Russische Katz und deutsche Maus
Putin lässt an der ukrainischen Grenze seine Truppen aufmarschieren - und Deutschland reagiert mit Friedensappellen. Dabei wäre es an der Zeit, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, meint der Buchautor Erik von Grawert-May.
Spielt Putin mit uns Katz und Maus und lassen wir uns gefallen, den Mäuserich zu mimen? Nehmen wir an, es spiele sich vor unseren Augen in der Ost-Ukraine folgendes Szenario ab: Der russische Präsident lässt sich lange bitten, seine Truppen von der Grenze abzuziehen, dann erklärt er sich endlich dazu bereit; wenig später beschließt er, sie erneut an die Grenze zu beordern und sie in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Wiederum wird er gebeten, seinen Beitrag zur Entspannung zu leisten. Nach einer Bedenkzeit lässt er sich dazu herbei. Jedes Mal werden wohlgemerkt reale Panzertruppen hin- und hergeschoben, während der Westen im großen Ganzen mit Friedensappellen reagiert und wirtschaftliche Sanktionen androht.
Nicht jeder dürfte dieser Lageeinschätzung zustimmen, wohl aber der schwedische Außenminister. Carl Bildt kündigte kürzlich eine 15-prozentige Erhöhung der Militärausgaben seines Landes an und versicherte, andere würden nachziehen. Dabei schaute er von Stockholm aus über die Ostsee, erwähnte besonders Litauen. Litauen könne, so Bildt, im Falle eines Angriffs von der NATO nicht verteidigt werden. Er war diplomatisch genug, keinen weiteren nord- oder mitteleuropäischen Staat zu nennen, der die 15-prozentige Erhöhung mitmachen würde. Könnte er unterschwellig auch die Bundesrepublik gemeint haben?
Steinmeier wirbt für eine Politik der guten Worte
Er könnte. Es sieht jedoch, auch angesichts der jüngsten Etatverhandlungen für das kommende Jahr, nicht danach aus, dass die Bundesregierung dem Beispiel Schwedens folgen möchte. Dem deutschen Außenminister wäre eine aufrüstende Botschaft wohl nicht zuzutrauen. Er wirbt stattdessen eher für eine Politik der guten Worte, mit der er die angespannte Lage in der Ukraine beruhigen will.
Das ist zwar aller Ehren wert, aber einer politischen Logik verpflichtet, die von einem prinzipiell kooperativen Russland ausgeht. Nach altem sozialdemokratischem Brauch wird der politische Gegner zu einem Freund anverwandelt, obwohl er sich gerade als Feind entpuppt.
Um zu beurteilen, ob die deutsche Außenpolitik am Ende nicht doch den richtigeren Weg verfolgt, brauchte man eine klarere Einschätzung von Putins Gangart.
Der angesehene russische Soziologe Lew Gudkow gibt Berlin zu denken. Er verweist darauf, durch die Einverleibung der Krim und die Scharmützel in der Ost-Ukraine seien lange unterdrückte Großmachtgefühle der Russen auf so wirkungsvolle Weise bedient worden, dass der Präsident inzwischen mit einer Zustimmung von ca. 90 Prozent seiner Landsleute rechnen könne.
Demnach müsste Putin von allen guten Geistern verlassen sein, wenn er seine Politik ändern wollte. Der Mann steht im Zenit seiner Macht. Er lässt die Katze aus dem Sack. Und er kann es so lange weiter tun, wie ihm der schleichende Isolationismus der USA in Europa ein Machtvakuum bereitet.
Wir laden die Katze zu größeren Sprüngen ein
Wenn klar ist, dass im Ernstfall nur die Vereinigten Staaten einen militärischen Aufmarsch russischer Truppen abschrecken könnten, dann müsste die Maus die Künste ihres Gegners imitieren und etwas katzenhafter werden wollen. Bundespräsident Gauck will wohl auf das Gleiche hinaus und so übernimmt er einen Part, der eigentlich der Außen- und Sicherheitspolitik zusteht, aber ohne ihn vakant bliebe.
Carl Bildt liegt schon richtig: Wir sollten im Falle eines Falles ein Land wie Litauen verteidigen können. Es ist einer der kleineren osteuropäischen Staaten, die nach 1989 in die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft aufgenommen worden sind.
Wäre es seitens der NATO nicht geradezu politisch würdelos, gerade solchen Ländern keinen effektvollen Beistand leisten zu können, weil unsere Verteidigungsausgaben zu gering sind? Wenn sie weiterhin auf dem zu niedrigen Niveau verharren, laden wir die Katze nur zu größeren Sprüngen ein. Dabei sollte sie doch zurück in den Sack. Man muss ihn ja nicht zumachen.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011), "Theatrum Belli" (2013). www.grawert-may.de