"Bescheidene Schritte sind erreichbar"
Heute treffen die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Putin und Poroschenko, beim Europa-Asien-Gipfel in Mailand aufeinander. Der Politologe Pjotr Fedosov erwartet bestenfalls kleine Fortschritte beim Waffenstillstand und im Gasstreit - unter Vermittlung der EU.
Korbinian Frenzel: Sie sind sich bisher nur einmal begegnet, zumindest in dieser Funktion, die Präsidenten der beiden Länder, die uns ein bisschen 1914 in dieses Jahr gehaucht haben: Russland und die Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko. Im August war das Treffen, das immerhin die Dinge damals etwas beruhigte. Von einer Lösung kann aber noch immer keine Rede sein, noch immer wird gekämpft im Osten der Ukraine, noch immer wird gestorben und noch immer ist nicht ganz klar, ob Russland, Putin eine Ukraine auf dem Weg gen Westen akzeptieren will. Heute ist das zweite Treffen der beiden Männer beim EU-Asien-Gipfel in Mailand. Welche Erwartung hat Russland an dieses Treffen?
Wie sieht das aus Moskauer Perspektive aus? In der russischen Hauptstadt erreichen wir den Politikwissenschaftler Pjotr Fedosov, guten Morgen!
Pjotr Fedosov: Guten Morgen!
Frenzel: Ist Russland die Katze, die mit der ukrainischen Maus spielt, wie es ihr gefällt?
Fedosov: Mir gefällt dieser Vergleich nicht. Es geht um das Leben und um das Wohl von Hunderttausenden, ja Millionen von Menschen. Und dafür ist ein solcher Vergleich viel zu oberflächlich.
"Russland will keine Spaltung der Ukraine"
Frenzel: Wahrscheinlich treibt Ihren ukrainischen Kollegen auch die Sorge um diese Menschen, wahrscheinlich auch ganz stark um, die Sorge seiner Landsleute. Wir haben es im Bericht gehört von Sabine Adler, es wird weiter gestorben, es gab trotz dieser Waffenruhe Todesopfer. Und man kann ja schon den Eindruck eines Katz-und-Maus-Spieles kriegen von der Politik Putins. Jetzt die Ankündigung, die Truppen an der Grenze zur Ukraine abzuziehen, das hat er schon einmal angekündigt und dann ist nichts passiert. Ist das nicht ein ziemliches Verwirrspiel?
Fedosov: Soviel ich verstehe mit dem Abzug der Truppen, ist einiges doch passiert, aber nicht in dem Maße, wie es erwartet wurde oder wie es vielleicht versprochen wurde. Das ist auch nicht das erste Mal, dass die Behauptung der russischen Regierung und der amerikanischen oder europäischen Regierungen auseinanderklaffen. Festzustellen, auf welcher Seite die Wahrheit liegt, ist sehr kompliziert.
Worum es wirklich der russischen Regierung geht, soweit ich das einschätzen kann, ist die Fortsetzung und auch der inhaltliche Ausbau des Waffenstillstandes, damit dieser vorübergehende, zeitlich begrenzte Waffenstillstand in der Endkonsequenz hinüberwachsen kann in einen dauerhaften Frieden im Osten der Ukraine, wo Millionen von Menschen – da sind insgesamt sechs Millionen – leben, von denen die meisten, soweit man das einschätzen kann, in einer einheitlichen Ukraine nicht weiter leben wollen.
Das Problem für Russland besteht darin, dass Russland nicht eine Spaltung der Ukraine will, Russland will auch nicht die Verantwortung für Donbass übernehmen, das wäre eine viel zu große Last für die russische Wirtschaft und auch für die russische internationale Politik, aber gleichzeitig auch nicht die russische Bevölkerung in dieser Region im Stich lassen kann.
"Die Krim ist ein Sonderfall"
Frenzel: Wenn Sie sagen, Russland hat kein Interesse an der Spaltung der Ukraine, dann ist es für uns hier schwer nachzuvollziehen, dass das wirklich die Absicht sein sollte, die gute Absicht. Russland hat die Ukraine gespalten mit der Abspaltung der Krim, warum sollte das jetzt mit dem Osten des Landes anders sein?
Fedosov: Die Geschichte mit der Krim ist ein Sonderfall. Es wird in Russland verstanden als Rückgewinnung von eigentlich russischen Territorien. Eine Korrektur, wie das in Russland gesehen wird, der historischen Ungerechtigkeit gegenüber Russland, durch Leichtsinn oder was auch immer der früheren russischen Führer passiert ist. Und auch heute weiß man in Russland, dass die Übernahme der Krim auch jetzt schon große wirtschaftliche und soziale Lasten mit herbeigeführt hat. Das Donezkbecken, der Donbass ist unvergleichbar größer. Das ist eine depressive Region.
Und vor allem ist es für Russland auch klar geworden, dass weitere Schritte in Richtung der Spaltung der Ukraine vonseiten der Welt nicht geduldet werden können, und dass die Isolation Russlands auf der internationalen Arena vollständig werden kann, was für Russland dauerhaft wirtschaftlich, sozial und politisch nicht vertretbar ist.
"Die EU kann eine entscheidende Rolle spielen"
Frenzel: Wenn Putin heute mit Poroschenko und auch mit anderen europäischen Staats- und Regierungschefs zusammenkommt, wird er dann aus genau diesem Grund, aus der Angst vor der Isolierung, den Tonfall ändern?
Fedosov: Es kommt darauf an. Sehr große Hoffnungen verbinde ich mit diesem Treffen nicht, ich verstehe nicht ganz das Format dieses Treffens, wie man sich das vorstellt, dass sieben europäische Regierungsleiter und Poroschenko sozusagen auf der einen Seite und Putin auf der anderen Seite sich treffen sollen. Wollen sie einander die Leviten lesen? Ich hoffe, nicht, ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird.
Das was real meines Erachtens erreichbar ist, ist, einige bescheidene Schritte zu machen zum weiteren Einfrieren der gegenwärtigen Situation im Sinne des Waffenstillstandes, vielleicht ein paar technische Lösungen im Sinne der Vervollständigung dieses Waffenstillstands, damit nicht weiter geschossen wird. Die Pufferzonen zwischen den kämpfenden Seiten wären in diesem Sinne eine passende technische Lösung.
Und die zweite sehr dringende Frage ist Erdgas. Denn im Grunde genommen geht es darum, ob in der Ukraine geheizt wird oder nicht, es geht wiederum um das Leben, um die Existenz von Millionen von Menschen. Und in diesem Sinne können meines Erachtens in Mailand Kompromisse und gemeinsame Lösungen gefunden werden. Die EU kann dabei eine entscheidende Rolle spielen: einerseits durch die Gewährung von Krediten an die Ukraine, damit der russische Gast bezahlt werden kann, andererseits im Sinne der Vermittlung zwischen Ukraine und Russland zur Lösung dieses technischen, aber sehr wichtigen Problems.
Frenzel: Herr Fedosov, wenn wir mal vom Technischen ausgehen und darüber hinausblicken: Wird es für Russland jemals akzeptabel sein, für Putins Russland, dass sich die Ukraine voll und ganz gen Westen entwickelt?
Fedosov: Russland wird sich damit abfinden müssen, es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange man im Kreml braucht, um sich damit abzufinden.
Frenzel: Pjotr Fedosov, Politikwissenschaftler in Moskau. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Fedosov: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.