Überlastete Kinderarztpraxen
Der Kinderarztmangel sorgt dafür, dass Kinder in Praxen abgelehnt werden, nur Notfälle werden dann noch behandelt. Standesvertreter Axel Gerschlauer verlangt nun eine Reaktion der Politik. © picture alliance / dpa-tmn / Christin Klose
Der Mangel als Normalzustand
08:56 Minuten
Überall mangelt es an Ärzten. Für die Zukunft sieht Kinderarzt Axel Gerschlauer noch schwärzer. Er fordert schnelle Maßnahmen, um die negativen Folgen wenigstens ein bisschen zu begrenzen.
In der Not tritt deutlich hervor, was bis dahin verschwommen zu sehen war: Eine Erkenntnis aus der Corona-Pandemie ist, dass Deutschlands Gesundheitssystem in der Krise steckt. Es fehlt an Geld und vor allem an Personal.
Eklatanter Mangel an Kinderärzten
Kinderfacharzt Axel Gerschlauer macht darauf aufmerksam, dass diese Krise nicht nur Krankenhäuser betreffe, sondern darüber hinaus reiche: Auch Arztpraxen seien betroffen, und auch in seinem Bereich fehlten die Ärzte.
Einige Kinderarzt-Praxen mussten bereits Aufnahmestopps verhängen und können keine weiteren Kinder mehr versorgen, wie der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein erklärt.
In den Großstädten werde das Defizit noch ein wenig aufgefangen durch die Kliniken: "In der Peripherie aber sieht man schon den eklatanten Mangel", sagt Gerschlauer. In wenigen Jahren aber werde der auch die Großstädte erreichen.
"Es tut mir total Leid, aber ich kann keinen optimistischen Ausblick bieten, wie wir diesen Mangel auf die Reihe kriegen sollen", sagt Gerschlauer. Man habe gewarnt und gewarnt, jetzt sei die Katastrophe da. "Es wird in den nächsten Jahren weiter schlimmer werden – und der Mangel, der allen auf einmal auffällt, wird die neue Normalität sein."
Überlastung schon bei einer Infektionswelle
Aktuell herrsche mit der herbstlichen Infektionswelle eine saisonal sehr typische Situation, so der Arzt. Aber schon da sehe man, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen stoße. "Vor der Saison jetzt gerade haben wir Respekt und auch ein bisschen Angst", sagt Gerschlauer.
Zu den Sprechzeiten in seiner Bonner Praxis kämen gerade dreimal so viele Patienten wie eigentlich vorgesehen, schildert er die Situation. Er starte um halb neun am Morgen und verlasse die Praxis um halb acht am Abend.
Die offizielle Empfehlung der Landesärztekammern lautet angesichts der Lage, dass sich Patienten auf der Suche nach eine behandelnde Praxis an die Nothotline 116 117 wenden könnten, wie Gerschlauer erklärt, aber, fährt er fort: "Das ist auch nur Mangelverwaltung."
Mehr Studienplätze für Medizin
Seit Jahrzehnten hätten Gesundheitsexperten, Verbände und Ärzte an die Politik appelliert und gewarnt, doch passiert sei nichts, so der Ärztevertreter. "Es geht überhaupt nicht mehr: Wir haben einen massiven Kinder- und Jugendärztinnen-Mangel und der schlägt jetzt voll durch. Das hätte man vor 15 Jahren sehen können."
Eine der wichtigsten Ursachen sei, dass zu wenige Studentinnen und Studenten Medizin studieren. Der Numerus Clausus, der den Zugang zum Studium einschränke, könnte gestrichen werden, schlägt er als Sofortmaßnahme vor. Die Zahl der Studienplätze für Medizin müsse in den Ländern hochgesetzt werden, fordert der Ärztevertreter. Aber das koste Geld, deshalb sei das nicht gewollt.
Zudem müssten mehr Assistenzärzte auch in die Praxen kommen, um den Reiz daran zu erkennen. "Ich bin felsenfest überzeugt: Mein Beruf ist immer noch der beste der Welt, aber das muss man den Leuten erstmal zeigen."
Der Job müsse außerdem wieder attraktiver gemacht werden für Menschen, was die Work-Life-Balance angehe, und er müsse von bürokratischen Auflagen befreit werden, verlangt Gerschlauer.
(sru)