Ukraine

Das Leben nach dem Krieg

Von Sabine Adler |
Im Osten der Ukraine scheint die Waffenruhe halbwegs zu halten - und in den bislang umkämpften Städten versuchen die Menschen, sich wieder einen Alltag aufzubauen. Zum Beispiel in Slawiansk: Dort werden Trümmer beseitigt, Straßen repariert - aber ein Thema ist unter den Menschen tabu.
Anatoli fährt wie ein Henker und telefoniert ohne Unterlass. Was benötigen die Armeeeinheiten, die Freiwilligenbataillone, wo müssen Verletzte aus dem Kriegsgebiet herausgeschafft werden, Kinder. Das jüngste war vier Stunden alt.
"Es gibt viele Bürger, die uns sagen, wo der Gegner steht. Viele, die verletzte Kämpfer verstecken und pflegen. Das sind nicht zehn oder 20, sondern Hunderte Bürger."
Der 45-jährige schmächtige Mann war zu Sowjetzeiten Berufssoldat, Scharfschütze. Er kann die Toten nicht wieder zum Leben erwecken, aber Schuld abtragen, indem er jetzt hilft, unnötige Opfer zu vermeiden und er will seine Heimat verteidigen, auf seine Weise. Kaum jemand kennt sich besser aus im Donezker und Lugansker Gebeit als Anatoli, Er weiß, was militärisch läuft und politisch. Hat Drähte zur Lugansker Gebietsverwaltung. Die sitzt, seitdem die Separatisten Lugansk beherrschen, im Exil in Swjatoje.
"Lugansk ist unter vollständiger Kontrolle der russischen Armee", sagt Dmitri Lugin, leitender Beamter der verdrängten Gebietsverwaltung. Russische Armeeingenieure reparieren das Stromnetz, das sie jetzt mit dem russischen, nicht mit dem ukrainischen verbinden. In den Lugansker Schulen wird bereits nach russischem Lehrplan unterrichtet. Die einzige ukrainisch-orthodoxe Kirche in Lugansk wurde geschlossen, der Priester davongejagt. Alle ukrainischen Fernsehkanäle wurden abgeschaltet.
"Russische Soldaten gehen von Tür zu Tür"
Dank Anatoli war der Verwaltungsbeamte im Exil zu einem Gespräch abends um 10 Uhr bereit. Auf den Straßen rollen Panzer und Raketentransporte, Anatoli rast durch die Nacht. Seit Monaten schläft er keine drei Stunden am Tag. In einem namenlosen Dorf hält er an, streckt sich.
"Meine Leute berichten, dass in Lugansk und Donezk russische Soldaten von Tür zu Tür gehen, mit Lebensmitteln, Dosenfleisch, Buchweizen, Öl. Sie inspizieren die Familien. Wenn sie Rentner antreffen, bekommen die 1.000 Rubel, Kinder 500 Rubel. Unsere Währung ist die Griwna. Alle sind registriert und man schlägt den Bürgern dann vor, sich einen russischen Pass zu holen."
Anatoli fährt weiter zu den regulären Truppen. Zu Oleg, Kommandeur der 93. Brigade, nicht weit vom Flughafen von Donezk: Oleg hat im Irak gekämpft und hier in der Heimat bereits Dutzende seiner Soldaten verloren. Auch für Olegs Männer übernimmt Anatoli Kurierdienste und fährt mit dieser Nachricht weiter:
"In Krasnij Lutsch bei Lugansk hat sich die russische Armee von der Stadt einen Platz für einen Friedhof geben lassen. Sie wollen hier in der Ukraine ihre Soldaten heimlich begraben, damit weniger Särge zurückgeschickt werden müssen. Die Familien erhalten dann nur die Mitteilung: Vermisst."
Stinksauer auf die Regierung
Weiter geht es nach Slawiansk. Dort dient ein Freiwilligenbataillon aus Kiew. Ilja ist mit 44 der Älteste, im zivilen Leben Headhunter. Ilja ist stinksauer auf die Regierung, weil die die ukrainischen Soldaten und Freiwilligen miserabel ausstattet.
"Uns haben sie nur mit einer Kalaschnikow hierher geschickt. Mit der richtest Du nicht mal gegen ein Maschinengewehr etwas aus. Sie senden uns an die Front mit einer Ausrüstung wie Partisanen."
Ilja steht bewaffnet in Uniform mit Schutzweste vor dem Springbrunnen in Slawiansk, das er Anfang Juli mit zurückerobert hat. Zwei junge Mädchen, Lera und Angelina, schlendern untergehakt über den Platz. Die Gesichter sind ernst.
"Es war so furchtbar. Jetzt ist es glücklicherweise endlich ruhig. Darauf haben wir lange gewartet."
"Wir verbrachten die Nächte in den Kellern. Am schrecklichsten war die letzte Nacht vor der Rückeroberung. Da wurden wir aus allen Richtungen beschossen."
Symbolisches Stadtfest in Slawiansk
Die 16-Jährigen erlebten die drei schrecklichsten Monate ihres Lebens. Inzwischen sind die Ruinen der zerstörten Häuser abgetragen, Bäume gepflanzt, die Hauptstraßen repariert. Pawel Korotenko, Journalist des Lokalblattes, versucht sich zu freuen:
"Dieses Stadtfest hat symbolische Bedeutung. Uns geht es wieder gut. Wenngleich der eine oder andere enttäuscht ist von den Separatisten, die er unterstützt und für die er im Referendum gestimmt hat. Keiner redet darüber, schon während der Okkupation hat man einander nicht gefragt, ob man für oder gegen die Separatisten ist. Man vermied und vermeidet es, über Politik zu sprechen."
Während die Bewohner von Slawiansk Bier trinken und sogar singen, sitzt Anatoli rauchend am Springbrunnen. Im nahen Restaurant etwas essen mag er nicht, Nüsse und Kaffee genügen, Hauptsache er bleibt wach.
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