Ukrainische Autoren
Ukrainische Soldaten verabschieden sich bei einer Trauerfeier in Lwiw von einem gefallenen Kameraden: An der Front kämpfen auch Menschen, deren schärfste Waffe eigentlich das Wort ist. © picture alliance / AA / Ozge Elif Kizil / Anadolu Agency
Wenn aus Dichtern Soldaten werden
11:16 Minuten
Wegen des Kriegs wechseln ukrainische Schriftsteller an die Front oder sind humanitär tätig. Gleichzeitig werden ihre öffentlichen Appelle immer schärfer. „Wir tun das, damit wir endlich gehört werden“, sagt die Kulturvermittlerin Evgenia Lopata.
„Schaut auf unser Land, schaut genau hin, sonst sind wir verloren!“ Mit diesem Appell endet ein Artikel der jungen ukrainischen Übersetzerin, Kulturmanagerin und Literaturvermittlerin Evgenia Lopata einen Tag nach Kriegsbeginn – veröffentlicht in der FAZ. Seitdem sind sechs Wochen vergangen. Evgenia Lopata ist in ihrer Geburtsstadt Czernowitz geblieben. Dort leitet sie das internationale Lyrikfestival Meridian Czernowitz und den gleichnamigen Verlag.
„Ich bin mir sicher, dass wir nach dem Sieg der Ukraine zur Normalität zurückkehren werden“, sagt Lopata. Dann seien die jungen Leute beim wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau gefragt. „Und ich will natürlich auch dabei behilflich sein.“
Humanitäre Hilfe und Landesverteidigung
Außerdem sei Czernowitz „immer noch ein ruhiger, ein sicherer Ort, und einfach aus diesem Grund wäre es nicht logisch, die Stadt zu verlassen“, sagt sie. Außerdem bräuchten die vielen Geflüchteten aus den anderen Teilen des Landes, die nun in Czernowitz Schutz suchten, Hilfe von Menschen vor Ort: „Keiner wartet woanders auf uns, aber unser Land braucht unsere Unterstützung heute.“
Viele der Autorinnen und Autoren, die in ihrem Verlag veröffentlichen, arbeiten nun als Journalisten und Kriegsberichterstatter. Einige sind humanitär tätig, wie Lopata erklärt, und helfen den Geflüchteten. Wieder andere sind momentan in Territorialschutzgruppen aktiv und schützen ukrainische Gebiete vor der russischen Invasion: Dichter, die zu Soldaten werden.
"Das russische Volk ist mitverantwortlich"
Auch Juri Andruchowytsch veröffentlicht in ihrem Verlag Meridian Czernowitz. Er gilt als eine der wichtigsten kulturellen Stimmen des Landes. Seine Werke werden international übersetzt. Andruchowytsch spricht nicht von Putins Krieg, er sieht das russische Volk als Ganzes mit in der Verantwortung.
Am 8. April schrieb er in der FAZ, dass sich die russische Bevölkerung selbst entmenschliche. „Das ist eine Anti-Welt, das ist ein Teil der Menschheit, der freiwillig zum Anti-Menschentum übergegangen ist.“
Außerdem bezeichnet Andruchowytsch hochrangige Vertreter des EU-Parlaments, die jetzt noch die Sehnsucht nach Einheit mit Russland formulieren, in diesem Artikel als „Kriegsbeteiligte“. Seine Analysen und Appelle werden immer schärfer.
Appelle seit 2014
Evgenia Lopata solidarisiert sich mit ihrem Autor und erklärt:
„Wir, die Leute aus dem Kulturbereich, haben diese Berichte nicht ab dem 24. Februar zu schreiben begonnen, sondern, wir schreiben diese Texte seit 2014 – und zwar sehr regelmäßig. Und wir haben ganz viel gemacht, damit wir gehört werden. Dieses Gehörtwerden fehlte jedoch bis zum Februar 2022. Deswegen können wir in unseren Äußerungen, in unseren Worten schon ein bisschen scharf klingen. Das sind aber die Versuche, jetzt noch ein bisschen lauter zu schreien. Und wir tun es, damit wir endlich gehört werden.“
Auch Lopata macht das russische Volk für den Krieg mitverantwortlich: „Der Diktator bildet keine Nation, die Nation bildet den Diktator. Das heißt: Wenn immer noch 70 Prozent der Russen Putins Politik zustimmen, dann heißt das, dem Volk gefällt alles, was heute passiert. Wenn man hört und liest, was die einfachen Bürger zum Krieg gegen die Ukraine sagen, dann hat man schlicht den Eindruck, sie genießen es, sie finden, es ist richtig.“
Es tue sehr weh, dass Menschen, die in der gleichen Nachbarschaft lebten, ihre Augen verschlossen hielten und keinen Wunsch hätten, diese zu öffnen, sagt Lopata.
Kulturveranstaltungen im Westen des Landes
In Czernowitz, in Lwiw und in Iwano-Frankiwsk in der westlichen Ukraine ist ein relativ normales Leben mit Kulturveranstaltungen noch möglich, wie Lopata erklärt. Kultureinrichtungen, Museen, Theater haben ihre Programme aktualisiert.
Schauspieler und Musiker treten auf, lesen Gedichte, poetische Abende und Diskussionsrunden werden veranstaltet. Die zahlreichen Neuankömmlinge aus dem Kulturbereich werden untereinander vernetzt. Oder wie Evgenia Lopata erklärt: „Wir sind an der kulturellen Front.“
(ckr)