Bürgerkrieg im Bücherregal
Ob man auf Ukrainisch oder auf Russisch liest, das kann aufgrund des aktuellen Konflikts eine politische Entscheidung sein. Erstaunlicherweise ist in der Ukraine ukrainisch-sprachige Literatur eher noch die Ausnahme. Unser Korrespondent Florian Kellermann hat in Kiew eine Buchhandlung besucht, die sich auf ukrainische Literatur auf Ukrainisch spezialisiert hat, die Buchhandlung "Je".
Das Stadtviertel mitten im Zentrum von Kiew ist edel - in direkter Nähe der Oper - aber der Hinterhof schmuddelig. Wer es nicht weiß, findet die Buchhandlung "Je“ gar nicht, es geht ein paar unscheinbare Stufen hinab in ein niedriges Kellergewölbe. Die Luft ist stickig, das Neonlicht grell. Aber, wer ukrainischsprachige Literatur liebt, fühlt sich an diesem Ort in der Hauptstadt trotzdem zuhause. Vor sechs Jahren eröffnete hier die Buchhandlung "Je“, die Geschäftsführerin Kateryna Fedorenko war von Anfang an dabei.
"Ich habe immer gesagt, dass die Ukrainer bereit sind, auf ukrainisch zu lesen. Diese hier war die erste Buchhandlung "Je“, von hier aus ist in wenigen Jahren ein ganzes Netz entstanden, auch in anderen Städten. Auch die Verlage sind zufrieden mit uns, wir bezahlen unsere Rechnungen rechtzeitig."
Ukrainer lesen auf ukrainisch – so merkwürdig das klingt, es ist nicht selbstverständlich. In der Sowjetunion galt Ukrainisch als Sprache der Landbevölkerung, höchstens noch der Nationalisten. Wer gebildet wirken wollte, musste Russisch sprechen. Noch heute sind 80 Prozent der Bücher auf dem ukrainischen Markt russische Bücher.
Kateryna Fedorenko hängt wieder am Telefon. Immer mehr Autoren wollen ihr Buch im Selbstverlag vermarkten. Die Buchhandlung "Je“ ist da offen. "Aber denken sie an einen guten Preis“, mahnt die Geschäftsfrau, "wir müssen ja auch Gewinn machen“.
Kateryna nimmt ihren Taschenrechner zur Hand. Bücher, die im Laden bis zu 100 Hrywnja kosten, verkaufen sich ganz gut, sagt sie – das sind umgerechnet sechs Euro. Darüber wird es schwierig.
1991 wurde Ukrainisch Amtssprache
1991 erklärte die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Ukrainisch wurde Amtssprache – und die Literatur blühte auf. Viele Schriftsteller arbeiten sich bis heute an der Frage ab: Wer sind die neuen, freien Ukrainer, die keine Sowjetmenschen mehr sein wollen? Manche antworteten tiefsinnig, so Jurij Andruchowytsch, manche mit spannenden Geschichten – wie Andrij Kurkow. Und die noch Jüngeren, "die 2000er“ genannt, mit radikaler Empirie. Mit ihnen ist Oxana Karpjuk groß geworden, 23 Jahre alt und verantwortlich für den Einkauf in der Buchhandlung "Je“.
"Die 2000er haben den Rand der Gesellschaft beschrieben. Sie waren Outsider, die arm lebten und auch keine intellektuelle Tradition hatten, auf die sie aufbauen konnten. Nehmen wir Serhij Schadan. Er schrieb über Jugendliche in der Ostukraine, die sich mit Witz durchs Leben schlagen und die richtige Musik hören. Diese Autoren erzählten das, was sie sahen – denjenigen, die das gleiche sahen."
Die Einkäuferin und Expertin geht zum Regal mit ukrainischer Literatur. Sie will den Trend der vergangenen Jahre zeigen: Geschichtsromane. Auch die einstigen jungen Wilden nehmen sich heute dieses klassischen Genres an. Bestes Beispiel: Oxana Sabuschko. Berühmt wurde sie durch die "Feldstudien über ukrainischen Sex“. Ihr jüngstes Buch erzählt eine Familiensaga - von 1940 bis 2004. In der Ukraine ist Geschichte heute nicht nur spannend – sie ist identitätsstiftend.
Auch zu ganz frischen Ereignissen gibt es schon einen Roman, zum Majdan. Das Wort, das eigentlich den Kiewer Unabhängigkeitsplatz bezeichnet, steht auch für die Massendemonstrationen im Winter. Der Roman steht im Regal mit den Bestsellern der Woche, neben Stephen King und der ersten ukrainischen Übersetzung von Remarques "Drei Kameraden“.
"Von Qualität kann man da nicht sprechen, die zeitliche Distanz ist noch viel zu gering. Bessere Bücher über den Majdan werden später kommen."
Opposition gegen Russland vereint Schriftsteller
Während ein Mitarbeiter leere Kartons zusammenfaltet und verklebt, schiebt sich ein kleiner, unscheinbarer Mann durch die Regale. Es ist der Schriftsteller Andrij Kokotjucha, dessen Werke alle bei "Je“ zu haben sind. Wie er kommen viele Autoren immer wieder hierher, nicht nur zu Lesungen. Auch Kokotjucha hat gerade einen Geschichtsroman veröffentlicht, aber als Thriller verpackt - "Kiewer Bomben“ heißt er. Es geht um Terroristen, die 1907 in Kiew gegen die Willkür des zaristischen Russlands kämpften.
Die Opposition gegen Russland eine derzeit fast alle ukrainischen Schriftsteller, sagt Kokotjucha. Angesichts des Konflikts in der Ostukraine.
"Natürlich gibt es Ausnahmen. Manche Autoren sind nach Moskau ausgewandert wegen der Ereignisse. Dann gibt es einen Dichter, der sich gegen alle anderen stellt und schreibt, wir seien alle betrogen worden und der Majdan ein Schandfleck. Und dann sind da die Autoren aus dem Donezk-Becken, wo Krieg herrscht. Sie verstehen meist, warum die Armee den Feind dort bekämpft. Aber sie fühlen sehr stark mit den Menschen im Osten. Sie sagen: Das sind unsere ehemaligen Klassenkameraden, die da jetzt die Separatisten unterstützen."
Die Diskussion zwischen den Autoren findet vor allem im Internet, über die sozialen Netzwerke statt. Dort wird deutlich, wie die klare Mehrheit von ihnen denkt. Andrij Kokotjucha war früher eher unpolitisch, die jüngste Präsidentenwahl war die erste, an der er teilnahm. Mit seinem Freund und Kollegen Serhij Schadan stand er Nächte lang auf dem Majdan. Dabei spielt die Sprache der Autoren kaum eine Rolle. Kokotjucha schreibt sowohl auf Ukrainisch als auch auf Russisch.
Auf Regierungsebene gibt es inzwischen Ideen, ukrainische Bücher aus der Ukraine zu fördern – und den Import aus Russland zu begrenzen. Auch Kokotjucha geht auf Abstand zum großen Nachbarn.
"Ich habe einige Bücher auch in Russland veröffentlicht. Aber jetzt habe ich vorerst alle Kontakte dahin abgebrochen - und ich glaube nicht, dass ich sie in nächster Zeit erneuern werde. Umgekehrt finde ich es auch richtig, wenn wir russischen Künstlern, die sich antiukrainisch geäußert haben, die Einreise verwehren."