Ukraine

Gekaufte Politik, verschenkte Zukunft

Blick in ein als Restaurant dienendes luxuriöses Schiff des gestürzten Viktor Janukowitsch.
Blick in ein als Restaurant dienendes luxuriöses Schiff des gestürzten Viktor Janukowitsch. © picture alliance / dpa / Vesa Moilanen
Von Ludmilla Lutz-Auras · 19.03.2014
Die ukrainische Bevölkerung lebt in extremer Armut - und die geringen Verdienste machen die Menschen für Bestechungsgelder empfänglich: Die Bekämpfung der Korruption gehöre zu den größten Herausforderungen, meint Ludmila Lutz-Auras.
Egal, in welche politische Richtung sich die Ukraine bewegen wird, ob gen Europa oder nach Russland – sie wird auf dem Weg dorthin aufpassen müssen, nicht zu stolpern: über die allgegenwärtige Korruption im Land.
Mehr als ein Drittel der Bevölkerung der Ukraine und über 80 Prozent der Rentner leben in extremer Armut. Der Mindestlohn beträgt rund 250 Euro. Diese geringen Verdienste machen die Menschen für Bestechungsgelder empfänglich. Ein Rechtsbewusstsein ist in der Ukraine kaum vorhanden, selbst die Justiz liebt verbotene Präsente.
Sicher: Korruption ist keine Erfindung der Ukraine. Die Berichte über korrupte Machenschaften reichen vom Altertum bis zur Gegenwart. Bestechungsgelder gehören zur Geschäftspraktik in so mancher modernen Demokratie, genauso wie in diktatorisch geführten Staaten. Islamische Länder müssen sich damit ebenso auseinandersetzen, wie das kommunistische China und der Vatikan.
Weltweit liegt das Land auf Platz 144
Doch in der Ukraine beginnt das Leben mit Korruption und es endet damit: Der Arzt auf der Neugeborenenstation wird gleichermaßen mit Gefälligkeiten, mit Geld und kleinen Geschenken bedacht wie das Bestattungsunternehmen. So lässt sich der ohnehin schwere Alltag in der Ukraine etwas erleichtern.
Die Antikorruptionsagentur Transparency International listet die Ukraine als das korrupteste Land Europas auf. Weltweit liegt das Land auf Platz 144, etwa gleichauf mit dem Iran, der Zentralafrikanischen Republik und Nigeria.
Beim großen Nachbarn Russland regieren die Politiker die Oligarchen. In der Ukraine dagegen sind die Politiker selbst die Oligarchen. Korruption wird von oben gesteuert. Zu den Hauptgewinnern der Umverteilung des Staatseigentums in den 1990er-Jahren zählen die heutigen Besitzer von Minen, Stahlwerken und Fußballklubs. Zwei dieser zweifelhaften Multimillionäre heißen Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko.
Seilschaften, Schmiergelder, Einschüchterungen
Die meisten ukrainischen Großunternehmer engagieren sich nebenberuflich als Parlamentarier oder als weitherzige Sponsoren. Dabei pflegen sie Seilschaften, erkaufen sich Einfluss durch Schmiergelder und räumen durch Einschüchterungen ihre Konkurrenten aus dem Weg. Mit geschickten Schachzügen sichern die Oligarchen ihre geschäftlichen Interessen durch politische Macht ab. Auch deshalb steht die Ukraine vor herben Schwierigkeiten.
Sie durchlebt eine innenpolitische Dauerkrise, der Lebensstandard der Bevölkerung ist niedrig, die Bevölkerungszahl sinkt rapide, die Wirtschaft ist marode und die Finanzlage desolat. Mehr noch: Die Ukraine ist de facto bankrott.
Geld allein kann die Ukraine aber nicht retten. Alle potentiellen Geldgeber aus dem Westen verlangen für ihre Rettungsangebote radikale wirtschaftliche Reformen, sie fordern politische Stabilität und zuverlässige Ansprechpartner. Die Lippenbekenntnisse der vergangenen 20 Jahre müssen ein Ende haben.
Ein Marsch durch ein Tal des Schmerzes
Da Geld allein die Ukraine nicht retten kann, braucht das Land tiefgreifende Umgestaltungen. Die oligarchischen Autorität muss gedrosselt und der staatliche Verwaltungsapparat grunderneuert werden.
Ohne ein Ende der allgegenwärtigen Korruption würde der Machtwechsel in Kiew lediglich eine weitere Verschiebung von Einflusssphären bedeuten. Die Korruption muss herausgedrängt werden aus der Politik, aus der Justiz, aus der Wirtschaft und aus dem Alltag der Bevölkerung.
Der Ukraine steht noch ein langer Marsch durch ein Tal des Schmerzes bevor. Doch solange sie diesen Weg nicht antritt, solange sie keinen echten Bewusstseinswandel vollzieht, wird dem Land kein Machtwechsel wirklich helfen.
Ludmila Lutz-Auras wurde 1981 in der Ukraine geboren. Im Alter von zwölf Jahren siedelte sie mit ihren Eltern nach Wismar um, wo sie später das Abitur ablegte. In Rostock sowie an der Lomonossov-Universität Moskau studierte sie Politik- und Verwaltungswissenschaften, Neuere Geschichte Europas sowie Slawische Sprach- und Kulturwissenschaften. Anfang 2012 verteidigte sie ihre Doktorarbeit zum Thema: „Auf Stalin, Sieg und Vaterland! Politisierung der kollektiven Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg in der Russländischen Föderation.“