Ukraine-Krieg

Chancen für die Diplomatie?

53:42 Minuten
Konfrontation zwischen zwei Männern mit einem roten und einem blauen Megaphon
China, UNO, OSZE: Wer könnte vermitteln im Krieg zwischen Russland und der Ukraine? © imago/ Roy Scott
Moderation: Annette Riedel · 13.05.2022
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Russlands Armee setzt den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Wucht fort. Während die Zahlen der Toten, Verletzten und Traumatisierten unablässig steigen, wird der Ruf nach diplomatischer Vermittlung immer lauter.
Der ehemalige Schweizer Diplomat und Hochschullehrer für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich, Michael Ambühl, plädiert dafür, Russland und die Ukraine engagiert zu Verhandlungen zu motivieren. "Ich glaube, wir, die wir gern eine zufriedenstellende Lösung hätten, wir können schon die Einsicht auf der einen wie der anderen Seite beeinflussen, dass man Verhandlungen auch eine Chance geben kann." Gegenüber Russland werde diese Art der Beeinflussung im Westen schon "ziemlich erfolgreich" betrieben.
"Wir haben drei Arten von Maßnahmen ergriffen: wirtschaftliche gegen Russland in der Form von Sanktionen, dann gibt es militärische Maßnahmen, indem wir die ukrainische Verteidigung stärken und dann schließlich politische Maßnahmen, den Ausschluss aus internationalen Organisationen. Das hat sicherlich einen Einfluss auf die Einsicht in Russland, wie kommen wir aus diesem Krieg heraus." Ambühl hält eine multilaterale internationale Organisation wie die UNO oder die OSZE für am besten geeignet, bei Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln.

China will keine nukleare Eskalation

Die Politikwissenschaftlerin und Osteuropa-Expertin Andrea Gawrich von der Universität Gießen dagegen hält China für einen geeigneten Vermittler zwischen der Ukraine und Russland. Die chinesische Staatsführung werde jedoch abwarten, ob Russland sie explizit als Mediator einlade. China habe kein Interesse an einer globalen Dysbalance oder einer nuklearen Eskalation. "Ein Neutralitätsszenario kann nicht nur zwischen westlichen Akteuren und Russland sein, sondern da brauchen wir auch noch andere Akteure dabei. Die eurasische Ordnung ist jetzt in einer neuen Dynamik und wird sich neu finden. Wir müssen uns noch mal stärker darauf fokussieren, welche Rolle Zentralasien spielt. Es gibt allererste Indikatoren für eine Art von Absetzbewegung. Das ist ganz zentral."

"Atomkrieg aus Versehen" verhindern

Auch die Vorsitzende des Vereins "Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs", Angelika Claußen, hält China für geeignet, eine Vermittlerrolle einzunehmen. "China ist das einzige Atomwaffenland, das letztes Jahr gesagt hat, eine No-First-Use-Politik zu machen." Claußen ist besorgt, es könne während des Krieges Russlands gegen die Ukraine zu einem "Atomkrieg aus Versehen" kommen. Es sei zu befürchten, dass Fehlalarme ausgelöst würden. "Das ist zu Friedenszeiten schon oft passiert, und das ist zu Kriegszeiten erst Recht ein großes Problem."

Russland sieht China auch als Bedrohung

Stefan Wolff, Experte für Konflikt- und Krisenmanagement von der Universität Birmingham, bewertet die Eignung Chinas als Mediator zwischen der Ukraine und Russland eher skeptisch. China habe in der Vermittlung bei Konflikten nur "sehr geringe Erfahrung". Außerdem werde China von russischen Sicherheitsexperten durchaus auch als Bedrohung in Zentralasien wahrgenommen. Chinesischen Quellen sei zu entnehmen, dass es im gegenwärtigen Krieg Russlands gegen die Ukraine "einen gewissen Vertrauensverlust" zwischen Moskau und Peking gegeben habe, weil der russische Präsident Wladimir Putin den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping "nicht hundertprozentig auf dem Laufenden gehalten hat, was er eigentlich hinsichtlich der Ukraine plant". Dieser Vertrauensverlust dürfe nicht unterschätzt werden.
(ruk)

Es diskutieren:

Andrea Gawrich, Professorin für Internationale Integration des östlichen Europa an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Vize-Direktorin des dortigen Osteuropa-Forschungszentrums „Gießener Zentrum Östliches Europa“

Stefan Wolff, Professor für Internationale Sicherheit an der Universität Birmingham und Experte für internationales Konflikt- und Krisenmanagement 

Michael Ambühl, von 1982 bis 2013 im diplomatischen Dienst der Schweiz, von 2013 bis 2022 Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich

Angelika Claußen, Vorsitzende des Vereins "Internationale Ärzt*innen zur Verhütung des Atomkrieges", Psychiaterin und Psychotherapeutin
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