Ukraine-Konflikt

Kriegsforscher warnt vor Waffenlieferungen an die Ukraine

Waffenlieferungen an die Ukraine hält der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber für kontraproduktiv.
Waffenlieferungen an die Ukraine hält der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber für kontraproduktiv. © dpa/picture-alliance/K. Schneider/Bundeswehr/dpa
Wolfgang Schreiber im Gespräch mit Nana Brink |
Trotz des Minsker Abkommens geht die Gewalt in der Ost-Ukraine weiter - und entsprechend auch die Diskussion über westliche Waffenlieferungen. Der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber hält das für den falschen Weg.
Waffenlieferungen an die Ukraine wären "kontraproduktiv", sagte der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber. Wenn beide Seiten mit Waffen beliefert würden, verlängere das in den meisten Fällen eher den Krieg.
Waffenlieferungen würden das Interesse an Verhandlungslösung schmälern
So hätten die Kriege in der Dritten Welt, die in der Hochphase des Ost-West-Konflikts als Stellvertreterkriege geführt worden seien, häufig 20 oder 30 Jahre gedauert, weil beide Seiten relativ einfach an Waffen gekommen seien. Dadurch sei auf beiden Seiten der Eindruck entstanden, man könne den Krieg "irgendwie noch gewinnen", so der Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg.
Das Gleiche gilt dem Wissenschaftler zufolge auch im Ukraine-Konflikt: "Wenn ich jetzt an die Ukraine Waffen liefere, wird sicherlich auf ukrainischer Seite der Eindruck entstehen, ja, mit den neuen Waffen können wir auch einen Sieg erreichen." Entsprechend geringer würde ein Interesse der ukrainischen Seite an einer Verhandlungslösung sein.
Merkels und Hollandes Vermittlung "der richtige Weg"
Eine Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt werde durch die "sehr direkte" Beteiligung Russlands und die indirekte Beteiligung der USA erschwert, sagte Schreiber. Dennoch müsse man es versuchen: "Man muss ständig versuchen, an so einem Konflikt dranzubleiben, um unter Umständen dieses richtige Zeitfenster zu erwischen, wo beide Seiten den Eindruck haben, dass sie mit einer Verhandlungslösung mehr erreichen für sich als mit einer Fortführung des Krieges." Was Bundeskanzlerin Merkel und der französischen Präsidenten Hollande versuchten, sei "der richtige Weg", sagte Schreiber.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wenn die Schlacht um Debalzewe, diesen kleinen nun völlig zerstörten Ort in der Ostukraine, eines auch gezeigt hat: Hier herrschte keine Waffengleichheit. Die Separatisten haben eine ausgelaugte, schlecht ausgerüstete und schlecht geführte Armee der Ukraine gedemütigt. Der Abzug der ukrainischen Kämpfer ist ein Schlag ins Gesicht für Präsident Poroschenko, er fordert nun eine internationale Mission, ausgeführt von der EU. Klar, weil er natürlich Russland nicht dabei haben will, um das Land zu befrieden. Es wird also weiter geschachtert, die Reaktionen darauf sind ja ganz unterschiedlich, aber es wird auch weiter gekämpft, Ende offen. Wolfgang Schreiber leitet die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Uni Hamburg. Guten Morgen, Herr Schreiber!
Wolfgang Schreiber: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Nehmen wir die Ukraine, aber wir könnten auch Syrien nehmen: Wann hört das Kriegsgeschehen auf?
Schreiber: Es gibt einmal sozusagen formale Faktoren einfach: Ein Kriegsgeschehen hört auf, wenn eine Seite gewinnt oder wenn beide Seiten sich auf eine Verhandlungslösung einigen. Das sind sozusagen die beiden großen Faktoren. Es gibt noch ein paar seltene andere Fälle, aber das sind sozusagen die formalen Enden. Und die spannendere Frage ist eigentlich: Wie kommt es dann dazu? Und aber muss man dann zugeben, dass die Forschung in der Frage nicht so furchtbar weit ist. Das ist immer gewissen Phasen in der Forschung geschuldet, wann man sich mit diesen Themen beschäftigt.
Eine große Phase war Ende der 60er-Jahre, als die USA im Vietnam-Krieg festsaßen und dann Interessen natürlich auch in der US-amerikanischen Forschung vor allen Dingen war, wie kommt man aus so was raus, und dann sich die Frage gestellt haben, wann ist eigentlich ein Krieg beendet oder wie kann man dazu kommen, dass man einen Krieg beendet. Aber sobald sich die USA damals zurückgezogen hatten, war dieses Thema auch forschungstechnisch erst mal wieder erledigt und war dann erst wieder Mitte der 90er-Jahre mit den Balkan-Kriegen ein wirkliches Thema. Deswegen ist die Forschung halt an der Stelle noch nicht so furchtbar weit. Gerade wir in Hamburg haben ein Projekt gestartet dazu und können so ein paar Faktoren sozusagen benennen. Ich nenne einfach mal so ein paar Faktoren ...
Verhandlungslösungen funktionieren auch bei Ungleichgewicht der Kräfte
Brink: Ich wollte gerade sagen, nennen Sie doch mal einen, also ...
Schreiber: Genau, ich nenne mal ein paar Faktoren sozusagen, jetzt erst mal ohne Gewichtung: Klar kann man sich vorstellen, wenn eine Seite gewinnt, dann spielt die militärische Situation, also die militärische Überlegenheit einerseits eine ganz große Rolle. Bei Verhandlungslösungen wird man erst mal vermuten, dass da vielleicht eine ganz große Rolle spielt, dass es eine militärische Pattsituation gibt. Ich komme nachher noch mal darauf, dass das gar nicht unbedingt der Fall ist, sondern auch ... Oder ich kann es gleich sagen, dass Pattsituation und militärische Überlegenheit bei den Verhandlungslösungen beide einen gleich großen Anteil haben. Da spielen andere Faktoren eine Rolle.
Ein anderer Faktor kann sein natürlich eine militärische Intervention von außen, die einer Seite zum Sieg verhilft oder halt eine Verhandlungslösung durchsetzt; wesentlich häufiger sind indirekte militärische Interventionen. Also, mit indirekten militärischen Interventionen meinen wir so was wie Waffenlieferungen oder auch Rückzugsgebiete für insbesondere dann Rebellenorganisationen. Oder insbesondere umgekehrt der Entzug dieses, also, wenn Waffenlieferungen eingestellt werden oder halt Rückzugsgebiete nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, was häufig passiert.
Brink: Genau. Können wir mal dieses Muster auf die Ukraine legen?
Schreiber: Können wir mal versuchen, auf die Ukraine zu legen. Im Moment wird ja relativ viel darüber diskutiert, ob westliche Staaten an die Ukraine als Staat Waffen liefern sollen. Und das wäre aus unserer Sicht eher kontraproduktiv, weil in den meisten Fällen, wenn beide Seiten sozusagen mit Waffen beliefert werden, führt das eher dazu, dass ein Krieg verlängert wird. Hauptbeispiel ist sozusagen die Hochphase des Ost-West-Konflikts: Die Kriege, die dann in der Dritten Welt als sogenannte Stellvertreterkriege geführt wurden, die haben häufig 20 oder 30 Jahre gedauert und ein Hauptgrund ist, dass die relativ einfach an Waffen gekommen sind.
So lange beide Seiten Waffen bekommen, glauben beide Seiten an den Sieg
Brink: Also, beide Seiten haben Waffen geliefert.
Schreiber: Beide Seiten haben Waffen geliefert bekommen. Und von daher haben diese Kriege halt ewig gedauert, weil da immer das Niveau sozusagen hochgeschaukelt wurde und für beide Seiten auch der Eindruck entstand, na ja, wir können das irgendwie noch gewinnen, Hauptsache, wir kriegen noch Waffen.
Brink: Genau. Können wir das jetzt aber mal umdrehen! Man könnte ja auch die andere Seite aufmachen und sagen: Wenn wir eine Pattsituation herstellen ... Also, dass die Russen Waffen liefern, ist ja relativ unbestritten, und der Westen würde das auch tun, dann würde das eine Pattsituation geben, die ja auch zu einer Lösung führen könnte!
Schreiber: Genau. Nur, diese Pattsituation wird in der Regel... Also, da das Niveau einzustellen, ist relativ schwierig. Wenn ich jetzt an die Ukraine Waffen liefere, wird sicherlich auf ukrainischer Seite der Eindruck entstehen, ja, mit den neuen Waffen können wir sicherlich auch einen Sieg erreichen. Also, dann hat die ukrainische Seite sozusagen weniger Interesse daran, sich auf eine Verhandlungslösung einzulassen.
Die Pattsituation existiert ja im Prinzip, es ist ja nicht so, dass die Rebellen jetzt noch großartig ... Also, für meinen Eindruck, ich bin jetzt natürlich auch nicht der Ukraine-Spezialist, sondern habe eher den generellen Blick, dass die Rebellen halt die Regierung in Kiew stürzen wollen. Also, die haben begrenzte Ziele.
Den richtigen Zeitpunkt für Verhandlungen erwischen
Brink: Was ist denn das Schwierige an dieser Situation jetzt auch in der Ukraine? Dass da auch Supermächte beteiligt sind? Also, dass es ja auch eine Art Stellvertreterkrieg ist?
Schreiber: Das Schwierige an der Ukraine ist natürlich dadurch, dass Russland, ich sage jetzt mal, sehr direkt beteiligt ist – obwohl sie es nicht unbedingt zugeben –, die USA mit dieser Frage "Waffenlieferung: ja/nein" auch indirekt beteiligt sind und es dann natürlich für internationale Völker vergleichsweise schwierig ist. Also, immer wenn sozusagen die mächtigsten Staaten der Welt an dem Konflikt doch relativ eng beteiligt sind, haben es natürlich Vermittler relativ schwierig, da etwas auszurichten, weil die sich relativ wenig reinreden lassen in ihre Politik.
Brink: Was empfehlen Sie denn dann als Kriegsforscher?
Schreiber: Als Kriegsforscher kann ich eigentlich nur empfehlen, das trotzdem zu versuchen. Also sowohl als internationale Organisation oder, wie jetzt in Minsk geschehen, als Mittelstaaten wie Frankreich und Deutschland halt da versuchen zu vermitteln und einfach darauf zu hoffen, dass man irgendwann mal den richtigen Zeitpunkt erwischt, wo halt so was dann doch haltbar ist.
Brink: Was ist das? Also, Sie als Wissenschaftler sagen: ein Zeitfenster erwischen? Also, das ist ja eigentlich was ... Das klingt jetzt ...
Schreiber: Sagen wir mal so, die einzige Theorie, die zu Kriegsbeendigung wirklich existiert, ist die eines amerikanischen Kollegen, William Zartman, der sagt, es gibt einen sogenannten "reifen Punkt". Also sprich, einen richtigen Zeitpunkt, an dem man sozusagen eine Verhandlungslösung erreichen kann. Die ist ein bisschen umstritten, weil sie auch ein bisschen tautologisch ist, so nach dem Motto, wenn die Verhandlungslösung dann erfolgreich war, dann habe ich offensichtlich den richtigen Zeitpunkt erwischt, und wenn sie nicht erfolgreich war, dann habe ich wahrscheinlich nicht den richtigen Zeitpunkt erwischt. Deswegen ist es auch nicht so ... Wie gesagt, auch ein bisschen umstritten in der Literatur, aber das ist eigentlich das einzige Instrument, was wir haben. Und eigentlich kann man daraus nur ableiten: Man muss eigentlich ständig versuchen, an so einem Konflikt dranzubleiben, um halt unter Umständen dieses richtige Zeitfenster zu erwischen, wo beide Seiten den Eindruck haben, dass sie mit einer Verhandlungslösung mehr erreichen für sich als mit einer Fortführung des Krieges.
Internationale Organisationen sind die besten Vermittler
Brink: Also, dann ist so was, was Francois Hollande und Angela Merkel versuchen, der richtige Weg?
Schreiber: Das ist der richtige Weg, auf jeden Fall. Ob man das noch intensiver machen kann, oder halt internationale Organisationen sind dafür in der Regel besser geeignet, weil die ja auch permanenter sozusagen an so was dran sind, die haben ihre Special Envoys, also Sonderbeauftragten in der Regel für solche Konflikte ja auch, und können das viel kontinuierlicher begleiten, als das jetzt Staaten eigentlich können.
Brink: Aber sie sind ja nur dann wirklich legitimiert oder auch sozusagen in der Lage, etwas durchzusetzen, wenn sie Unterstützung haben von denjenigen, die sie bezahlen!
Schreiber: Ja - nein. Also, internationale Organisationen haben natürlich auch ein gewisses Eigenleben. Es ist ja nicht so ... Klar, wenn ich einen Sicherheitsratsbeschluss in der UN haben will, dann muss ich natürlich die Unterstützung der Big Five haben, also der fünf Vetomächte, sonst läuft gar nichts. Aber auf der anderen Seite, wie gesagt, gerade wenn es darum geht, einfach so einen Konflikt zu begleiten und da Gesprächsangebote zu liefern, haben Organisationen doch ein sehr starkes Eigenleben, wo dann die eigentlichen Staaten nicht so das große Reinreden haben.
Brink: Wolfgang Schreiber leitet die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Uni Hamburg, und wir sprachen über die Möglichkeit, Kriege zu beenden auch gerade in der Ukraine. Danke für das Gespräch, Herr Schreiber!
Schreiber: Ja, nichts zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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