Überlebenskampf im Ghetto
Schwarze Dealer gegen weiße Cops: Richard Price beschreibt in diesem Roman die Konflikte in einer heruntergekommenen Sozialsiedlung. Das Ergebnis ist eine schnörkellose Milieustudie über das Dasein im Unterbauch der amerikanischen Großstadt.
Clockers werden die zumeist halbwüchsigen Kleindealer genannt, die in den Sozialsiedlungen des Dempsy County in New Jersey ihre Kundschaft rund um die Uhr mit Drogen versorgen. Schwarz sind sie allesamt, stammen aus kaputten Familien und wissen, dass sie keine Chance haben, jedenfalls nicht in diesem Leben. Denn das Dasein im Ghetto ist rau, von täglicher Gewalt und Polizeischikanen geprägt, und wer nicht selbst am Stoff zugrunde geht, läuft ständig Gefahr, im Gefängnis zu landen oder sich eine Kugel einzufangen. So wie Darryl Adams, einer der Unteroffiziere des Großdealers Rodney Little, der vor einem Schnellimbiss erschossen wird, weil er angeblich seinen Boss betrogen hat.
Umso tragischer findet es Detective Rocco Klein von der Mordkommission, als sich mit Victor Dunham ausgerechnet einer der wenigen redlichen Ghettobewohner zu der Tat bekennt. Klein nimmt ihm sein Geständnis denn auch nicht ab, weil er glaubt, dass er nur seinen Bruder, den polizeibekannten Dealer Strike decken will, einen weiteren Unteroffizier von Rodney Little. Mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln versucht er, Strike kleinzukriegen, ihn zu brechen.
Doch das Duell zwischen dem Polizisten und dem Dealer ist nur das Handlungsgerüst von "Clockers". Denn Richard Price hat mit diesem Werk keinen herkömmlichen Kriminal- oder Spannungsroman geschrieben, sondern eine Milieustudie über das Dasein im Unterbauch einer amerikanischen Großstadt, in der die Polizei wie eine Besatzungsmacht auftritt, mit der sich die Ghettobewohner einen steten Guerillakampf liefern. Man muss sich reinbeißen in dieses Buch mit seinen vielschichtigen Erzählebenen und seinem zahlreichen Personal, dem Elend und der Trostlosigkeit, die hier geschildert werden. Sympathieträger gibt es kaum, die Unterschiede zwischen Gut und Böse verschwimmen, die Handlung entwickelt sich zäh; Price geht es um das große Panorama, nicht um den knackigen Plot. Und dennoch knistert dieser Roman vor nervöser Spannung. Richard Price, in der Bronx aufgewachsen und berüchtigt als penibler Rechercheur, versteht es, schnörkellos und meisterhaft die Atmosphäre wiederzugeben, die den Überlebenskampf im Ghetto prägt. Und seine Dialoge klingen so wahrhaftig, lebensnah und authentisch, dass man regelrecht hineingesogen wird in diese Geschichte vom Überlebenskampf der Chancenlosen, ihrem Tricksen, Täuschen und gegenseitigen Belauern.
Jedenfalls im Original. In der deutschen Ausgabe kann man diese Poesie der Ghettosprache allenfalls erahnen. Natürlich ist es schwierig, wenn nicht fast unmöglich, den Slang der schwarzen Sozialsiedlungsbewohner wie auch der weißen Cops in deutsche Schriftsprache zu übertragen. Aber ob der Verlag gut beraten war, die aus dem Jahre 1992 stammende Übersetzung, als das Buch schon einmal unter dem gruseligen Titel "Söhne der Nacht" erschienen ist, unbearbeitet zu übernehmen, darf bezweifelt werden.
Besprochen von Georg Schmidt
Richard Price: Clockers
Übersetzt von Peter Torberg
S. Fischer Verlag
800 Seiten, 22,95 Euro
Umso tragischer findet es Detective Rocco Klein von der Mordkommission, als sich mit Victor Dunham ausgerechnet einer der wenigen redlichen Ghettobewohner zu der Tat bekennt. Klein nimmt ihm sein Geständnis denn auch nicht ab, weil er glaubt, dass er nur seinen Bruder, den polizeibekannten Dealer Strike decken will, einen weiteren Unteroffizier von Rodney Little. Mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln versucht er, Strike kleinzukriegen, ihn zu brechen.
Doch das Duell zwischen dem Polizisten und dem Dealer ist nur das Handlungsgerüst von "Clockers". Denn Richard Price hat mit diesem Werk keinen herkömmlichen Kriminal- oder Spannungsroman geschrieben, sondern eine Milieustudie über das Dasein im Unterbauch einer amerikanischen Großstadt, in der die Polizei wie eine Besatzungsmacht auftritt, mit der sich die Ghettobewohner einen steten Guerillakampf liefern. Man muss sich reinbeißen in dieses Buch mit seinen vielschichtigen Erzählebenen und seinem zahlreichen Personal, dem Elend und der Trostlosigkeit, die hier geschildert werden. Sympathieträger gibt es kaum, die Unterschiede zwischen Gut und Böse verschwimmen, die Handlung entwickelt sich zäh; Price geht es um das große Panorama, nicht um den knackigen Plot. Und dennoch knistert dieser Roman vor nervöser Spannung. Richard Price, in der Bronx aufgewachsen und berüchtigt als penibler Rechercheur, versteht es, schnörkellos und meisterhaft die Atmosphäre wiederzugeben, die den Überlebenskampf im Ghetto prägt. Und seine Dialoge klingen so wahrhaftig, lebensnah und authentisch, dass man regelrecht hineingesogen wird in diese Geschichte vom Überlebenskampf der Chancenlosen, ihrem Tricksen, Täuschen und gegenseitigen Belauern.
Jedenfalls im Original. In der deutschen Ausgabe kann man diese Poesie der Ghettosprache allenfalls erahnen. Natürlich ist es schwierig, wenn nicht fast unmöglich, den Slang der schwarzen Sozialsiedlungsbewohner wie auch der weißen Cops in deutsche Schriftsprache zu übertragen. Aber ob der Verlag gut beraten war, die aus dem Jahre 1992 stammende Übersetzung, als das Buch schon einmal unter dem gruseligen Titel "Söhne der Nacht" erschienen ist, unbearbeitet zu übernehmen, darf bezweifelt werden.
Besprochen von Georg Schmidt
Richard Price: Clockers
Übersetzt von Peter Torberg
S. Fischer Verlag
800 Seiten, 22,95 Euro