Uganda

Menstruation und Damenbinden als Politikum

Nalukenge (lks.) und Catherine Natume basteln Binden.
Nalukenge (lks.) und Catherine Natume basteln Binden. © Deutschlandradio / Simone Schlindwein
Von Simone Schlindwein |
Menstruation und Damenbinden - das sind in Uganda eigentlich Tabuthemen. Dennoch wird darüber derzeit heiß diskutiert. Aktivisten sorgen dafür, dass Mädchen Binden bekommen, damit sie weiter in die Schule gehen können, wenn sie ihre Regel haben.
Die CARE-Grundschule liegt versteckt zwischen Backsteinhäusern am Fuße einer der zahlreichen Hügel von Ugandas Hauptstadt Kampala. Ein einfaches, einstöckiges Gebäude: nebeneinander fünf kleine Klassenzimmer, unverputzte Wände, einfacher Betonfußboden. Es ist eine arme Gegend. Nur wenige Eltern in diesem Stadtteil können sich die Schulgebühren leisten. Meist haben sie fünf, sechs oder gar sieben Kinder. Bildung ist in vielen Ländern Afrikas noch immer eine Frage des Geldes.
Nachmittags gegen drei Uhr ist der Unterricht zu Ende. Über 300 Grundschüler spielen auf dem Pausenhof. Nur die wenigsten gehen nach Hause. Rund ein Dutzend Schülerinnen aus den älteren Klassen rücken in einem der Zimmer Tische, bauen Nähmaschinen auf, packen Scheren, Stoffreste, Schnittvorlagen aus.
Die 15-jährige Catherine Nantume klemmt einen rosaroten Frotteestoff in die manuelle Nähmaschine, die sie mit einem Pedal bedient.
"Ich habe immer die Schule verpasst, wenn ich meine Tage hatte, weil sich meine Eltern für mich keine Binden leisten können. Das hat mich sehr unglücklich gemacht, weil ich zu Hause saß und nichts tat. Dieses Projekt ist super, ich lerne, wie ich die Binden selbst nähen kann. Ich lerne sogar etwas über Hygiene, denn wenn man sie nicht richtig sauber wäscht, dann kann man sich Krankheiten holen. Wir basteln sehr viele und verteilen sie an Schulen auf dem Land. Manchmal bringen wir auch dort den Mädchen bei, wie sie die Binden selbst herstellen können. Vielleicht verteilen sie dann auch dort weiter Binden."

Im Supermarkt kosten Binden ein Vermögen

Umgerechnet fünf Euro kostet eine einzige wiederverwendbare Binde im Supermarkt - ein Vermögen! Viele Eltern müssen mit rund einem Euro am Tag ihre Kinder ernähren. Eine jüngste Studie der UNESCO besagt, dass jedes zehnte ugandische Mädchen während ihrer Monatsblutung die Schule versäumt.
Sadat Nduhira erklärt den Mädchen die einzelnen Schritte. Der 27-jährige Künstler ist selbst im Armenviertel aufgewachsen. Auch seine Schwestern gingen nicht zur Schule, wenn sie ihre Tage hatten, erzählt er.
Mittlerweile hat der junge Mann selbst Kinder, die bald zur Schule gehen werden. Deswegen will er etwas ändern und engagiert sich. Da er als Künstler mit vielen verschiedenen Materialien experimentiert, kam ihm die Idee, Workshops in Schulen anzubieten.
"Das Material kann das Blut gut aufsaugen. Diese Binden sind hergestellt aus alten Handtüchern und Baumwolleinlagen. Nach dem Gebrauch weicht man sie über Nacht in Wasser ein. Morgens wäscht man sie dann gut aus, wenn sie sauber ist, hängt man sie in die Sonne zum Trocknen und dann bügelt man sie sehr heiß, um die letzten Bakterien abzutöten. Dann bewahrt man sie in einem sauberen Ort auf, um sie hygienisch rein zu halten."
Nduhira hat eine kleine Stiftung gegründet, um Spenden sammeln zu können. Davon hat er die rund zehn Nähmaschinen und Stoffe gekauft. Sein Ziel: an weiteren Schulen in den Slums Workshops anzubieten. Sexualaufklärung findet in staatlichen Grundschulen nicht statt. Die mehrheitlich christlich geprägte Gesellschaft Ugandas ist erzkonservativ.
Schuldirektorin Sarah Nakabira und Künstler Sadat Nduhira. 
Schuldirektorin Sarah Nakabira und der Künstler und Aktivist Sadat Nduhira© Deutschlandradio / Simone Schlindwein
Als vor einigen Jahren das UN-Kinderhilfswerk UNICEF Bücher zur Sexualaufklärung in Schulen verteilte, die auch Homosexualität thematisierten, intervenierte die Regierung. Auf Homosexualität stehen in Uganda hohe Strafen, Schwule und Lesben werden verfolgt. Seit diesem Skandal wird über Sexualität an Schulen nicht mehr gesprochen - das Thema ist ein Tabu. Damit will Künstler Nduhira brechen:
"Ursprünglich ist es die Aufgabe der Patentante, die Mädchen aufzuklären. Meist nimmt die Schwester des Vaters die Mädchen beiseite und erklärt ihnen, was die blutigen Tage im Monat bedeuten, was Sexualität ist und wie das mit dem Kinderkriegen funktioniert. Für die direkten Eltern, vor allem für den Vater, ist das Thema Sexualität seiner eigenen Tochter ein absolutes Tabu. Das wäre in der ugandischen Kultur schon fast ein Vergehen. Deswegen kommt da die Tante ins Spiel. Wenn aber die Tante weit weg wohnt oder es sie nicht gibt, dann finden dies die Mädchen oft selbst heraus, von anderen, älteren Mädchen oder in der Schule. Die meisten Mütter bestehen jedoch darauf, dass die Mädchen zu Hause bleiben, wenn sie ihre Tage haben. Sie sollen sich verstecken und dürfen kein Essen kochen. Das war in Uganda eben schon immer so."

Mädchen haben in der Schule Nachteile

Studien der UNESCO und die jüngste Evaluation des Bildungssektors haben gezeigt, dass Mädchen in der Schule Nachteile haben. Sie verpassen den Unterricht, müssen ihn dann nachholen und scheitern letztlich am Ende des Jahres bei den landesweiten Prüfungen. Seitdem die Mädchen ihre Binden selbst herstellen, haben die Fehlzeiten deutlich nachgelassen, erklärt Schuldirektorin Sarah Nakabira.
"Es war wirklich ein großes Problem, für das wir keine Lösung wussten. Die Einwegbinden, die es hier in Uganda im Supermarkt gibt, sind sehr teuer. Die können sich die Eltern unserer Kinder hier nicht leisten. Bislang kamen die Mädchen dann mit schmutzigen alten Stoffresten in die Schule, die sie in die Unterhosen klemmen. Aber die verursachen oft Entzündungen, sie sind nicht sauber. Jetzt können wir die Binden umsonst austeilen. Das hilft den Mädchen sehr. Dieses Projekt hat uns so sehr geholfen. Von den 300 Schülern an unserer Schule sind mehr als 200 Mädchen. Sie fühlen sich jetzt viel besser, denn mit den Binden sind sie jetzt sicher, jeden Tag im Monat."
Das heikle Thema Menstruation und Schulbildung spielte im vergangenen Jahr sogar im Wahlkampf eine nicht unbedeutende Rolle. Allen voran der 72-jährige Präsident Yoweri Museveni, der das Land seit mehr als 30 Jahren unangefochten regiert, wollte sich damit weibliche Wählerstimmen sichern.

Uganda hat eine sehr junge Bevölkerung

Uganda zählt zu einer der jüngsten Bevölkerungen weltweit. Rund 75 Prozent sind unter 30 Jahre alt, fast die Hälfte der Ugander ist im schulpflichtigen Alter. Präsident Museveni zog im Wahlkampf durch die Dörfer und versprach kostenlose Binden für die Mädchen an den Schulen.
Vor allem Mütter aus ärmlichen Verhältnissen waren begeistert. Sie machen die Mehrheit seiner Wähler aus. Nach seinem Wahlsieg ernannte Museveni seine Frau Janet Museveni zur Bildungsministerin. Die rückte von dem Plan mit den kostenlosen Binden wieder ab, es sei kein Geld dafür in der Kasse, ließ sie wissen. Da war Schuldirektorin Nakabira froh, dass Künstler Sadat zu ihr in die Schule kam und letztlich das Versprechen doch irgendwie wahrmachte, eben auf anderen Wegen.
"Die meisten Eltern haben das Projekt gut aufgenommen. Klar, es gibt immer einige, die Gerüchte streuen. Aber die meisten finden das Projekt gut. Die meisten Eltern sind arm und können sich andere Binden nicht leisten. Vergangenes Jahr hatte die Regierung angekündigt, die Schulen mit Binden zu versorgen. Doch das ist dann nicht passiert. Ich denke jedoch, die Verantwortung liegt in erster Linie bei den Eltern. Da dies jedoch ein sehr armes Viertel ist, haben wir uns als Schule dem Problem angenommen."
Mittlerweile hat die Debatte um die Binden viele Aktivisten ermutigt, sich dem Problem anzunehmen. Stella Nyanzi sitzt mit ihrer Schwester und Anwältin sowie drei weiteren Mitstreiterinnen in einem Gartenrestaurant in Kampalas Innenstadt. Nyanzi zählt zu den führenden Feministinnen des Landes. Sie ist Doktorin an der staatlichen Universität Makerere und unterrichtet Genderstudien. Sie hat über die Sexualität von Frauen in Afrika promoviert und steht der Opposition nahe.

Crowdfundingkampagne über soziale Netzwerke

Zu Beginn des Jahres startete sie eine Crowdfundingkampagne über die sozialen Netzwerke. Via Facebook, Twitter, Whatsapp will sie Geld sammeln, um zehn Millionen wiederbenutzbare Binden zu erwerben, die sie an Schulen verteilt. Via mobilen Geldtransfers über das Handy hat sie bereits mehr als umgerechnet 3000 Euro Spenden erhalten und damit Millionen Binden an ugandischen Schulen auf dem Land kostenlos verteilt.
"Mal abgesehen davon, dass diese Kampagne den Schulmädchen ihre Würde zurückgeben soll, ist das auch eine politische Aktion zum Kampf um unser Recht auf freie Meinungsäußerung in Uganda. Denn ich wurde direkt von der Polizei einbestellt, die mich über meine Facebook-Posts verhört hat. Ich muss dazu sagen. Ich bin nun mal eine Aktivistin und von dieser Regierung sehr enttäuscht. Die Regierungsführung in Uganda ist einfach schlecht und ich habe begonnen, die Politiker in den sozialen Medien zu kritisieren. Ich erwähne dabei den Präsidenten persönlich – auch die massive Korruption und den Nepotismus. Ich benutze auch sexuelle Ausdrücke. Ich denke, es ist mein Recht als Doktorandin für Themen wie Sexualität, diejenige Sprache zu nutzen, die ich gut finde, und solche sexualisierten Themen als radikale Feministin auch anzusprechen."
Pads-Uganda-Team  mit Dr. Stella Nyanzi (zweite von rechts).
Pads-Uganda-Team mit Dr. Stella Nyanzi (zweite von rechts)© Deutschlandradio / Simone Schlindwein
Mit ihrer direkten Sprache hat sie sich mit hochrangigen Leuten im Land angelegt, unter anderem mit der Präsidentenfamilie, konkret: mit der Präsidentengattin und aktuellen Bildungsministerin. Die 68-jährige Janet Museveni ist religiös und konservativ. Sie zählt zu jener Generation Frauen, die im Windschatten des Museveni-Regimes an die Macht kam.
Als der heute 72-jährige Präsident vor 30 Jahren als junger Freiheitskämpfer mit dem Gewehr in der Hand das Land eroberte und quasi eine demokratische Revolution ausrief, schrieb sich seine Bewegung auch die Gleichstellung der Geschlechter auf die Fahnen. In sämtlichen Institutionen wie im Parlament wurden Frauenquoten von mindestens 30 Prozent eingeführt.

Jede Menge "Vaginas" im Parlament

Nyanzi klagt jetzt diese Frauen im Parlament öffentlich an. Seit 30 Jahren seien Frauen über eine verfassungsmäßig garantierte Quote im Parlament vertreten. Gleichberechtigung hätten sie jedoch nicht erkämpft, kritisiert Nyanzi.
"Biologie ist Politik: Machtpolitik. Wir sehen in den nationalen Schulexamen doch klar, dass die armen Mädchen auf dem Land um einiges schlechter abschneiden. In den Städten, wo die Mädchen etwas Geld haben, sind sie gleich auf. Ich ärgere mich so über die Regierung, denn vor dem Hintergrund dieser Ungleichheit, kommt dann die Regierung daher und macht Versprechungen – und hält sie dann nicht ein. Die Emanzipation der Frauen hier in Uganda ist eine totale Fassade. Wir haben jetzt jede Menge Vaginas im Parlament sitzen, aber sie müssen auch beweisen, dass sie ein Gehirn dazu haben."
Feministin Nyanzi provoziert gerne. Anfang April wurde Nyanzi im Zusammenhang mit den Binden verhaftet und angeklagt, wegen sogenannter "Cyber-Belästigung". Sie hatte das Präsidentenehepaar auf Facebook als ein "Paar Arschbacken" bezeichnet.
Das konnte das Regime nicht auf sich sitzen lassen. Nach 30 Jahren an der Macht, tendiert auch der früher Revolutionär und Freiheitskämpfer Museveni zu autokratischen Herrschaftsmethoden. Mittlerweile hat er einen Großteil seiner Familie in die Politik geholt: seine Frau, seinen ältesten Sohn, seinen jüngeren Bruder – die wichtige Rollen in der Armee innehaben.

Das Regime agiert autoritär

Der Umgang mit der Kritikerin Stella Nyanzi zeigt, wie autoritär das Regime agiert: Richter haben inzwischen angewiesen, dass sie sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen muss, um ihre Zurechnungsfähigkeit festzustellen. Nach knapp einem Monat Gefängnis wurde sie am 10. Mai auf Kaution freigelassen.
Nach einem Monat Haft war sie schwach, litt an Malaria. Das Verfahren gegen sie geht jedoch weiter. Die Kampagne für Damenbinden, die an kleinen Dorfschulen begann, ist mit der Verhaftung und Diskreditierung der Feministin Stella Nyanzi zum Politikum geworden.
Ausgerechnet Damenbinden haben den besten Beweis dafür geliefert, dass in Uganda die Meinungsfreiheit mit allen Mitteln eingeschränkt wird.
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