Ukraine

Das Jahr nach Janukowitsch

Am 20.02.2014 kam es auf dem Maidan zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.
Unabhängigkeitsplatz in Kiew vor einem Jahr - zur Ruhe kommt die Ukraine auch weiter nicht. © dpa / picture alliance / Andreas Stein
Von Sabine Adler |
Ein Jahr nach seinem Sturz wollen viele Ukrainer den Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch vergessen. Allerdings nennt sich Janukowitsch weiter Präsident, und eine Riege reicher Oligarchen hält sich immer noch im Parlament. Journalisten sehen in der Korruption das größte Problem für einen Neuanfang.
Es war ein strahlend sonniger Donnerstagmorgen, als der ukrainische Präsident das Feuer auf die Demonstranten in Kiew eröffnen ließ. Einen Tag später nahm der Maidan Abschied von den über hundert Toten, aufgebahrt in offenen Särgen. Die Stunden von Viktor Janukowitsch waren gezählt. Inzwischen ist allen bewusst: Die Toten vom Maidan waren erst der Anfang. Mindestens 5500 Menschen verloren im Krieg ihr Leben, die Opfer von Debalzewe noch nicht mitgerechnet, 1,5 Millionen Ukrainer sind auf der Flucht. Russland hat sich die Krim einverleibt, der Osten des Landes steht in Flammen.
Dass der ukrainische Präsident auf seine Landsleute schießen ließ, hatte den Maidan zum Kochen gebracht, und dass man mit Janukowitsch noch verhandelte, wie es die deutschen, polnischen und französischen Außenminister taten.
"Dem haben sie die Hand gegeben, diesem Banditen, Verbrecher, diesem Henker!" - "Warum sind sie nicht alle gefeuert worden, Janukowitsch, Generalstaatsanwalt Pschonka, der Geheimdienst?"
"Er tritt nicht zurück", erklärt Vitali Klitschko. "Das ist nicht realistisch."
Einmal ohne Korruption leben - ein Traum
Einen Tag später hatte sich Janukowitsch nach Russland abgesetzt. Wer gegen ihn auf die Straße gegangen war, hat als Grund zuerst die Korruption genannt, wie dieser Demonstrant aus Iwano-Frankowsk: "Wir wollen eine andere demokratische Ukraine, damit unsere Kinder mal ohne Korruption leben, zum Arzt oder zu einem Beamten gehen können, ohne ihn erst schmieren zu müssen."
Für Sergej Leschtschenko, den in der Ukraine bekannten investigativen Journalisten, der heute im Parlament sitzt, ist die Korruption die Ursache für den Krieg: "Die Korruption ist sogar noch schlimmer als der Krieg, denn wenn man mal zurückverfolgt, warum der Krieg geschehen konnte, kommt man darauf, dass Janukowitsch ein Produkt der Korruption ist, sie schufen ihre Partei, ihre Regierung, klauten, machten sich die russische Propaganda zunutze. Korruption war der wichtigste Faktor, das wichtigste Motiv für den Einfluss der Oligarchen auf die Politik."
Janukowitsch wird der Verrat der Ukraine an Russland, die gezielte Schwächung der Armee, die Aufhetzung der Ostukraine gegen Janukowitsch-Kritiker in Kiew vorgeworfen, den materiellen Schaden, den Janukowitsch durch die Schaffung verbrecherischer Banden der Wirtschaft zugefügt habe, wird auf 100 Milliarden Griwna, rund 30 Milliarden Euro geschätzt. Diese Zahl nannte Generalstaatsanwalt Vitali Jarema, der kein Jahr im Amt war. Er wurde abgesetzt. Die junge Abgeordnete Hanna Gopko nennt den Grund.
"Der Generalstaatsanwalt hat weder gegen Janukowitsch noch Arbusow, den Ex-Premier ermittelt. Auch nicht gegen die, die die Leute auf dem Maidan getötet haben."
"Ich schlage vor, Janukowitsch zu vergessen"
Ein Jahr nach seiner Flucht darf sich Janukowitsch nicht mehr Präsident nennen.
"Ich schlage vor, Janukowitsch zu vergessen und unser Land aufzubauen", so der Abgeordnete Andrij Teteruk, der dem Parlament vor zwei Wochen vorschlug, Janukowitsch den Titel Präsident zu entziehen. Doch Janukowitsch einfach vergessen? Geht nicht, sagt der Wirtschaftsjournalist Oleg Bazar, denn noch sei das System Janukowitsch allgegenwärtig.
"Bei den Steuern und beim Zoll. Staatliche Aufträge werden ein wenig transparenter vergeben, da gibt es einen gewissen Fortschritt. Die intransparenten Ausschreibungen und Geschäfte sind weniger geworden, aber bei den Finanzbehörden, dem Zoll oder auch wenn es um Zulassungen geht, ist alles so wie es war."
Auch die mächtigen Oligarchen nähren das System vom Geben und Nehmen. Doch inzwischen wurden die völlig überflüssigen, aber umso gierigeren Zwischenhändler beseitigt, die am Import von Erdöl- und Erdgas aus Russland verdienten und zu denen auch Julia Timoschenko gehört hat. Nur ein erster Erfolg, sagt der Investigativjournalist Leschtschenko. Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, muss zwar gerade zusehen, wie seine Betriebe in der Ostukraine schrottreif gebombt werden, doch an undurchsichtigen Geschäften verdienten er und andere Oligarchen munter weiter, so Leschtschenko.
"Die in Achmetows Kraftwerken erzeugte Wärme ist die teuerste auf dem Markt. Strom aus staatlichen Atomkraftwerken ist weit günstiger. Der Oligar Dmitri Firtasch verdient am Erdgas, das für die Bevölkerung bestimmt ist. Das wird billig verkauft, Gas für die Industrie dagegen teuer. Firtasch hat Chemiefirmen, die sehr viel Gas verbrauchen. Über das Gasnetz, mit dem die Bevölkerung versorgt wird, geht viel billiges Gases verloren und gelangt in seine Betriebe, wo eigentlich viel teureres Gas genutzt werden müsste. Das macht seine Unternehmen rentabel. Erdöl, Erdgas, Energie sind alles Bereiche, in denen die Korruption immer noch blüht."
Poroschenko ist der erste Oligarch im höchsten Staatsamt
Igor Kolomojski aus Dneprpetrowsk verdient mit an Ukrneft, einem halbstaatlichen Erdöl- und Erdgasförderer, ebenfalls intransparent. Alle Oligarchen besitzen eigene Fernsehkanäle, saßen selbst im Parlament oder hatten dort ihre Leute, im Fall von Petro Poroschenko ist es jetzt der Sohn. Poroschenko ist der erste Oligarch im höchsten Staatsamt. An sein nicht erfülltes Versprechen, seine Unternehmen zu verkaufen, möchte er nicht erinnert werden, wie hier auf einer Pressekonferenz, als es um seine Schokoladenfabrik ging.
"Ich empfehle Ihnen, die Fragen zu Roschen bei Roschen zu stellen, da wird man Ihnen antworten, ich habe damit nichts zu tun."
Rund 50 von 450 Abgeordneten gelten als wirklich unabhängig. Sie wollen, dass der Staat - nicht mehr die Oligarchen - die Parteien finanziert, denn wenn das weiter die Oligarchen tun, ziehen sie zehnmal Geld mehr aus den Kiewer Kassen als eine staatliche Parteienfinanzierung kosten würde, und das wo die Ukraine jede Griwna für ihre Verteidigung braucht.
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