Die Demokraten nicht allein lassen
Nun dürften auch dem letzten Optimisten die Augen geöffnet worden sein, was in der Ukraine passiert. Schnelle Sanktionen gegen Oligarchen und Machthaber samt Familienanhang sind unverzichtbar.
Nach dieser blutigen, tödlichen Nacht in Kiew wurde heute an vielen Orten in Europa über fällige Konsequenzen nachgedacht. Westlich der Ukraine regiert die Forderung nach Sanktionen. Noch bevor die Bundeskanzlerin an der Seite des französischen Präsidenten in Paris vor Kameras und Mikrofone trat, nahm − an sich schon bemerkenswert − der Bundespräsident in Berlin Stellung.
"Es ist nicht hinnehmbar, was wir dort erleben", sagte Joachim Gauck in Berlin und fügte hinzu, "wir stehen an der Seite derer, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen." Und so vorsichtig, wie sein Amt es gerade noch erlaubt, nimmt er das Wort Sanktionen in den Mund. Wer hinhört, weiß danach, dass er diese für überfällig hält.
Ablenkungsmanöver und Eskalation
Seit Monaten wird über Sanktionen diskutiert, vorsichtig, wie es typisch ist für diese Europäische Union. Eine Vermittlungsmission jagte die nächste, immer wieder gab man sich der Hoffnung hin, ein politischer Durchbruch könne gelingen. Die letzte Nacht dürfte auch dem letzten Optimisten die Augen geöffnet haben. Die Zugeständnisse von Janukowitsch und Konsorten erscheinen jetzt als Ablenkungsmanöver. Noch während Gefangene freigelassen wurden, liefen die Planungen für den gezielten Einsatz der letzten 24 Stunden.
War diese Eskalation zu vermeiden? Was wäre gewesen, wenn Oppositionsführer wie Klitschko und Jazenjuk nach ihren Reisen der vergangenen Wochen, mehr zurückgebracht hätten als warme Worte? Hätte man mit konkreten Zusagen radikale Elemente auf dem Maidan beruhigen können? Noch vorgestern waren die beiden im Kanzleramt. Insbesondere Jazenjuk hat in Berlin deutlich gemacht, dass es jetzt vor allem und in erster Linie darum gehen müsse, Blutvergießen zu verhindern. Inständig forderten beide die Sanktionen, denen man sich vorgestern noch verweigerte und die heute als richtig, ja als zwingend bezeichnet werden.
Eine allumfassende Staatskrise
Natürlich ersetzen Kontosperrungen und Einreiseverbote kein politisches Konzept für eine Befriedung der Lage in Kiew, genauer muss man sagen, der Lage in der Ukraine, denn dies ist längst mehr als ein Aufstand, es ist eine allumfassende Staatskrise. Doch schnelle Sanktionen gegen Oligarchen, gegen Machthaber wie Viktor Janukowitsch samt Familienanhang sind unverzichtbar, wenn die heutige Botschaft des Bundespräsidenten, "Wir Europäer lassen die Demokraten dort nicht allein", Substanz bekommen soll.
Gleichzeitig gilt: Dieser Konflikt ist nach den tragischen Ereignissen der letzten Stunden noch schwieriger von außen zu beeinflussen. Wenn die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens morgen zusammen nach Kiew reisen, dann ist das zwar einerseits ein Signal der Entschlossenheit, doch andererseits muss auch klar sein: Steinmeier, Fabius und Sikorski sind Partei, sie sind keine Vermittler. Noch immer steht die Ukraine vor der Entscheidung zwischen Ost und West, eine Entscheidung, die das Land zu zerreißen droht.