Ukraine

Demonstranten fordern Amnestie für Regierungsgegner

Von Florian Kellermann |
Antidemokratische Gesetze wurden kassiert, der Premier ist zurückgetreten. Doch das reicht der Opposition in Kiew noch nicht. Jetzt geht es um Amnestie für inhaftierte Aktivisten - und eine Änderung der ukrainischen Verfassung.
Die Oppositionspolitiker haben sich in der Nacht mit Vertretern der Demonstranten getroffen. Die wichtigste Frage: Wie sollen die Janukowitsch-Gegner heute, am zweiten Tag der Parlaments-Sondersitzung, vorgehen? Gestern nahmen die Abgeordneten die vor über einer Woche beschlossenen antidemokratischen Gesetze zurück, den Demonstranten droht keine langjährige Haftstrafe mehr. Bei der heutigen Sitzung geht es darum, für die verhafteten und verschwundenen Aktivisten zu kämpfen sagte der Oppositionspolitiker Oleh Tyahnybok auf dem Unabhängigkeitsplatz.
"Ihr müsst Euch vorstellen: Viele von ihnen sitzen bei diesen Frosttemperaturen in ungeheizten Gefängnissen. Sie werden geschlagen und gefoltert. Das sehen wir an den Verletzungen bei denen, die wir aus der Gewalt der Polizei befreien konnten. Wenn sie wieder in Freiheit kommen, sind sie in der Regel verletzt."
Janukowitsch fordert eine Räumung der besetzten Gebäude
Tjahnybok gab sich Mühe, die Menschen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz darauf vorzubereiten, dass die Opposition Kompromisse eingehen wird. Welche das sein werden, steht bisher noch nicht fest. Präsident Viktor Janukowitsch bietet an, alle Festgenommenen freizulassen und einem Amnestie-Gesetz zuzustimmen. Als Bedingung dafür nennt er aber: Die Proteste müssten aufhören, die Menschen sollen ihre Barrikaden verlassen und die besetzten Gebäude räumen.
Dazu sind die Demonstranten nicht bereit, jedenfalls noch nicht. Sie trauen Janukowitsch nicht, und auch die Opposition, der das Staatsoberhaupt eine Regierungsbeteiligung angeboten hat, beäugen sie mit Skepsis. Es könnte ja sein, dass sie sich an der Macht beteiligen lässt, so die Befürchtung, und dann die Menschen, die sie dorthin gebracht haben, vergisst.
Davon könne keine Rede sein, beteuerte heute der Oppositionspolitiker Arsenij Jatzenjuk von der "Vaterlandspartei".
"Die Proteste aufzugeben, ist derzeit überhaupt nicht akzeptabel. Deshalb gehen die Verhandlungen weiter, bis wir zu einer Lösung kommen."
Die Opposition steckt in einer Zwickmühle
Ein Kompromiss könnte in einer Verfassungsänderung bestehen, die die Vollmachten des Präsidenten beschneidet und das Parlament stärkt. Die Gefahr, dass die Ukraine in eine Diktatur abgleitet, wäre damit gebannt. Für so eine Verfassungsänderung gebe es auch Unterstützung in der "Partei der Regionen" von Präsident Janukowitsch, sagte deren Abgeordneter Jewhenij Balitzkyj.
"Etwa ein Drittel meiner Fraktionskollegen ist dazu bereit. Das habe ich bei Gesprächen festgestellt. Wir beugen uns da ja auch nicht dem Druck der Demonstranten. Eine Demokratie mit starkem Parlament ist einfach die bessere Staatsform."
Das Amnestiegesetz ist der eine Punkt, bei dem die Opposition ihre Verhandlungsposition noch nicht geklärt hat. Der andere ist die Regierungsbeteiligung, die Janukowitsch anbietet. Sie befänden sich hier in einer Zwickmühle, sagen die Oppositionspolitiker. Bei den Menschen auf der Straße wollen sie nicht den Eindruck erwecken, als ob es ihnen um Posten gehe. Andererseits könnten sie sich nicht vor der Verantwortung drücken, sagte Oleh Tjahnybok. Zumal Politiker aus der EU und den USA, mit denen sich die Oppositionellen beraten, eine Machtteilung derzeit für eine gute Lösung halten.
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