Übergewinnsteuer

Moralisch verständlich, ökonomisch riskant

Goldene Zapfpistole auf Asphalt
Tanken ist wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine gerade ein großes Geschäft: Was tun mit den Gewinnen der Mineralökonzerne? © Getty Images / Steven Puetzer
Ein Standpunkt von Dominik Enste · 16.06.2022
Der Krieg in der Ukraine hat viele Opfer, aber auch Profiteure. Nun wird über eine Extrasteuer auf hohe Gewinne von Rüstungsfirmen oder Mineralölkonzernen gestritten. Der Wirtschaftsethiker Dominik Enste warnt vor den Risiken einer solchen Maßnahme.
Wer von Krisen oder Katastrophen profitiert, wird kritisiert oder gar sozial geächtet. Für moralische Empörung sorgen derzeit die Benzinpreise. Die Milliardengewinne der Mineralölkonzerne sind leistungslose Gewinne und deshalb moralisch nur schwer zu ertragen.
Auf den ersten Blick scheint die Zusatzsteuer auch keine negativen ökonomischen Anreize zu entwickeln: Wenn ein Unternehmen ohne eigene Anstrengung nur durch die Krise zusätzliche Gewinne erzielt, mindert die Zusatzsteuer nicht die Investitionsbereitschaft. Nur – so könnte man meinen – die Gier wird gestoppt.

Welcher Gewinn ist gut, welcher böse?

Krisengewinnler gibt es häufig: Während meiner Rundreise auf Hawaii bedrohte vor einigen Jahren ein Hurrikan die Inseln. In der Folge wurden Wasserflaschen in den Supermärkten knapp. Einige Märkte verdreifachten über Nacht die Preise und profitierten so kurzfristig von der Gefahr – sorgten aber zugleich für schnellen Nachschub an Wasser für die Insulaner, weil sie so mehr Gewinn machen konnten.
In der Corona-Krise waren plötzlich FFP2-Masken und Desinfektionsmittel sehr gefragt und entsprechend teuer, wodurch Hersteller am Anfang sehr hohe Gewinne erzielten, aber zugleich die Produktion ausgeweitet wurde.
Solaranlagen- und Wärmepumpenhersteller können in Folge des russischen Angriffskriegs ihre Preise deutlich erhöhen. Und das Handwerk hat mehr denn je „goldenen Boden“ und kann sich vor Aufträgen unter anderem beim Einbau dieser Pumpen kaum retten, auch wenn der Fachkräftemangel hier den Boom leider ausbremst.
Diese Beispiele zeigen: Wer diese Sondersteuer erheben will, muss entscheiden: Welche Gewinne sind gut und welche böse? Welche Branche darf hohe Gewinne erzielen, und welche nicht? Und ab wann ist ein Gewinn zu hoch?

Übergewinnsteuer hat wirtschaftliche Nebenwirkungen

Da sich die Moralphilosophen in den letzten 2500 Jahren nicht auf eine Formel einigen konnten, was als gut zu bezeichnen ist, wäre jede Festlegung willkürlich und damit auch rechtlich höchst fragwürdig. Und: Eine intuitiv moralische Maßnahme wie die Übergewinnsteuer hat wirtschaftliche Nebenwirkungen, auf die ich als Wirtschaftsethiker hinweisen muss.
Hohe Gewinne sind aus ökonomischer Sicht letztlich nur ein wichtiges Signal für besonders lohnenswerte Investitionen.
Entweder weil die Nachfrage das Angebot übersteigt und deshalb neue Anbieter in den Markt eintreten sollten. Zum Beispiel zur Ausweitung des Angebots von FFP2-Masken während der Corona-Pandemie.
Oder, weil ganz neue Bedarfe entstanden sind und neue Technologien hohe Gewinne versprechen. Wie zum Beispiel während der Corona-Pandemie, als (einige wenige) Unternehmen durch die Entwicklung neuer Impfstoffe gegen COVID-19 viel Geld verdienen konnten.

Aussicht auf Gewinn provoziert neue Investitionen

Voraussetzung für diese positive Anreizwirkung ist allerdings, dass die Märkte offen sind und Wettbewerb besteht. Dann bleibt die Aussicht auf hohe Gewinnmargen zeitlich eng begrenzt. Wenn der Markt in der Mineralölindustrie nicht wie gewünscht funktioniert, sollten die Wettbewerbsregeln dort angepasst und nicht neue Steuern eingeführt werden.
Mittelfristig wird die Machtposition der fossilen Brennstoffanbieter durch neue Anbieter von regenerativen Energien zerstört werden – und auch das ist eine Reaktion auf die hohen Gewinnmargen. Denn neue Technologien und alternative Wege rechnen sich, je höher die Öl- und Benzinpreise sind.
Mit der sozialen Marktwirtschaft gibt es in Deutschland seit über 70 Jahren eine bewährte Wirtschaftsordnung, die dank Marktwirtschaft und gutem Ordnungsrahmen zu hohem Wohlstand geführt hat. Soziale Härten werden nicht nur in Krisenzeiten ausglichen – zum Beispiel durch Kurzarbeitergeld und andere Sozialleistungen. Finanziert werden diese unter anderem durch die progressive Einkommenssteuer und eine Unternehmenssteuer von rund 30 Prozent – die natürlich auch für die Übergewinne fällig wird.
Mein Fazit ist deshalb: Nicht mehr staatliche, regulierende Eingriffe, sondern mehr Markt sind notwendig, um die beklagten Übergewinne durch Wettbewerb abzuschmelzen.

Dominik H. Enste ist Professor für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik an der TH Köln, Geschäftsführer der IW Akademie GmbH und Kompetenzfeldleiter im arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Er hat über 30 Bücher (u.a. „Glück für alle?“ – Eine interdisziplinäre Bilanz der Lebenszufriedenheit) und mehr als 100 Artikel zu wirtschaftsethischen und -psychologischen Themen wie Wirtschaftsethik, Vertrauen, Führung und Freiheit verfasst.

Dominik Enste posiert für ein Pressefoto
© IW Akademie
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