Janukowitsch will Regierung umbilden
Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hat laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax zugesagt, in der kommenden Woche das Kabinett umzubilden. Zudem will er die vom Parlament im Schnellverfahren beschlossene und umstrittene Verschärfung des Demonstrationsrechts überarbeiten.
Bei einem Krisengespräch zwischen Opposition und Regierung am Donnerstagabend hatte Präsident Viktor Janukowitsch bereits für kommende Woche eine Sondersitzung des Parlaments angekündigt, bei der über einen Rücktritt der Regierung beraten werden soll. Für den Fall, dass Janukowitsch der Opposition nicht entgegenkommt, hatte Oppositionsführer Vitali Klitschko mit einer "Offensive" gedroht. Die Forderungen der Opposition lauten: Janukowitschs Rücktritt und Neuwahlen.
Von der Ernennung des neuen Leiter der Präsidialadministration durch Präsident Janukowitsch fühlt sich die Oppositon jedoch provoziert. Den Posten übernimmt Andrej Kljujew, der Chef des Nationalen Sicherheitsrats. Er gilt als Hardliner, die Opposition macht ihn für Gewalt gegen friedliche Proteste verantwortlich.
Besetzte Verwaltungsgebäude in kleineren Städten
Die Waffenruhe, zu der Regierung und Protestanten am Donnerstag aufgerufen hatten, hat am Freitag gehalten, berichtete Florian Kellermann auf Deutschlandradio Kultur aus Kiew. Auch durch Gespräche zwischen zwischen Demonstranten und Polizeiangehörigen hat sich die Lage in Kiew entspannt. Dennoch hat sich der Protest am Freitag ausgeweitet. In Kiew errichteten Regierungsgegner am Freitag neue Barrikaden, blockierten den Zufahrtsweg zum Amtssitz des Präsidenten und besetzten das Agrarministerium. "Wir brauchen das Gebäude, damit sich unsere Leute aufwärmen können", sagte ein Demonstrant laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax.
Beide Seiten betonten, dass sie ein Blutvergießen verhindern wollen. Öl ins Feuer goß jedoch auch die Entwicklung in einigen kleineren Städten der West- und der Zentralukraine. Dort besetzten Demonstranten Verwaltungsgebäude. So stürmten Bürger im westukrainischen Riwne den Sitz des Bezirksgouverneurs. Sie forderten die Freilassung von Demonstranten. In Tscherkasni, rund 200 Kilometer südlich von Kiew, besetzten Demonstranten zwei Etagen des Hauptverwaltungsgebäudes der Stadt.
Brüssel spricht von einer unerträglichen Lage
Nach dem gewaltsamen Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Regierungsgegner habe der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den ukrainischen Botschafter einbestellt, teilte das Auswärtige Amt am Freitag mit. Ihm soll klar gemacht werden, dass Gewalt der falsche Weg sei. Das Einbestellen eines Botschafters ins Außenministerium kommt einer Verschärfung des Tons in der Diplomatie gleich. Steinmeier hatte zudem am Morgen mit seinem ukrainischen Amtskollegen und mit Oppositionsführer Vitali Klitschko telefoniert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstag per Telefon mit dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch gesprochen.
In Brüssel herrscht Einigkeit darüber, dass die Lage in der Ukraine unerträglich sei, berichtete Kai Küstner am Freitag auf Deutschlandradio Kultur. Wenn sich die Lage nicht entspanne, müsse man Konsequenzen prüfen, so EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Doch setzt die EU vorerst weiter auf Gespräche anstatt darauf, mit konkreten Sanktionen zu drohen. Über Sanktionen gehen die Meinungen der Parteien im Europaparlament auseinander. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle traf sich am Freitag zu einem Vermittlungsgespräch mit Präsident Janukowitsch. Er will zwischen der Regierung und den Demonstranten vermitteln.
Der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz empfiehlt der ukrainischen Opposition, ohne große Vorbedingungen in Verhandlungen mit der Regierung einzutreten. "Ich glaube, man muss unbedingt zu einem Runden Tisch kommen in der Ukraine", sagte er am Freitag im Interview mit Deutschlandradio Kultur.
Video zeigt Misshandlung eines Demonstranten
Nach der Verschärfung des Demonstrationsrechts vor einer Woche waren die Proteste in Kiew in Gewalt umgeschlagen. Die Mehrheit der Regierungsgegner ist zwar weiterhin friedlich, doch bei Straßenschlachten zwischen radikalen Demonstranten und den Sicherheitskräften wurden mehrere Menschen getötet. Die Behörden bestätigten bisher drei tote Aktivisten und Hunderte Verletzte, darunter auch Sicherheitskräfte. Nach Angaben von Ärzten wurden mindestens fünf Demonstranten getötet.
Ein Video, das im Internet kursiert und die Brutalität der Polizei zeigt, hat in der Ukraine massive Empörung ausgelöst. Der gut einminütige Clip zeigt, wie Uniformierte einem offenbar zuvor verprügelten Protestteilnehmer befehlen, sich mitten im Schnee nackt auszuziehen und mit ihnen zu posieren. Zudem schlägt und tritt einer der Beamten den Mann. Von den Behörden wurde die Echtheit des Clips bestätigt. Sie kündigten eine Untersuchung an. "Das Innenministerium der Ukraine entschuldigt sich für die inakzeptablen Handlungen der Menschen in Milizuniformen", hieß es in einer Mitteilung. Laut dem Innenministerium wurde eine Untersuchung eingeleitet. Durch sie will man herausfinden, wann und wo die Aufnahmen entstanden sind.
abr
Mehr zu den Entwicklungen in der Ukraine hören in der Sendung "Ortszeit" ab 17:07 Uhr.