Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen, der unvorstellbares Leid über die ukrainische Bevölkerung gebracht hat. Kritik und Erbitterung in Deutschland, Europa und vielen Teilen der Welt sind dementsprechend groß.
Zugleich mehren sich die Zweifel am Kurs der vergangenen Jahre gegenüber Moskau. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte der Westen auf Diplomatie und nicht-militärische Mittel gesetzt – selbst im Konfliktfall. Das hat sich geändert. Deutschland und auch die EU wollen viel Geld in die Hand nehmen, um militärisch schlagkräftiger zu werden.
Die Nato-Staaten – inklusive Deutschlands – unterstützen die Ukraine, indem sie Waffen liefern. Gleichzeitig wollen sie eine weitere Eskalation vermeiden und haben wiederholt ausgeschlossen, direkt in die Kampfhandlungen in der Ukraine einzugreifen. Im Raum steht nicht zuletzt die Gefahr, dass es zu einer nuklearen Konfrontation kommen könnte. Moskau hat mit der atomaren Option gedroht. Einen Atomkrieg kann niemand riskieren wollen.
Ausrüstung und Aufrüstung
Moskau sieht sich einerseits mit harten, wirtschaftlichen Sanktionen konfrontiert. Zugleich spricht nicht nur der deutsche Bundeskanzler Scholz von einer "Zeitenwende", wenn es um die militärischen Kapazitäten der Bundeswehr aber auch der Europäer geht. Dabei geht es zwar in erster Linie um eine bessere Ausrüstung und eine optimierte Zusammenarbeit bei der Rüstungsbeschaffung. Die Grenze zwischen Ausrüstung und Aufrüstung dürfte dabei aber nicht immer leicht zu ziehen sein.
Die Zeichen stehen zudem auf eine Aufstockung von NATO-Truppen an der Ostgrenze des Bündnisses. Das steht im Widerspruch zu der sogenannten NATO-Russland-Akte, die seit 1997 die Beziehungen zwischen Moskau und dem Bündnis regeln. Dazu gehört, dass die NATO sich verpflichtet hat, nicht nur auf die Verlegung atomarer Waffen in die östlichen Mitgliedsländer zu verzichten.
Die Vereinbarungen sehen auch vor, dass keine "substanziellen Kampftruppen" dauerhaft stationiert werden. Das Abkommen funktioniere ohnehin nicht mehr, sagt NATO-Generalssekretär. Russland habe sich schließlich aus den Verpflichtungen im Rahmen der Akte zurückgezogen.
Protest gegen "Hochrüstungspläne"
An der milliardenschweren Aufstockung des deutschen Wehretats, wie er jetzt beschlossen ist, gibt es auch Kritik. So hat diese Woche ein Bündnis von 600 prominenten Erstunterzeichne:innen aus Gewerkschaften, NGO, Kirchen, Wissenschaft, Kunst und Kultur einen Appell verfasst mit dem Titel: "Nein zum Krieg! Demokratie und Sozialstaat bewahren. Keine Hochrüstung ins Grundgesetz."
Was bedeuten die aktuellen geopolitischen Entwicklungen für die Sicherheitsordnung in Europa? Muss es bei uns einen Bewusstseinswandel geben, der militärische Macht mitdenkt? Sind also die Zeiten vorbei, in den Europa sich auf Soft Power konzentrieren konnte? Sind wir zum Aufrüsten gezwungen? Ist es richtig, jetzt die sicherheitspolitischen Weichen so zu stellen, dass man sich eher auf Konfrontation denn auf Kooperation mit Russland einstellt?
Es diskutieren:
- Heinrich Brauß, Sicherheits- und Verteidigungsexperte von der DGAP, Generalleutnant a. D., ehemaliger beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung
- Barbara Kunz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
- Johannes Varwick, Politikwissenschaftler, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Ingar Solty, Autor und Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung