Übergangsszenarien

Kein Wachstum ist auch keine Lösung

Ein Warnschild mit der Aufschrift "Vorsicht! Abbrucharbeiten" auf einer Baustelle in Wiesbaden.
Unendliches Wachstum gibt es nicht. Aber ohne Wachstum funktioniert die Wirtschaft nicht. Was tun? © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Ulrike Herrmann |
Das Ende des Wachstums wird oft beschworen. Postwachstumstheoretiker ersinnen eine Gesellschaft, die mit weniger auskommt und vielleicht sogar deshalb eine bessere und gerechtere ist. Es könnte auch anders kommen, denn der Übergang dürfte kein sanfter werden.
Der Kapitalismus ist zum Untergang verdammt. Er benötigt Wachstum, aber in einer endlichen Welt kann es unendliches Wachstum nicht geben. Viele Kapitalismuskritiker frohlocken, sobald sie diese Prognose hören, doch darf man sich das Ende nicht friedlich vorstellen. Der Kapitalismus wird chaotisch und brutal zusammenbrechen – nach allem, was man bisher weiß.
Dieser Pessimismus mag zunächst übertrieben wirken. Schließlich fehlt es nicht an Konzepten, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, die den Kapitalismus überwinden soll. Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Recycling, langlebige Waren, öffentlicher Verkehr, weniger Fleisch essen, biologische Landwirtschaft und regionale Produkte.

Fehlende Brücke vom Kapitalismus zur Postwachstumsökonomie

Doch das zentrale Problem ist leider ungelöst: Es fehlt die Brücke, die vom Kapitalismus in diese neue "Postwachstumsökonomie" führen soll. Über den Prozess der Transformation wird kaum nachgedacht. Der Kapitalismus fährt gegen eine Wand, aber niemand erforscht den Bremsweg.
Die Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft basieren immer auf der Idee, Arbeit und Einkommen zu reduzieren. Doch der Kapitalismus ist keine Badewanne, bei der man die Hälfte des Wassers einfach ablassen kann. Er ist kein stabiles System, das zum Gleichgewicht neigt und verlässliche Einkommen produziert, die man ruhig senken kann.
Stattdessen ist der Kapitalismus ein permanenter Prozess. Sobald es kein Wachstum gibt, droht chaotisches Schrumpfen.

Eine Abwärtsspirale würde einsetzen

Wie dieser Strudel funktioniert, hat der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger beschrieben. Ihn trieb die Frage um, ob der Kapitalismus auf das zerstörerische Wachstum verzichten könne. Seine Antwort lautet: Nein. Denn die "Investitionsketten" würden reißen, wie er es technisch ausdrückt.
Übersetzt: Firmen investieren nur, wenn sie Gewinne erwarten. Gesamtwirtschaftlich sind diese Gewinne aber identisch mit Wachstum. Ohne Wachstum müssen die Unternehmen also Verluste fürchten. Sobald aber Profite ausbleiben, investieren die Unternehmen nicht mehr, und ohne Investitionen bricht die Wirtschaft zusammen.
Es würde eine unkontrollierbare Abwärtsspirale einsetzen: Arbeitsplätze gehen verloren, die Nachfrage sinkt, die Produktion schrumpft, noch mehr Stellen verschwinden.

Viele Nischen ergeben kein Ganzes

Nicht wenigen Wachstumskritikern ist diese systemische Sicht suspekt, die die Wirtschaft von "oben" betrachtet. Sie würden lieber von "unten" beginnen, indem jeder Einzelne seinen Konsum, aber auch seine Arbeitszusammenhänge verändert. Sie stellen sich die Wirtschaft als eine Summe vor, bei der viele kleine Nischen am Ende ein neues Ganzes ergeben.
Doch damit machen die Wachstumskritiker den gleichen Fehler wie ihre neoliberalen Gegner: Sie glauben, dass die Wirtschaft nur eine Summe aller Unternehmen sei. Sie verwechseln Betriebs- mit Volkswirtschaft und verstehen nicht, dass der Kapitalismus ein Prozess ist, der Einkommen nur erzeugen kann, wenn es die Aussicht auf Wachstum gibt.
Als Ausweg reicht es auch nicht, auf regenerative Energien umzustellen. Denn weite Bereiche der Wirtschaft lassen sich nicht mit Ökostrom betreiben. Das Elektroauto befindet sich noch immer im Versuchsstadium, und auch Passagierflugzeuge heben nur mit Kerosin ab.

Es bleibt nur ein pragmatisches Trotzdem

Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt in die ökologische Katastrophe. Es bleibt nur ein pragmatisches Trotzdem: trotzdem wenig fliegen, trotzdem Abfall vermeiden, trotzdem auf Wind und Sonne setzen, trotzdem biologische Landwirtschaft betreiben.
Aber man sollte sich nicht einbilden, dass dies "grünes" Wachstum sei. Wie man den Kapitalismus transformieren kann, ohne dass er chaotisch zusammenbricht – dies muss noch erforscht werden.

Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung taz, ausgebildete Bankkauffrau, Historikerin und Autorin zahlreicher Sachbücher. In diesen Tagen erscheint ihr neuer Titel "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung".

Die Wirtschaftskorrespondentin der "taz" Ulrike Herrmann, aufgenommen am 14.03.2010 in Köln
© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
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