Ukraine

Angst vor russischem Einmarsch im Südosten

Von Sabine Adler |
Erneut ist es im Südosten der Ukraine zu gewaltsamen Ausschreitungen prorussischer Gruppen gekommen. Auch in der Schwarzmeerstadt Odessa demonstrierten Tausende für ein Referendum und Russisch als Amtssprache.
Die Ukraine könnte noch ein Gebiet an Russland verlieren: den Südosten. Prorussische Kräfte planen dort eine Wiederholung des Krim-Szenarios. Demonstranten forderten am Sonntag in Charkow, Dneprpetrows, Lugansk und Donezk ein Referendum, anstelle der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. In Donezk wurde die Gouverneursverwaltung gestürmt, am Montag soll sich ein neues Parlament konstituieren, das möglicherweise wie auf der Krim eine unabhängige Südost-Ukraine ausruft und den Anschluss an Russland fordert.
Auch in Odessa hat es seit der Absetzung von Ex-Präsident Janukowitsch mehrere dieser Aufmärsche gegeben. Die Stadt liegt an der Westküste des Schwarzen Meeres, bis Transnistrien sind es keine hundert Kilometer. Transnistrien ist eine selbst ernannte Republik. Sie hat sich von Moldawien losgelöst, trägt den Sowjetstern im Wappen, wird von keinem Staat der Welt anerkannt. Von dort kamen Busse mit prorussischen Provokateuren, die in Odessa Anhänger des Maidan verprügelten. Eines ihrer Opfer: der Pfarrer der deutschen lutherischen Gemeinde Andreas Hamburg.
"Das war am 19. Februar, da haben wir uns an der Gebietsverwaltung versammelt und da kamen vier Busse mit sogenannten Tituschkies. Die liefen auf uns zu, aber ich bin stehengeblieben, weil ich mein Amtsgewand anhatte, ich war zu erkennen als Vertreter der Kirche. Und dann wurde ich zu Boden geschlagen und dann haben sie noch draufgehauen mit Baseball-Schlägern."
Nähe zum moskautreuen Transnistrien
In Transnistrien steht seit Anfang der 90er-Jahre russisches Militär. Was der Regionalpolitiker der Klitschko-Partei UDA, Andrij Yusof in diesen Zeiten ganz besonders beunruhigend findet. "Wir leben nicht in Angst, aber doch mit dem Wissen, dass von Transnistrien eine gewisse Gefahr ausgeht. In Transnistrien ist die 14. Russische Armee stationiert, die sich zwar als Friedenstruppe bezeichnet, tatsächlich aber den Sonderstatus von Transnistrien aufrecht erhält. Wenn diese 14. Armee den entsprechenden Befehl erhält, kann sie in wenigen Stunden hier sein. Wir hier in der Region Odessa müssen einen solchen russischen Einmarsch von transnistrischer Seite zu verhindern. Und auch von der Krim aus. Glückerweise sind unsere ukrainischen Streitkräfte jetzt besser vorbereitet, als noch vor einem Monat."
Seit der Annexion der Krim und ihrer Einverleibung in die Russische Föderation hat sich die Stimmung in Odessa gewandelt, sagt Zofa Kasanschi. Sie hat die Maidan-Bewegung in der Millionenstadt am Schwarzen Meer mitgegründet und beobachtet, dass jetzt die Bürger nicht mehr nur demonstrieren, sondern sich auch viel mehr engagieren. "Wir haben einen Rat der territorialen Verteidigung gegründet. Er soll zum Beispiel organisieren, dass bei einem russischen Überfall Alarm geschlagen wird, und zwar frühzeitig. Es soll wird geprüft, wer legal Waffen besitzen darf. Wir haben begriffen, dass vor allem wir selbst für unsere Sicherheit sorgen müssen."
Seit der Krim-Krise fühlen sich die meisten erstmals als Ukrainer
In Odessa wird Russisch gesprochen, obwohl über 60 Prozent der Einwohner ukrainischer Nationalität sind. Seit der Besetzung der Krim fühlen sich die meisten zum ersten Mal überhaupt als Ukrainer, hört man immer wieder in der Stadt. Auch Mark Schewtschenko sagt das. Er ist Jude, in Odessa geboren. Bis zum Einmarsch der Nazis lebten über 200.000 Juden in Odessa, ein Drittel der Bevölkerung. Heute gibt es über 10.000 Juden, zwei Synagogen. Dass die Maidan-Bewegung antisemitisch sein soll, hält der Journalist für russische Propaganda. Schon Stalin und die Kommunisten hätten jede nationale Unabhängigkeitsbewegung als faschistisch diffamiert.
Schewtschenko schloss sich dem Selbstschutz des Maidan in Odessa an, weil er Polizeiwillkür gegen Demonstranten, gar Schüsse auf sie, in Odessa verhindern helfen möchte. Doch gegen einen drohenden russischen Einmarsch von der Krim übers Meer oder aus Transnistrien ist der Selbstschutz machtlos. "Wir sind nicht bewaffnet. Wir sind keine militärische Einheit. Wir können Zivilisten vor Hooligans schützen, aber gegen Panzer oder Kalaschnikows nicht."
Wolodimir Tartak von der Timoschenko-Partei "Vaterland" kritisiert die Gebietsverwaltung für ihre Untätigkeit. Die solle sich ein Beispiel an Donezk an der russischen Grenze nehmen. "Dort werden Gräben ausgehoben, die von Panzern nicht überwunden werden können. Bei uns bringen sie noch nicht einmal Luftschutzräume in Ordnung. Sie beruhigen sich damit, dass Russland es mit der Krim bewenden lässt und nicht weiter geht." Die Demonstrationen vom Sonntag dürfte diese Zuversicht erschüttert haben.
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