Pickel am Pool
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Influencer leben davon, dass Fans sich mit ihnen identifizieren. Gleichzeitig ist der Einblick in ihr Leben ein künstlicher. Denn beispielsweise Pickel gehörten bisher nicht zum Geschäftsmodell. Das ändert sich jetzt.
Der Job von Influencern ist der einer Identifikationsfigur. Das vornehmlich junge Publikum ist auf der Suche nach Vorbildern und nur wer authentisch rüberkommt, hat eine Chance auf dem umkämpften Markt. Doch die Vermarktung des eigenen Lebens ist natürlich kuratiert. Kein Foto wird aus Versehen gepostet, kein Kamerawinkel ist zufällig gewählt.
Auch bei Emma Chamberlain nicht. Die 18-Jährige hat sich zum neuen Stern am Youtube-Himmel entwickelt. Ihr Stil: Perfekt unperfekt. Ihr Leben ist nicht spannend. Sie fliegt nicht um die Welt, schwimmt nicht in Infinity-Pools. Stattdessen filmt sie sich beim Kaffeeholen, versteckt ihre Pickel nicht und ihre Videos sehen auch nicht nach Hochglanzproduktion aus.
Kurz gesagt: Emma Chamberlain macht nichts, was ihre Fans nicht auch machen könnten.
Doch stimmt das überhaupt? Hinter den Kulissen investiert die Youtuberin nämlich dreißig Stunden in ihre vermeintlich spontanen Videos. Das Gezeigte wirkt zwar wie Alltag, ist aber dabei aber weniger langweilig, als die Realität. Denn Emma Chamberlain ist eine Entertainerin mit Witz. Trotzdem: Ist das authentisch? Und woher kommt der Drang "real" sein zu müssen? Das klären wir im Gespräch mit Anika Meier. Sie ist Kuratorin und Kolumnistin beim Kunstmagazin monopol.
"Ugly Instagram" liegt voll im Trend
Laut Meier war es in Instagrams Anfangstagen so, dass vor allem Bilder eines perfekten Lebens zu vielen Followern geführt haben – ganz im Interesse des Unternehmens. Schließlich seien knappe Bikinis an schönen Stränden ein perfektes Umfeld, um Werbung zu schalten. Erst neuerdings sei es so, dass Influencer*innen versuchen ein realistischeres Bild von sich zu präsentieren.
Diesen Trend fasst sie unter dem Namen "Ugly Instagram" zusammen, angelehnt an die klobigen Schuhe und uncoolen Kleidung der sogenannten "Ugly Fashion". "Die Fotos sehen aus, als hätte man sich gar keine Mühe gegeben", so Meier.
Als prominentes deutsches Beispiel dafür nennt sie die Schriftstellerin Ronja von Rönne. Diese zeige sich nicht nur als die normschöne Frau, die sie eigentlich sei, sondern rücke andere Dinge in den Vordergrund. Neben Witz und Ironie gäbe es bei von Rönne auch Einblicke in ihre Depressionen und den Umgang mit diesen. Genau diese Ehrlichkeit und Offenheit habe von Rönnes Publikum sehr positiv aufgenommen.
Meier sagt außerdem, dass ironische Distanz ein wichtiger Faktor sei. Während früher mit sehr großer Ernsthaftigkeit über das morgendliche Frühstück und die perfekte Kleidung geredet wurde, haben Künstlerinnen 2015 angefangen, diese Inszenierung abzulehnen und zu zeigen, wie ein wirklicher Out-of-Bed-Look aussieht.
Authentizität und Haltung
Dass selbst diese Fotos inszeniert seien und Youtuberinnen wie Chamberlain auch viel Zeit in ihre Videos steckten, darin sieht Meier keinen Widerspruch zur vermeintlich präsentierten Authentizität, auch wenn diese nur eine scheinbare ist. Schließlich spiele man in der Öffentlichkeit immer eine Rolle.
Die Inszenierungswechsel von perfektem Leben zu realistischem Alltag seien auch nicht erst mit Influencern entstanden. Das zeigt Meier, selbst Kunsthistorikerin, am Beispiel der US-Künstlerin Cindy Sherman. Diese begann in den Achtzigern zu hinterfragen, weshalb Sammler ihre Bilder kauften. Ging es wirklich um den künstlerischen Wert ihrer Arbeit oder doch nur darum, den aktuellen Trend nicht zu verpassen? Also hat sie aufgehört, schöne Bilder zu produzieren und verstörte stattdessen mit Erbochenem und pickligen Hintern.
Meier glaubt außerdem, dass es für den Erfolg von Influencern essentiell ist, eine Haltung zu haben und auch zur Schau zu stellen. Erst vor kurzem haben Bonnie Strange und andere deutsche Influencer für einen großen Getränkehersteller geworben, der Wasser in Plastikflaschen verkauft. Prompt folgte ein Shitstorm – denn wer Freitags gegen die Klimapolitik der Regierung auf die Straße gehe, erwarte auch von seinen Idolen, dass sie sich wie Vorbilder verhalten.
Ugly Instagram wurde erkämpft
Für Meier ist das ein Zeichen der Veränderung. Dafür bezieht sie sich auf eine Studie, die vor ein paar Jahren noch belegte, dass Follower sich nicht an werblichen Inhalten von Influencern stören würden. Heute würden Fans jedoch genauer hinschauen, was genau ihnen eigentlich präsentiert wird und ob diese Inhalte in ihr Wertegerüst passen.
In Meiers Augen fügt sich der "Ugly Instagram"-Trend sehr gut in eine größere Bewegung ein. Schon länger befassten Künstlerinnen sich mit Ideenn wie der Definierung eines neuen Bildes von Weiblichkeit. Dafür verweist sie auf die kanadische Fotografin Petra Collins, die sich selbst im Bikini ablichtete. Soweit nicht ungewöhnlich, doch Instagram zensierte das Foto, weil Schamhaare an den Seiten der Hose hervortraten.
Dieses Vorgehen motivierte laut Meier viele Frauen dazu, aus Protest Bilder von ihrer Beinbehaarung und sonstigen vermeintlich unperfekten Körpermerkmalen zu posten. Meier geht davon aus, dass diese Aktion auch an Emma Chamberlain und anderen Influencern nicht vorbeigegangen ist.