Die "Macht-Kontrolleure" vom Maidan
Anders als im Osten der Ukraine herrscht auf dem Maidan in Kiew mittlerweile Ruhe und fast so etwas wie Normalität - wenn dort nicht nach wie vor Zelte und Barrikaden stünden.
Alle illegal besetzen Gebäude, Straßen und Plätze müssen geräumt werden. Diese Forderung der Genfer Erklärung vom vorigen Donnerstag auf den Maidan zu übertragen, wagt nicht einmal die ukrainische Führung, die selbst aus der Maidan-Bewegung hervorgegangen ist. Denn der Platz ist nicht wie jeder andere, spätestens seit dem Februar dieses Jahres, als rund 100 Menschen bei den Kämpfen erschossen wurden. Dabei wirkt der Platz vor allem in der Frühlingssonne schon fast wieder wie früher, vielleicht sogar noch besser, weil immer noch Autos frei.
Zwischen den Zelten kein Stäubchen, die Barrikaden entrümpelt. Die heraus geklopften Pflastersteine akkurat gestapelt für die Wiederherstellung der Wege. Doch die vielen Grablichter auf dem Maidan und der Konflikt in der Südost-Ukraine mahnen, erinnern an die Sorge im Land. Die Trauer hat Platz, das Bedauern über die ungeheure Eigendynamik der Protestaktion wird dagegen erstickt.
5000 Demonstranten?
"Wozu darüber nachdenken, was hätte verhindert werden können? Schauen wir lieber nach vorn", sagt Roman Chanin, der wie ein flinker Wiesel über den Maidan flitzt. 5000 Aktivisten harren hier noch immer aus. Ob und was die verkehrt gemacht haben, werde die Geschichte zeigen, nur Gott, nicht der Mensch dürfe richten, sagt der 31-Jährige Jurist.
5000 auf dem Maidan erscheinen reichlich übertrieben. Mit dem Amtsantritt der Übergangsregierung seien die Politiker vom Madian verschwunden und mit ihnen jede Unterstützung.
"Abends haben wir nicht mal mehr Licht für die Bühne. Die Minister werden eingeladen, Rechenschaft über ihre ersten Tage im Amt abzulegen, aber sie kommen nicht. Wir wollen doch beurteilen, ob sie ihre Sache gut machen und wenn nicht, sie austauschen."
Seit dem 6. Dezember ist Roman Chanin hier, anfangs war er Demonstrant, dann auf den Barrikaden. Er will bleiben, auch nach der Präsidentschaftswahl Ende Mai. Als Wirtschaftsleiter organisiert er die Versorgung der Aktivisten, beschafft täglich 1500 Leibe Brot. Wenn niemand Wurst und Käse spendet, werden Schmalzstullen mit Gurken verteilt, für Kohlsuppe reicht das Geld aus den Sammelbüchsen bislang auch. Ständig werden Einweggeschirr, Spülmittel, Toilettenpapier, Rasierzeug, Duschgel benötigt, damit die Männer satt und sauber sind, darauf legen sie hier wert. Roman Chanin bittet um Sachspenden, nicht um Geld.
Mit einem Rollkragenpullover unter dem Tarnanzug sitzt Viktor hinter der Essensausgabe. Bis Mittag dauert es noch, Viktor knabbert an seinen schwarzen Fingernägeln. Der 29-Jährige könnte ein Bad vertragen. Seit dem 19. November lebt er in einem der Zelte.
"Ich habe im Moment überhaupt keine Aufgabe. Der Rat entscheidet, was weiter wird."
Ob er zum Beispiel in die Ost-Ukraine geschickt wird.
"Es geht jetzt darum, Ordnung zu schaffen, in Donezk und Charkow."
Misstrauen gegenüber der Übergangsregierung
Für die Barrikadenbauer dort hegen die Männer auf dem Maidan nicht die geringste Sympathie, das seien pro-russische Kräfte. Sie hier hätten dafür gekämpft, weg von Moskau zu kommen, nach Europa, das Regime Janukowitsch und die allgegenwärtige Korruption zu beseitigen. Deswegen fährt der eine Teil der Maidan-Aktivisten zu Pro-Ukraine-Kundgebungen ins Donezk-Gebiet, der andere bleibt auf dem Maidan.
"Nicht alle können sofort dorthin geschickt werden. Ich war zwei Mal da."
Die jetzt noch auf dem Maidan ausharren, lassen die Übergangsregierung, den neuen Präsidenten, das neue Parlament nicht aus den Augen. Der Maidan sei das Volk, er hüte das Maidan-Erbe, anderen demokratischen Kontrollinstanzen traue er nicht.
Viktor möchte seinen Nachnamen nicht nennen, er kommt aus Lasawai, bei Charkow. Seit Dezember war er nicht mehr in seiner Werkstatt. Wenn alles vorbei ist, will er sich zu Hause eine neue Arbeit suchen, wann das sein wird, bestimme nicht er, sondern der Maidan-Rat.