Überraschendes von Flaubert
Selbst bei einem gründlich erforschten Schriftsteller wie Gustave Flaubert gibt es noch Überraschungen. In einem Nachlass fand man ein Konvolut unbekannter Texte, die nun auch auf Deutsch vorliegen. "Leben und Werke des Paters Chruchard und andere unveröffentlichte Texte" karikiert mit unverkennbar Ironie die Rolle des Schriftstellers.
Für intime Aufzeichnungen und autobiografische Texte hatte Gustave Flaubert eigentlich nur Verachtung übrig - ihm ging es darum, das gelebte Leben in Kunst umzuformen. "Es ist eines meiner Prinzipien, dass man nicht von sich selber schreiben darf", tönte er 1857 in einem Brief.
Dennoch hat Flaubert, wie die Fundstücke belegen, mitunter Eindrücke skizzenhaft zu Papier gebracht, die Blätter anschließend in einen Umschlag gesteckt und versiegelt. Die vier Texte aus dem neuen Band sind im Telegrammstil verfasst, stichwortartig gerafft und eher spröde im Tonfall. Mehrfach gibt Flaubert sehr private Empfindungen preis und benennt hässliche oder peinliche Momente, über die er in Briefen eher schweigt.
Zwei der vier Prosastücke erzählen von dem Verlust geliebter Freunde. "Alfred" dreht sich um die Beerdigung Alfred Le Poittevins, der 1848 bereits mit 31 Jahren starb, vermutlich an den Folgen einer Syphilis. Er war schon mit Flaubert zur Schule gegangen und seit Kinderzeiten bis ins Erwachsenenalter sein Intimus gewesen.
Dass Alfred sich eine Ehefrau nahm und zum Bürger wurde, statt weiter dem Bohemienleben zu frönen, konnte ihm Flaubert nie verzeihen. Für die Gattin hat er dann auch kein gutes Wort übrig: Sie wird in Halbsätzen abgefertigt und wirkt dumm und einfältig. Von philologischem Interesse ist, dass manche Formulierungen und Bilder aus "Alfred" in "Madame Bovary" wortwörtlich wieder aufgenommen werden.
Ebenfalls von tiefer Trauer durchdrungen ist die Prosaminiatur "Mein armer Bouilhet". Bouilhet war vielleicht Flauberts wichtigster Schriftstellerfreund. Regelmäßig zog er sich mit ihm zu literarischen Exerzitien zurück, ließ sich offen kritisieren und diskutierte mit ihm auf Augenhöhe über seine Manuskripte.
Bouilhet verliert er 1869 zwei Jahrzehnte nach Alfred, und untergründig wird spürbar, dass ihn der Tod des Freundes unweigerlich mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. "Ich habe keine innere Festigkeit mehr", lässt Flaubert verlauten, und weiter: "Ich fühle mich verbraucht." Vor allem wird ihm sein Gesprächspartner fehlen. "Jetzt, da er tot ist, habe ich meinen literarischen Kompass verloren", heißt es an einer anderen Stelle.
Gleichzeitig gibt er zu, dass er sich in der letzten Zeit nach und nach von ihm entfremdet hatte: "Bouilhet war ein bisschen biedermännisch geworden." Bouilhet hatte nämlich zu Flauberts Entsetzen die deftigen Briefe, die er mit Flaubert wechselte, kurzerhand weg geworfen.
In "Der Ball zu Ehren des Zaren" geht es um ein Fest im Juni 1867 in den Tuilerien für Zar Alexander II. Obwohl Flaubert hauptsächlich in Croisset in der Normandie lebte und sich gern als "Höhlenbär" stilisierte, unterhielt er auch eine Wohnung in Paris und nahm an mondänen Ereignissen durchaus teil. Er nutzte sie zu Studienzwecken, schaute sich um, hörte zu, beobachtete und merkte sich alles, was ihm für seine Romane von Belang erschien.
Der Band schließt mit einem kurzen biografischen Abriss des Paters Cruchard. Bei Cruchard handelt es sich freilich um ein alter ego, das Flaubert im Spaß mit seiner Nichte erfunden hatte und auch mit George Sand fortspann. Pater Cruchard ist ein Geistlicher von voluminösem Körperumfang, der großartige schriftstellerische Werke vorlegt und von allen Damen der hohen Gesellschaft als Beichtvater gewünscht wird.
"So bald er eintraf, kamen alle herbeigelaufen wie durstige Rehlein, um das erquickende Nass seiner Worte zu trinken", karikiert Flaubert mit unverkennbarer Selbstironie die Rolle des Schriftstellers. Der schöne neue Band "Leben und Werke des Paters Cruchard" bietet einen Einblick in die Arbeitsweise Flauberts: Neben den Totenmessen en miniature und knappen Selbstvergewisserungen stößt man auf Keimzellen späterer Werke. Das Skizzenbuch eines großen Schriftstellers.
Rezensiert von Maike Albath
Gustave Flaubert: Leben und Werke des Paters Cruchard und andere unveröffentlichte Texte
Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl
Friedenauer Presse, Berlin 2008
120 Seiten, 16 Euro
Dennoch hat Flaubert, wie die Fundstücke belegen, mitunter Eindrücke skizzenhaft zu Papier gebracht, die Blätter anschließend in einen Umschlag gesteckt und versiegelt. Die vier Texte aus dem neuen Band sind im Telegrammstil verfasst, stichwortartig gerafft und eher spröde im Tonfall. Mehrfach gibt Flaubert sehr private Empfindungen preis und benennt hässliche oder peinliche Momente, über die er in Briefen eher schweigt.
Zwei der vier Prosastücke erzählen von dem Verlust geliebter Freunde. "Alfred" dreht sich um die Beerdigung Alfred Le Poittevins, der 1848 bereits mit 31 Jahren starb, vermutlich an den Folgen einer Syphilis. Er war schon mit Flaubert zur Schule gegangen und seit Kinderzeiten bis ins Erwachsenenalter sein Intimus gewesen.
Dass Alfred sich eine Ehefrau nahm und zum Bürger wurde, statt weiter dem Bohemienleben zu frönen, konnte ihm Flaubert nie verzeihen. Für die Gattin hat er dann auch kein gutes Wort übrig: Sie wird in Halbsätzen abgefertigt und wirkt dumm und einfältig. Von philologischem Interesse ist, dass manche Formulierungen und Bilder aus "Alfred" in "Madame Bovary" wortwörtlich wieder aufgenommen werden.
Ebenfalls von tiefer Trauer durchdrungen ist die Prosaminiatur "Mein armer Bouilhet". Bouilhet war vielleicht Flauberts wichtigster Schriftstellerfreund. Regelmäßig zog er sich mit ihm zu literarischen Exerzitien zurück, ließ sich offen kritisieren und diskutierte mit ihm auf Augenhöhe über seine Manuskripte.
Bouilhet verliert er 1869 zwei Jahrzehnte nach Alfred, und untergründig wird spürbar, dass ihn der Tod des Freundes unweigerlich mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. "Ich habe keine innere Festigkeit mehr", lässt Flaubert verlauten, und weiter: "Ich fühle mich verbraucht." Vor allem wird ihm sein Gesprächspartner fehlen. "Jetzt, da er tot ist, habe ich meinen literarischen Kompass verloren", heißt es an einer anderen Stelle.
Gleichzeitig gibt er zu, dass er sich in der letzten Zeit nach und nach von ihm entfremdet hatte: "Bouilhet war ein bisschen biedermännisch geworden." Bouilhet hatte nämlich zu Flauberts Entsetzen die deftigen Briefe, die er mit Flaubert wechselte, kurzerhand weg geworfen.
In "Der Ball zu Ehren des Zaren" geht es um ein Fest im Juni 1867 in den Tuilerien für Zar Alexander II. Obwohl Flaubert hauptsächlich in Croisset in der Normandie lebte und sich gern als "Höhlenbär" stilisierte, unterhielt er auch eine Wohnung in Paris und nahm an mondänen Ereignissen durchaus teil. Er nutzte sie zu Studienzwecken, schaute sich um, hörte zu, beobachtete und merkte sich alles, was ihm für seine Romane von Belang erschien.
Der Band schließt mit einem kurzen biografischen Abriss des Paters Cruchard. Bei Cruchard handelt es sich freilich um ein alter ego, das Flaubert im Spaß mit seiner Nichte erfunden hatte und auch mit George Sand fortspann. Pater Cruchard ist ein Geistlicher von voluminösem Körperumfang, der großartige schriftstellerische Werke vorlegt und von allen Damen der hohen Gesellschaft als Beichtvater gewünscht wird.
"So bald er eintraf, kamen alle herbeigelaufen wie durstige Rehlein, um das erquickende Nass seiner Worte zu trinken", karikiert Flaubert mit unverkennbarer Selbstironie die Rolle des Schriftstellers. Der schöne neue Band "Leben und Werke des Paters Cruchard" bietet einen Einblick in die Arbeitsweise Flauberts: Neben den Totenmessen en miniature und knappen Selbstvergewisserungen stößt man auf Keimzellen späterer Werke. Das Skizzenbuch eines großen Schriftstellers.
Rezensiert von Maike Albath
Gustave Flaubert: Leben und Werke des Paters Cruchard und andere unveröffentlichte Texte
Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl
Friedenauer Presse, Berlin 2008
120 Seiten, 16 Euro