Die Opposition braucht eine Galionsfigur
Die Chancen auf eine Ablösung von Viktor Janukowitsch stehen gut - aber nur dann, wenn sich die Opposition zusammenrauft und auf eine gemeinsame Leitfigur verständigt, meint Sabine Adler.
Das Volk erhebt sich im ganzen Land, nennt seine Regierung nur noch Bande, die es sich weit weg wünscht und vom obersten Mann im Staate keine Spur.
Seit dem EU-Gipfel in Vilnius ward Viktor Janukowitsch nicht gesichtet, eine müde Presseerklärung, dass der unverhältnismäßige Polizeieinsatz am Samstag nicht sein Fehler gewesen sei, ein Telefonat mit EU-Kommissionspräsident Barroso, dass man den Einsatz untersuchen werde.
Am Abend meldete er sich dann endlich zu Wort. Keine Abschiedsrede, wie mancher unkt, denn Janukowitsch bricht morgen zu einem China-Besuch auf, sondern eine langatmige Erklärung seines unermüdlichen Einsatzes für das Land, dessen Wirtschaft nun offenbar dank chinesischer Investitionen auf die Beine kommen soll.
Ja, dieser Präsident ist an nichts schuld, nicht am Polizei-Einsatz, obwohl es sich um die Berkut-Spezialkräfte handelt, die ihm direkt unterstellt sind, vermutlich glaubt er auch, mit den Protesten nichts zu tun zu haben, denn schließlich war es ja Russland, das den Druck ausübte, so dass die Ukraine gar nicht anders konnte, als sich für die Zollunion mit Moskau und gegen das EU-Assoziierungsabkommen zu entscheiden.
Lavieren, Zusagen, Versprechen
Da sich Janukowitsch bislang in seiner politischen Laufbahn äußerst machtbewusst verhalten hat, sind die Ereignisse der letzten Tage eine unerwartete Entwicklung. Sein Lavieren, hier Zusagen geben, dort Versprechen machen, hätte man ihm zwar nicht mehr lange abgenommen, doch diese Taktik war insofern erfolgversprechender, als dass sie jeden Demonstranten ermüdet und vermutlich kaum Massenproteste anfacht.
Insgeheim hatten die Organisatoren des Euro-Maidan mit dem Abebben der Demonstrationen am vergangenen Wochenende gerechnet. Frühestens im Präsidentschaftswahlkampf 2015 hätte das Thema EU wieder die Gemüter erregen können. Gekommen ist es anders.
Auf ein kleines Häuflein schlafender Demonstranten einzuprügeln, Demonstrationen mit der lächerlichen Begründung zu verbieten, man wolle einen Weihnachtsbaum aufstellen, hat mehr Menschen mobilisiert, als es die Oppositionspolitiker allein geschafft hätten. So gesehen können sie dem Präsidenten dankbar sein.
Janukowitsch hat ihnen die Bühne gebaut, auf der sie sich jetzt präsentieren können. Von ihrem Agieren hängt jetzt ab, ob die Ukraine weitere zwei Jahre unter Janukowitsch geführt wird, oder ob es vorgezogene Neuwahlen gibt.
Dafür müssen sich die Vertreter der drei Parteien - Vaterland, von Julia Timoschenko, die nationalistisch angehauchte Svoboda und Vitali Klitschkos Partei UDAR, der Schlag, jetzt zusammenraufen. Sie treten jetzt häufig gemeinsam auf, doch hinter der Bühne wird gestritten, heißt es. Das ist noch nicht bedenklich, nur sollten sie nicht zu viel Zeit darauf verwenden. Die Demonstranten wollen Galionsfigur. Vitali Klitschko bringt die größten Sympathiewerte mit, Arsenij Jazenjuk die meiste politische Erfahrung, Oleg Tjanibok den größten Nationalstolz, der so manchem zu viel sein könnte. Einigen sich die drei nicht, könnten sie ihre Chance verpassen und den Weg der Ukraine nach Europa verlängern.