Aus Dneprpetrowsk soll Jerusalem werden
Um sich stärker von Russland abzugrenzen, sollen in der Ukraine 25 Städte und 1500 Straßen umbenannt werden. Doch einige Vorschläge bergen politischen Sprengstoff.
Dneprpetrowsk, so scheint es, nutzt die Gunst der Stunde. Wenn die Stadt schon umbenannt werden soll, dann richtig. Favorit ist die Kürzung auf Dnipró, oder Dnepr wie der gleichnamige Fluss. Darüber gäbe es keinen politischen Streit, und Dnepr nennen die Einwohner jetzt schon ihre Stadt.
Oleg Rostowzew ist das zu simpel. Der Pressesprecher der Jüdischen Gemeinde, die stattliche 50.000 Mitglieder hat, ist für Jerusalem. Jerusalem am Dnipró. Dass der Vorschlag Sprengstoff enthält, wischt er weg.
"Jerusalem ist für uns in Dneprpetrowsk die Stadt des Friedens, des Streits, keineswegs des Streits. viele waren schon in Jerusalem, haben sich an den heiligen Städten verbeugt, kehrten zurück und sagen, hier ist es so ähnlich, neben der Synagoge stehen die Moschee und nicht weit davon entfernt die Kirchen und Klöster. Wir alle respektieren uns samt unserer unterschiedlichen Traditionen."
25 ukrainische Städte, 1500 Straßen sollen innerhalb der kommenden sechs Monate umbenannt werden, Kostenpunkt 5 bis 17 Milliarden Griwna, rund 700 Millionen Euro, fünfzackige Sowjetsterne, Hammer und Sichel fallen dem Meißel zum Opfer. Theoretisch jedenfalls. Der ukrainische Historiker Andrè Portnow, der in Dneprpetrowsk geboren wurde, erinnert sich an einen ähnlichen Versuch.
Mehr als Rhetorik?
"Es gab unter Präsident Juschtschenko ein Gesetz über die Demontage der sowjetischen Denkmäler. In Dnepropetrowsk wie auch woanders stehen aber immer noch Denkmäler von Dschersinski Petrow, Kirow, weil die Stadt gesagt hat, das entscheiden wir, nicht Kiew. Jetzt ist die Frage, ob solch Gesetz dieses Mal umgesetzt wird oder nur Rhetorik bleibt."
Wer die sowjetische Hymne singt, soll mit fünf Jahren Haft bestraft werden können. Die Ukraine habe sich nie richtig mit ihrer Geschichte befasst, kritisiert der Historiker, mit dem Gesetz sei die Diskussion zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen habe. Gegner finden das Gesetz zumal in Kriegszeiten hochgefährlich, weil es die Bevölkerung in Ost und West weiter spalte, den Älteren die Identität raube, die Spannungen anheize. Laut Historiker Portnow verstößt es gegen die Verfassung, nach der nur lokale Volksvertreter entscheiden, wie ukrainische Straßen oder Städte heißen, nicht die Werchowna Rada, also das Parlament in Kiew, nicht der Präsident.
Distanz per Gesetz
Er unterschrieb das Gesetz, um sich von Russland abzugrenzen. Per Sprache und Kultur geht das nicht, aber mit dem gesetzlichen Verbot kommunistischer Symbole oder der Demontage von Denkmälern kann man eine Linie zwischen der Ukraine und Russland ziehen.
Auch Oleg Rostowzew, der aus Dnepropetrowsk Jerusalem am Dnepr machen will, geht es um größtmögliche Distanz zu Moskau:
"Russland ist wie die Sowjetunion und demonstriert das ständig. Sie sorgt sich, wenn irgendwo, in der Republik Moldau oder in Dneprpetrowsk ein Lenin-Denkmal gestürzt wird, wenn dieses Scharfrichters, Mörders und Tyrannen nicht mehr gedacht wird. Die wahre Errungenschaft des Maidan war die Loslösung von der sowjetischen Vergangenheit."
Dneprpetrowsk erinnert an Grigori Petrow, einen Bolschewiken und engen Freund Lenins. Pragmatiker würden gern in der Stadtgeschichte ein anderen Petrow oder Pjotr finden, dann könne der Name bleiben wie er ist. Etliche Orte tragen Dserschinski, den KGB-Gründer, in ihrem Namen. Was ist mit Juri Gagarin, dem ersten Kosmonauten, den sowjetischen Schriftstellern? Und wie reagieren die pro-russischen Separatisten auf das Gesetz: Machen sie aus Lugansk wieder das alte Woroschilowgrad, wie die Stadt bis 1992 hieß?