Ukraine

Der hohe Preis der Krise

Proteste auf dem Maidan in Kiew
Proteste auf dem Maidan in Kiew © picture alliance / dpa
Irina Busygina im Gespräch mit Gaby Wuttke · 14.02.2014
Die russische Politologin Irina Busygina sieht in der ukrainischen Krise einen Test für die Beziehungen zwischen der EU und Russland. Diese würden sich auf absehbare Zeit nicht verbessern, sagte sie im Deutschlandradio Kultur.
Gabi Wuttke: Eine unerfreuliche Überraschung war das für den russischen Außenminister Sergei Lawrow, als er feststellen musste, dass die EU und die USA die freie Wahl in der Ukraine mit der Ausrichtung nach Europa gleichsetzten. Das schrieb er, bevor er Besuch aus Deutschland bekam, von seinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier. Dort, wo Sergei Lawrow studiert hat, lehrt Irina Busygina, an der Hochschule des Außenministeriums der Russischen Föderation. Sie ist Professorin im Institut für Internationale Beziehungen und jetzt, wenige Minuten, bevor die politischen Gespräche des deutschen Außenministers mit seinem russischen Kollegen beginnen, in Moskau am Telefon. Einen schönen guten Morgen!
Irina Busygina: Guten Morgen, Gabi!
Wuttke: Was macht die EU in der Ukraine, was Russland nie tun würde?
Busygina: Das ist eine gute Frage. Und diese Frage ist natürlich sehr schwer zu beantworten. Ich würde sagen, ich sehe gar nichts, was die Europäische Union macht, das die Russische Föderation nicht tun. Aber ich kann sagen, was Russland irritiert. Und die Russen irritiert natürlich die Situation, wenn die Ukraine so eine Wahl hat. Entweder oder. Und das ist natürlich sehr peinlich für die Ukraine, für die Bürger der Ukraine, dass sie sich nur orientieren können entweder nach der Europäischen Union und so, quasi gegen Janukowitsch, oder nach Russland. Das ist natürlich peinlich, und das ist eine so schwere Situation für die Ukraine, aber auch und vielleicht insbesondere für die Beziehungen der Russischen Föderation und der Europäischen Union im Moment.
Wuttke: Was genau ist das Peinliche?
"EU und Russland haben sich Moment nicht viel zu sagen"
Busygina: Das Peinliche ist, dass sich die Ukraine erstens in der Situation befindet … wenn die Regierung nicht weiß, wo sie weitermachen soll. Peinlich ist auch, dass der Preis dieser Krise meiner Meinung nach für beide Seiten sehr hoch ist. Es gibt auch einen finanziellen Preis für Russland, weil das bedeutet für Russland einen sehr großen Kredit für die Ukraine und auch sinkende Preise für das russische Gas, welches Kiew einkauft. Aber es gibt auch einen politischen Preis. Und dieser politische Preis ist noch mal, dass es eine seriöse und ernsthafte Erkältung in den Beziehungen zwischen der EU und Russland gibt. Und diese Beziehungen waren auch nicht rosig. Und das ist, ich würde sagen, es geht zum ersten mal um eine direkte geopolitische Auseinandersetzung zwischen Moskau und Brüssel. Das ist zum ersten Mal so direkt. Und ich wollte auch vielleicht sagen, wenn ich darf, das Opfer dieser Erkältung ist das Projekt über das visafreie Regime zwischen Russland und der EU. Das ist im Moment nicht möglich.
Wuttke: Was könnte denn das Verhältnis zwischen Russland und der EU verbessern?
Busygina: Das weiß ich nicht. Sie können natürlich über das Projekt, also Greater Europe, ja, "Größeres Europa", reden. Aber ich würde sagen, im Moment gibt es nicht direkte, ich würde sagen, keine so direkten Maßnahmen in absehbarer Zeit, die die Beziehungen verbessern. Das sehen wir in der … (Anmerkung der Redaktion: Wort nicht verständlich.), die regelmäßig organisiert werden. Und ich würde sagen, das ist ein Test. Die ukrainische Krise, das ist ein Test. Und dieser Test zeigt, dass die Europäische Union und Russland im Moment einander nicht viel zu sagen haben.
Wuttke: Ist es denn tatsächlich ein Test, ob die strategische Partnerschaft zwischen Russland und der EU Bestand hat? Würden Sie so weit gehen?
Busygina: Ja, vielleicht würde ich so weit gehen, weil das ist eine strategische Partnerschaft. Was ist eigentlich strategische Partnerschaft? Was ist strategisch in der Partnerschaft? Das ist immer die Frage, die ich stelle. Okay, wir sind geografisch nahe und wir haben sehr gute Kontakte im Wirtschaftsbereich. Ich meine Öl und Gas und solche Sachen. Aber politisch und von den Werten – funktional geht es sehr gut, und das kann nicht anders sein. Aber politisch ist es eine andere Frage.
Wuttke: Gehört denn in diese politische Frage hinein, das, was der deutsche Außenminister genauso angesprochen hat wie der russische Außenminister, nämlich, dass ein gemeinsames europäisches Haus auch gemeinsame Werte haben muss? Ist das ein Teil des Problems?
"Russland will Anerkennung seiner Rolle als globale Macht"
Busygina: Ja, natürlich. Aber dieses gemeinsame europäische Haus, das ist nur ein Konzept. Was es praktisch bedeutet, ich würde sagen, das weiß noch keiner. Was heißt das? Mehr Sicherheit, das wäre schön, aber das ist nicht die Lage jetzt, wenn wir noch mal die … (Anmerkung der Redaktion: Wort nicht verständlich.) sehen, wenn wir die ukrainische Krise sehen. Und für mich, vielleicht kann ich das auch noch sagen, dass meiner Meinung nach das Hauptziel der russischen Regierung eine neue Einschätzung und Anerkennung der Rolle Russlands als globale und regionale Macht ist. Und als attraktiver Partner und so weiter.
Wuttke: Was hat Russland anzubieten dafür?
Busygina: Ja, was hat Russland da anzubieten? Ich würde sagen, Russland hat was zu bieten, aber wenn es um diese Integrationsversuche geht, die Russland immer macht, um den postsowjetischen Raum um sich herum zu integrieren. Ich meine Weißrussland, Kasachstan und ein paar zentralasiatische Länder. Aber was hat Russland der Ukraine zu bieten, das ist die Frage, und zu welchem Preis. Mit der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, das ist überhaupt keine klare Anbietung von der russischen Seite. Aber ich würde sagen, was Russland jetzt macht, das ist ein klares Signal, dass Russland keine Angst mehr vor Kontroversen und Meinungsunterschieden mit den USA und den europäischen Ländern hat.
Wuttke: Die Ukraine als Zünglein an der Waage im Verhältnis Russlands zur Europäischen Union. Dazu Irina Busygina, die Professorin für Internationale Beziehungen an der Hochschule des Außenministeriums der Russischen Föderation. Ich danke Ihnen sehr! Einen guten Tag in Moskau.
Busygina: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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