loch in den Boden des deutschen Pavillons bohren, um Verbindung zum Wasser der Lagune mit seinen Gerüchen und Geräuschen aufzunehmen. Auf der documenta von 1977 durchzog ein weit verzweigtes Schlauchsystem die Kunsträume, durch das flüssiger Honig gepumpt wurde. Bei der folgenden Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum ließ Beuys die Wand des geheiligten Musentempels durchbrechen, um seine sperrigen Objekte ins Innere zu bringen. Für Beuys gehörte die ständige Überforderung von Publikum, Kuratoren und Institutionen zum Programm, darunter tat er es nicht. Auch, um immer wieder zu zeigen, dass die Kunstpraxis im hergebrachten Sinn zu Ende war.
"Die Kunst kann dieses und jenes Gesicht zeigen. Sie kann ihr vergangenes, nicht mehr wirksames Gesicht, der zwar unerhört großen Signale, zeigen, aber die Kunst kann auch ihr Menschenantlitz zeigen, das heißt, ihren anthropologischen Charakter zeigen, das heißt, da liegt die Schwelle, wo etwas ganz Neues geboren wird, aus dem Menschen heraus, was man anthropologische Kunst, soziale Kunst nennen könnte."
20 Jahre ist Joseph Beuys am heutigen Tag nun tot. Im Hamburger Bahnhof Berlin, im Lehnbachhaus München, in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, im Landesmuseum Darmstadt oder auf Schloss Moyland gilt er als Hausheiliger. Das Schicksal der Musealisierung ist auch an ihm nicht vorüber gegangen. Nahezu 500 Großausstellungen gab es nach seinem Tod, doch keiner ist es gelungen, Beuys wieder zu dem zu machen, was er war: zur Zumutung für seine Zeit, zur Verkörperung der Überschreitung.
Kaum zu glauben, aber im Jahr 1982 präsentierte sich Joseph Beuys mit diesem Anti-Reagan-Song als mikrofonschwingender Herold der Friedensbewegung. Der Künstler trat den Grünen bei und beabsichtigte - in letzter Konsequenz seines erweiterten Kunstbegriffs - Politiker zu werden. Bei der Bundestagswahl von 1983 allerdings verweigerten die Grünen ihm den sicheren Platz auf der nordrhein-westfälischen Landesliste. Es sollte dann also doch keine Rede von Beuys im Deutschen Bundestag geben.
Kurz zuvor, zur siebten documenta von 1982, hatte der Aktionist und Agitator seinen Austritt aus der Kunst erklärt. Seine Aktion der "7000 Eichen", die nach und nach in Kassel zusammen mit jeweils einer Basaltstele gepflanzt werden sollten, sah er schon in anderen Dimensionen. "Stadtverwaldung" nannte er dieses erst nach seinem Tod zum Abschluss gekommene Projekt. Es war als utopische Zeitmaschine gedacht, als Renaturierung einer von den Wunden des Kriegs übersäten Stadt und Gesellschaft.
Joseph Beuys, der 1921 geborene Kaufmannssohn aus Kleve am Niederrhein, war als Künstler ein Spätberufener. Als Meisterschüler von Ewald Matarés an der Kunstakademie von Düsseldorf hatte er in der Kunstdiaspora der Nachkriegszeit begonnen, das Spektrum des künstlerischen Ausdrucks in bis dahin unbekannter Weise zu erweitern. Der mit den Mystikern des Abendlandes bestens vertraute Beuys arbeitete mit solchen Materialien, deren organische Qualitäten mit metaphorischer Bedeutung aufgeladen werden konnten: mit Fett und Filz, mit Kupfer, Honig und Basalt. "Aus Steinen werdet Ihr Honig gewinnen", hatte Bernard von Clairvaux, der Gründer des Zisterzienserordens, gesagt und damit die Kraft des Glaubens charakterisiert, das Ummögliche möglich zu machen. In einem durchaus vergleichbaren Sinn verstand Joseph Beuys seine Kunst. Bei der documenta von 1968 verteidigte er in heftiger Diskussion mit protestierenden Studenten seine Installation mit Filzmaterialien und Kupferstangen als Versuch, das gesellschaftlich Bestehende zu überwinden:
"Die Kunst, die einen Wert dagegen setzt, gegen das Bestehende, ist eigentlich in dem Sinne noch nicht da. Ich glaube, dass meine Arbeit nichts anderes beabsichtigt, als diese Verhältnisse eben im richtigen Sinne zu verändern."
Rettung, Heilung, Wärme, Energieaustausch, Ermächtigung des Individuums zum kreativen Prinzip – das waren Vorstellungen, die Beuys mit seiner Kunst verband. Und dazu musste die Kunst ihrerseits gewohnte Grenzen überschreiten: 1976, auf der Biennale von Venedig, ließ Beuys für seine Arbeit "Straßenbahnhaltestelle" ein Loch in den Boden des deutschen Pavillons bohren, um Verbindung zum Wasser der Lagune mit seinen Gerüchen und Geräuschen aufzunehmen. Auf der documenta von 1977 durchzog ein weit verzweigtes Schlauchsystem die Kunsträume, durch das flüssiger Honig gepumpt wurde. Bei der folgenden Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum ließ Beuys die Wand des geheiligten Musentempels durchbrechen, um seine sperrigen Objekte ins Innere zu bringen. Für Beuys gehörte die ständige Überforderung von Publikum, Kuratoren und Institutionen zum Programm, darunter tat er es nicht. Auch, um immer wieder zu zeigen, dass die Kunstpraxis im hergebrachten Sinn zu Ende war.
"Die Kunst kann dieses und jenes Gesicht zeigen. Sie kann ihr vergangenes, nicht mehr wirksames Gesicht, der zwar unerhört großen Signale, zeigen, aber die Kunst kann auch ihr Menschenantlitz zeigen, das heißt, ihren anthropologischen Charakter zeigen, das heißt, da liegt die Schwelle, wo etwas ganz Neues geboren wird, aus dem Menschen heraus, was man anthropologische Kunst, soziale Kunst nennen könnte."
20 Jahre ist Joseph Beuys am heutigen Tag nun tot. Im Hamburger Bahnhof Berlin, im Lehnbachhaus München, in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, im Landesmuseum Darmstadt oder auf Schloss Moyland gilt er als Hausheiliger. Das Schicksal der Musealisierung ist auch an ihm nicht vorüber gegangen. Nahezu 500 Großausstellungen gab es nach seinem Tod, doch keiner ist es gelungen, Beuys wieder zu dem zu machen, was er war: zur Zumutung für seine Zeit, zur Verkörperung der Überschreitung.