Ukraine
Tausende tote Ukrainer und Ukrainerinnen hat der russische Angriffskrieg bisher gekostet. Und ein Ende des Sterbens ist nicht in Sicht. © imago / Ukrinform / Ruslan Kaniuka
Der Tribut von acht Monaten Krieg
24:01 Minuten
Wie ist die aktuelle Stimmung in der Ukraine? Tausende sind tot, die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur gehen in die Milliarden. Die Erschöpfung der Menschen und die Ungewissheit sind die unsichtbaren Folgen des russischen Angriffskrieges.
„Was wollt ihr? Meine abgebrannte Wohnung filmen?“, ruft Maksim Surschan, ein Mann mit dunklem Drei-Tage Bart, in Fischerhut und Jogginghose. Er steht mit seinen Nachbarn vor seinem Wohnblock in Lyman, Region Donezk. Eine Zigarette hängt aus seinem Mund.
Während der Kämpfe um Lyman habe ein Panzer auf das Haus geschossen, erzählt Surschan. Ein großes Loch klafft in der Hauswand. Seine Wohnung im fünften Stock ist vollständig ausgebrannt. Seitdem lebt Surschan mit seiner Mutter im Keller des Gebäudes. Seit über 160 Tagen schon. Er führt nach unten. Will zeigen, was der Krieg gegen die Ukraine für die Menschen in den umkämpften Regionen bedeutet.
„Das ist alles, was wir retten konnten. Eine Decke, ein paar Jacken, ein paar Schuhe. Das war’s.“
Kurz vor Kriegsbeginn hatte Maksim Surschan seine Wohnung renoviert, berichtet er. Hatte Geld investiert. Jetzt versucht er zu überleben – ohne Ofen, Kühlschrank oder Waschmaschine. Ohne Strom, Gas, Heizung und Licht. Um zu sehen, was Maksim Surschan in den engen, feuchten Kellerräumen zeigt, müssen wir Licht machen mit unseren Handys. Die Decken sind tief, Rohre verlaufen an den Wänden, es wird auch hier unten feucht.
„Wenn ich nur die Möglichkeit hätte, die Gasflasche aufzufüllen. Wenn es Beschuss gibt, sitzen wir hier und kochen mit dem Gaskocher. Im ganzen Gebäude gibt es kein Gas mehr. Wir sitzen hier wie die Mäuse in ihren Löchern.“
Maksims Stadt Lyman ist wieder ukrainisch
Surschans Stadt Lyman in der Ostukraine war lange hart umkämpft. Seit Anfang Oktober ist sie wieder unter Kontrolle der ukrainischen Armee. Ein großer Erfolg für die Ukraine – der Eisenbahnknotenpunkt Lyman ist strategisch wichtig –, aber auch ein psychologischer Sieg für die Ukraine. Denn Lyman liegt genau auf dem Territorium, das Russlands Präsident Putin nach Scheinreferenden versucht hatte zu annektieren. Doch das alles – wer gegen wen kämpft und warum –, es interessiert Maksim Surschan nicht.
"Manchmal müssen wir im Keller auf Toilette gehen, wenn zu stark geschossen wird. Man rennt schnell raus, kippt aus und wieder rein.“
Surschans Leben wurde zerstört in einem Krieg, den er nicht versteht. Er verlässt den engen Keller wieder. Solange es draußen hell ist, muss Maksim Surschan noch Holz hacken. Denn für viele Menschen in der Region ist Holz zurzeit eine wichtige Währung. Wer einen Ofen hat, kann sich wärmen bei immer weiter sinkenden Temperaturen. Und eine offene Feuerstelle vor den Häusern ist oft die einzige Möglichkeit zu kochen. Lebensmittel aber gibt es kaum mehr in Lyman.
„Ich will Kartoffeln, Kohl, Karotten. Alles, was man für einen Borschtsch braucht. Aber wir bekommen immer nur Nudeln. Das ist schlecht für meinen Magen und ich kann mich nirgendwo behandeln lassen. Es gibt keine Geschäfte, keine Arbeit, keinen Strom, kein Haus. Nur einen Keller.“
20.000 Menschen lebten einst in Lyman. Viereinhalb Monate – seit Mitte Mai – war die Stadt russisch besetzt. Der Rückzug der russischen Armee muss von heftigen Kämpfen begleitet gewesen sein. Davon zeugen die Schäden und die Toten. Ein Großteil der Häuser in Lyman ist beschädigt oder komplett zerstört. Noch tagelang liegen Leichen getöteter Soldaten der russischen Armee auf den Straßen. Zurückgelassene Katzen und Hunden fressen an den verwesenden Körpern, wie eine ukrainische Reporterin zeigt. Sie begleitet die Polizei bei der Bergung der Leichen:
„Die Hälfte von ihnen ist vermutlich nicht identifizierbar.“
Der kriegt seinen Lada nicht, witzelt der Polizist über den toten Soldaten. Eine Anspielung auf einen Bericht aus dem russischen Staatsfernsehen. Das hatte Hinterbliebene eines russischen Soldaten gezeigt, die für den Tod des Sohnes ein Auto der Marke Lada erhalten hatten. In Lyman aber ist die ukrainische Reporterin von dem Anblick der Toten sichtlich verstört.
Brutale Gegenoffensive der ukrainischen Armee
Die Gegenoffensive der ukrainischen Armee in der Ostukraine offenbart die ganze Brutalität des Krieges. Und trotzdem sind die Soldaten hier auffällig gut gelaunt. Sie winken vorbeifahrenden Journalisten zu, sind offener als in anderen Regionen.
Isjum, nordwestlich von Lyman. Im Hof einer ehemaligen Autowerkstatt brummt laut ein Stromgenerator. Ein ukrainischer Soldat steht in der Sonne und zeigt grinsend auf zwei russische Schützenpanzer. Eroberte Technik, die hier repariert wird. Der Motor springt an. Der Soldat mit dem Decknamen Nemez – was übersetzt Deutscher bedeutet – ist glücklich:
„Als wir die Front durchbrochen haben, ließen die Russen alles stehen und liegen. Am Morgen waren sie schon nicht mehr hier. Vor allem Technik haben sie zurückgelassen, nur einen Teil haben wir erobert. Der Großteil war in gutem Zustand, damit konnte man sofort kämpfen.“
Die beiden Schützenpanzer haben die Mechaniker der Truppe repariert. Jetzt können sie von der ukrainischen Armee im Kampf eingesetzt werden. Und noch immer – über einen Monat nach der Rückeroberung der Region Charkiw – finden die Soldaten zurückgelassene russische Militärtechnik in den Pinienwäldern bei Isjum, erzählt Nemez. Ein großer Vorteil für die ukrainische Armee:
„Die Technik ist alt, aber zuverlässig. Das ist das Allerwichtigste in unserer Situation. Die Geräte sollten nicht kaputtgehen. Wenn sie rechtzeitig und gut gepflegt und gewartet werden, dann funktionieren sie störungsfrei. Natürlich gibt es moderne Technik – wie zum Beispiel den Leopard-2 Panzer. Den würden wir nur allzu gerne haben, aber den gibt man uns nicht. Also arbeiten wir mit dem, was wir haben.“
Die meisten Waffen kommen aus Russland
Russland sei derzeit der größte Waffenlieferant der Ukraine, machen die Soldaten Witze. Jeweils Hunderte Panzer, Schützenpanzer, gepanzerte Kraftfahrzeuge, Trucks und Jeeps haben sie hier erbeutet. Mehr als die ukrainische Armee bei der Gegenoffensive verloren hat, schätzen Experten.
Unweit der Werkstatt klettert eine Gruppe Soldaten auf einem verrosteten Schrotthaufen herum. Überreste eines russischen Panzers. Doch das Kanonenrohr können sie noch verwenden, glauben die Männer. Sie schlachten aus, was geht.
Die Panzer seien praktisch tot, sagt ein Soldat – tot wie seine russische Besatzung fügt sein Kollege mit Stolz in der Stimme hinzu. Mit Muskelkraft und Hebeleisen versuchen die Männer das verkeilte Kanonenrohr aus dem verrosteten Schrott zu befreien.
„Die Kanone sitzt fest. Es ist unmöglich, sie normal zu zerlegen. Deshalb greifen wir zu radikaleren Maßnahmen: Wir schneiden die obere Platte ab, schrauben die Maske ab, nehmen die Kanone heraus und bringen sie zur Basis. Dort werden wir sie in ihre Einzelteile zerlegen.“
Doch dass die Männer im Spätsommer 2022 grinsend auf russischen Panzern in Isjum stehen können – dafür hat die Ukraine einen hohen Preis gezahlt. Tausende Soldaten wurden verwundet oder getötet. Wie viele – das ist nicht genau bekannt.
Einer von ihnen ist Roman Ratuschnyj. Im Juni stirbt der 24-jJährige genau dort, wo seine Kameraden heute russische Panzer erbeuten. Bei Isjum. Hunderte Menschen kommen damals zu seiner Beerdigung. Sie versammeln sich in Kiew am Sankt Michaelskloster. Auch Bürgermeister Witalij Klitschko ist gekommen.
Roman Ratuschnyj sei immer proaktiv, energievoll und ein sehr positiver Junge gewesen, sagt Witalij Klitschko.
Im Sommer fallen Hunderte Soldaten
Roman Ratuschnyj war in Kiew ein bekannter Aktivist. Sein Tod erschüttert im Sommer 2022 die Ukraine. Es ist ein Sommer, in dem nach Aussagen von Präsident Selenskyj jeden Tag Hunderte Soldaten an der Front im Donbass sterben. Sie haben der russischen Artillerie nichts entgegenzusetzen. Und das bleibt nicht unbemerkt. Hilferufe von erschöpften und dezimierten ukrainischen Einheiten gelangen an die Öffentlichkeit.
„Helft uns! Wir werden vor Gericht gestellt, als seien wir Deserteure, die den Kampf aufgegeben haben. Aber wir haben nicht aufgegeben, wir haben uns entschieden zu überleben.“ – „Wir haben mit Maschinengewehren gegen schwere Waffen gekämpft. Alle Jungs, die jetzt hier sind, haben es aus dem Kessel geschafft. Der Rest – 70 Prozent – liegt im Wald. Tot.“
Etwa 40 Männer zeigt das Video in schlechter Qualität. Und es ist nur ein Beispiel von vielen, die seit Ende April beginnen, in den sozialen Netzwerken aufzutauchen. Kein Einzelfall.
„Wir erhalten Befehle, die wir nicht ausführen können, weil sie kriminell sind. Wir haben niemanden mehr. Die einen sind tot, die anderen verletzt. Wir brauchen jemanden, der uns zuhört, der uns unterstützt. Wir alle haben seit Kriegsbeginn gekämpft, wir brauchen Erholung. Die Moral ist so niedrig, dass niemand mehr kämpfen kann. Alle sind einfach nur erschöpft.“
Ukrainische Einheiten werden geopfert
Hierher werden auch Einheiten der sogenannten Territorialverteidigung geschickt. Oft an vorderste Front. Die Territorialverteidigung war zu Kriegsbeginn eine Art Miliz von Freiwilligen. Ins Leben gerufen, um die eigenen Heimatstädte – das eigene Territorium – zu verteidigen. Um Dokumente zu kontrollieren, Gebäude oder Checkpoints zu bewachen. Ihre Mitglieder sind meistens Zivilisten ohne militärische Erfahrung. So auch Tetjana Metyks Mann:
„Er sagte mir, er trete der Territorialverteidigung bei. Ich dachte, er würde unsere Region verteidigen, die Region Lwiw.“
Doch während Russland seine Donbassoffensive startet, fehlt es der Ukraine an Waffen. Einzige Aufgabe: Die Verteidigungslinien irgendwie halten. An Gegenoffensive ist im Frühsommer nicht zu denken. Den Russen aber soll ihre Offensive so schwer wie möglich gemacht werden. Militärexperte Oleksij Melnyk erklärt:
„In dieser Situation mussten die Truppenkommandeure eine schwere Entscheidung treffen. Entweder eine schlecht ausgebildete Einheit opfern oder eine katastrophale Entwicklung an der Front riskieren. Das ist eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Eine sehr schmerzhafte Entscheidung.“
Und eine Entscheidung, die kleine und seit Kriegsbeginn seltene Proteste auslöst.
Ehefrauen und Mütter versammeln sich vor Militärverwaltungen in der Westukraine. Sie haben Angst um ihre Männer. Wollen wissen, wohin man sie geschickt hat. Auch Tetjana Metyk in Lwiw ist unruhig:
„Ich hatte Angst und begann, mit anderen Ehefrauen und Verwandten von Mitgliedern der Einheit zu sprechen. Es gab Informationen, dass es schon Tote und Vermisste gab. Ich fing an, mit einem Bekannten aus der Brigade zu sprechen. Er schrieb mir wortwörtlich: ´Wenn Sie wollen, dass Ihr Mann am Leben bleibt, dann fangen Sie an, etwas zu tun.`"
Tetjana Metyk und andere Frauen schreiben einen Beschwerdebrief. Fordern den Abzug ihrer Männer von der Front. Und dabei machen sie eine unangenehme Erfahrung, dass nämlich mit der zunehmenden Brutalität des Krieges auch eine gewisse Härte Einzug in die ukrainische Gesellschaft gehalten hat. Männer, die nicht kämpfen wollen, sind in den Augen der anderen Feiglinge und Verräter.
„Aktivisten, Journalisten und Militärs aus anderen Einheiten haben angefangen, über sie Kommentare zu schreiben. Sie seien keine echten Männer, sie würden sich unter den Rockzipfeln ihrer Frauen verstecken.“
Grausamkeit des Krieges ist kein Thema
Metyk aber geht es um das Leben ihres Mannes – den Vater ihrer vier Kinder. Die gesamte Grausamkeit des Krieges ist bis heute kaum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten in der Ukraine. Stattdessen sind Soldatinnen und Soldaten Helden. Traumata oder Zweifel am Einsatz kommen nicht vor. Genauso wie andere für die Gesellschaft unangenehme oder belastende Themen, erklärt der Soziologe Anton Hrushetskyj.
"Ja, man könnte es Selbstzensur nennen. Aber für mich ist das eher rational. Die Leute verstehen, dass Themen wie Verlust und Tod zu emotional sind. Es ist zu emotional und kann unsere Widerstandsfähigkeit beeinträchtigen.“
Täglich informiert der ukrainische Generalstab über die Verluste der russischen Armee. Die eigenen Verluste hingegen werden nur selten beziffert. Zuletzt im August. Damals sollen offiziellen Schätzungen zufolge bereits 9000 ukrainische Soldaten gefallen sein. Doch weitere und detailliertere Informationen hält die Regierung bewusst zurück – das gibt die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar zu:
"Es ist nicht unsere Hauptaufgabe, die Leute zu informieren. Das ist schmerzhaft zu erfahren für eine freie Gesellschaft. Aber für das Geschehen an der Front ist es nicht wichtig, ob die Zivilbevölkerung informiert wird darüber oder nicht. Wichtig ist, dass die Soldaten dort kämpfen.“
„Zuerst brauchen wir einen Sieg“
Man gebe Informationen nur dosiert heraus, erklärt sie freimütig. Denn Informationen seien eine Waffe in diesem Krieg. Ein Umstand, der in der Bevölkerung auf Zustimmung stößt, erklärt der Soziologe Anton Hrushetskyj.
„Wir verstehen, dass die Regierung im Moment nicht alle Informationen preisgeben sollte. Denn zuerst brauchen wir einen Sieg! Und dann werden wir diskutieren über Probleme wie Verrat, oder wer für die Invasion im Süden mitverantwortlich war. Darüber reden wir nach dem Sieg – das ist Konsens in der ukrainischen Gesellschaft. Wir verstehen, dass manche Informationen derzeit nicht verbreitet werden sollten.“
Und dennoch gibt es etwas, was viele Menschen in der Ukraine stört. Wann auch immer man den Fernseher einschaltet – auf fast allen Kanälen läuft das gleiche Programm. Es heißt „Die Vereinten Nachrichten“ – wird aber im Volksmund nur „Telemarathon“ genannt.
Seit Kriegsbeginn senden die größten Fernsehkanäle des Landes ein gemeinsames einheitliches Programm. Eine Maßnahme der Regierung, um schnell und gebündelt Informationen über das Kriegsgeschehen zu verbreiten.
Das schien zeitweise eine sinnvolle und notwendige Maßnahme zu sein, meint Lina Kuschtsch. Doch jetzt werde das immer mehr kritisiert, erklärt die Vorsitzende des ukrainischen Journalistenverbandes.
„Das Interesse am "Telemarathon" ist erheblich zurückgegangen. Wir finden, dass dort immer nur ein einziger Standpunkt vertreten wird. Selbst wenn über ein umstrittenes Thema diskutiert wird, gibt es oft nur eine Meinung – und das ist meistens eine regierungsfreundliche Meinung.“
Große Proteste gibt es in der Gesellschaft trotzdem nicht. Die Menschen schalten einfach nicht mehr ein. Und suchen sich andere Informationsquellen im Internet. Aber auch hier seien Informationen oft einseitig. Manche Themen würden in ukrainischen Medien nicht oder nur sehr selten behandelt, sagt Lina Kuschtsch.
„Zum Beispiel Verbrechen des ukrainischen Militärs. Es gibt solche Verbrechen, aber das Publikum nimmt es den Journalisten sehr übel, wenn solche Informationen öffentlich gemacht werden.“
Und viele Journalisten beugen sich dem Druck der öffentlichen Meinung, so Kuschtsch. Denn die Gesellschaft hat eine ganz klare Haltung: Unangenehmes diskutieren wir erst nach unserem Sieg. Und im Winter steht die ukrainische Gesellschaft vor neuen, viel größeren Herausforderungen.
Es sind gespenstische Szenen. Drohnen greifen die ukrainische Hauptstadt Kiew an. Sie kreisen im Morgengrauen über der Stadt – ihr Klang – ein Surren, ähnlich dem eines Mopeds – liegt in der Luft. Mit Maschinengewehren versuchen Polizisten, die Drohnen abzuschießen – nur bei einer Drohne soll das angeblich gelungen sein. Polizist Jaroslaw Weletnjuk berichtet einen Tag später von seinem Einsatz:
„Wir haben eine Nachricht bekommen, dass sie das Stadtzentrum angreifen. Sie waren sichtbar. Vor Ort haben wir das Geräusch gehört, haben sie gesehen und beschlossen, unsere automatischen Waffen einzusetzen.“
Drohnen zerstören Strom- und Gasversorgung
Die Drohnen – auch lauernde Waffen genannt – kreisen über den ukrainischen Städten, lauern – erst im letzten Moment stürzen sie sich hinab. Mit dem Ziel, den Menschen einen Winter ohne Heizung, Strom und fließend Wasser zu bescheren. Bis zu 40 Prozent der Energieinfrastruktur habe Russland so laut offiziellen Angaben mittlerweile zerstört.
Das Problem, ohne Strom und fließend Wasser zu leben, kennen die Menschen in der Ostukraine seit Langem.
„Wenn es zu Stromausfällen kommt, können wir keine Wärme liefern. Wir bereiten uns also auch auf ein pessimistisches Szenario vor. Darauf, dass die Bevölkerung hier im Winter eine Zeit lang ohne Gas und ohne Strom ist, solange wir die Versorgung nicht wiederhergestellt haben. Daher muss den Menschen eine Alternative geboten werden.“
Das sagt Wadim Ljach, Bürgermeister von Slowjansk in der Region Donezk. Und hier haben sie einen Plan B. Bürgermeister Ljach scheint zuversichtlich, dass der auch funktioniert. Er springt in sein Auto und hält nur wenig später am örtlichen Krankenhaus. In einer unscheinbaren Garage brummen zwei große Heizkessel – der verwendete Brennstoff: Holzpellets.
„Die Energie hier kann das ganze Krankenhaus – vier große Gebäude – mit Wärme versorgen. Wie Sie sehen, heizen wir mit Gas. Wenn es kein Gas gibt, haben wir diese Heizkessel und die Pellets, um das Krankenhaus mit Wärme zu versorgen.“
Im Krankenhaus soll neben dem normalen Betrieb eine Notunterkunft entstehen. Marina Porochnjak, stellvertretende Leiterin der lokalen Gesundheitsverwaltung, führt in den ersten Stock. In den Krankenzimmern stehen die Betten leer. Im Notfall können hier Menschen unterkommen und zeitweise übernachten. Energie ist ein knappes Gut. Marina Porochnjak erklärt:
„Wir hoffen, dass wir es überstehen“
„Es gibt zusätzliche Generatoren, die sowohl Licht liefern als auch die Operationssäle versorgen können. Es gibt Nahrungsvorräte, da es sich um eine medizinische Einrichtung handelt. Konserven, Trinkwasser in Flaschen und Wärme. Jetzt planen wir einen Testdurchlauf mit den Heizkesseln. Wir hoffen also, dass wir das alles überstehen werden.“
Insgesamt 13 solcher Notunterkünfte bereiten die Behörden in Slowjansk vor – in Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern. Doch schon jetzt ist es kalt – besonders in der Nacht. Und nicht alle Menschen sind in der Lage, schnell in eine Notunterkunft zu kommen. Ljubow etwa, die sich um ihre bettlägerige Mutter kümmert.
„Drei Monate leben wir schon im Keller. Drei Monate! Den Ofen haben uns die Leute von der Kirche gebracht. Ich bin ihnen sehr dankbar. Denn wir haben keine Möglichkeit zu heizen, es gibt kein Gas.“
Für den Ofen muss Ljubow Holz sammeln und es im Hof zersägen. Ein Schicksal, das tausende Menschen in der Ostukraine mit ihr teilen. Denn der echte Winter kommt erst noch.