Putin hat sich in "Sackgasse manövriert"
Handelsbeschränkungen hätten noch nie etwas zum Positiven in der Welt gewendet, kritisiert der russischstämmige und in Berlin lebende Schriftsteller Wladimir Kaminer. Die Katastrophe in der Ukraine sei einer "Kette von politischen Fehlentscheidungen" Putins geschuldet.
Stephan Karkowsky: Alles redet über Russland heute und die Frage, bringen die neuen Sanktionen was, oder drängen wir Russland dadurch nur weiter in die Ecke? Wir wollen es gern mit Deutschlands prominentestem Russen besprechen, mit Wladimir Kaminer, der spielt in seiner Russendisko mittlerweile Musik aus der Ukraine. Herr Kaminer, guten Tag!
Wladimir Kaminer: Guten Tag!
Karkowsky: Herr Kaminer, wer bezahlt Sie eigentlich für Ihre Kritik an Wladimir Putin, Sie Verräter! Kriegen Sie wirklich solche Text-Messages auf Ihr Mobiltelefon?
Kaminer: Na, sehr wenig. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die mir schreiben, schreiben aus gut nachvollziehbaren Gründen. Ich glaube nicht, dass das von reinem Herzen jemand tatsächlich schreibt: Wer bezahlt Sie? Das ist einfach zu billig.
Karkowsky: Wo kommt das denn dann her, was vermuten Sie?
Kaminer: Ich glaube, dass sind Trolle. Weil, normalerweise bekommt man, wenn, dann solche Kommentare nur zwischen zehn und neunzehn Uhr und niemals zur Mittagszeit. Also das sind Leute, die, glaube ich, hauptberuflich damit beschäftigt sind.
Karkowsky: Also Trolle, Menschen, die bezahlt werden, das Internet und andere Menschen zu infiltrieren mit solchen Botschaften.
Kaminer: Ja, aber das kennen Sie auch von anderen. Fast zu jeder Putin-kritischen Meldung kommen immer die gleichen Phrasen. Es sind eigentlich drei Punkte: Zum einen wird die Urteilsfähigkeit des Autors in Frage gestellt, zum anderen wird er dann als hochbezahlter CIA-Agent auch präsentiert, obwohl das eine mit dem anderen wenig korrelliert.
Karkowsky: Nun sehen wir daran, Wladimir Putin hat es offenbar geschafft, Zweifel zu säen in den Herzen vieler Europäer, auch weil bislang noch kein westlicher Geheimdienst zweifelsfrei nachgewiesen hat, dass Russland aktiv und mit Billigung des Präsidenten beteiligt ist an der Destabilisierung der Ukraine oder dem Abschuss von MH17. Sind Sie sich denn da absolut sicher?
Die Leute denken, es muss doch ein Bild von der Rakete geben
Kaminer: Das sind zwei verschiedene Sachen. Also dass Russland, dass es russische Bürger sind, die diesen Krieg in der Ukraine führen, das ist doch ausgemacht. Selbst die Führung, diese Leute, die haben ja nie im Donezk gewohnt, dort in der Ukraine. Das sind russische Staatsbürger, die meisten eben aus Moskau. Und die Technik, die dorthin gelangt, das sind keine ukrainische Maschinen, keine ukrainische Waffen. Das ist, glaube ich, längst schon eine bewiesene Sache. Was den Abschuss der Passagiermaschine betrifft, warten die Leute, glaube ich, auf eine ultimative Beweislage. Meine Freunde oder sehr viele Menschen, die ich kenne, glauben, dass doch, wo die ganze Welt kontrolliert wird von amerikanischen Satelliten, muss es doch so ein Bild geben mit dieser Rakete, wo drauf steht Made in Russland oder Made in Ukraine – ich bin die Rakete, die eine Passagiermaschine jetzt abschießen wird. Ich glaube nicht, dass ein solcher Beweis jemals zustande kommt!
Karkowsky: Das Problem ist dann aber doch, wie soll Putin mit etwas aufhören – denn dazu sollen ihn die Sanktionen ja bringen –, wie soll er mit etwas aufhören, was ihm bislang nur, sagen wir mal, lückenhaft nachgewiesen wurde. Woran soll der Westen denn überhaupt merken, dass sich Putins Politik geändert hat, wenn diese Politik doch im Wesentlichen eine Geheimpolitik ist?
Kaminer: Er trägt auf jeden Fall die Schuld an diesem Unglück mit dem Flugzeug, weil dieses Unglück zustande kam durch den Krieg in der Ukraine, den er entfesselt hat. Ich glaube nicht, dass das sein Plan war. Ich denke einfach, dass diese ganze Katastrophe durch eine Kette von politischen Fehlentscheidungen zustande kam. Politik, das ist normalerweise immer eine Auseinandersetzung – zwischen Regierung und Opposition, zwischen Regierenden und der bürgerlichen Gesellschaft. Und wenn man alles aus eigener Hand beschließt und nur von irgendwelchen Freunden beraten wird, die es mit einem gut meinen, so kann es natürlich häufig zu solchen politischen Fehlentscheidungen mit katastrophalen Folgen kommen. So würde ich das sagen. Weil jeder politische Schritt Putins, angefangen mit der Krim, war an sich noch eine verhandelbare Sache. Und dass er jetzt sich in eine solche Sackgasse manövriert hat, ist natürlich ein sehr traurige Angelegenheit. Also ich hätte da wirklich keinen Ratschlag parat, wie man da rauskommen kann. Die Sanktionen werden das sicher nicht richten. Die Sanktionen haben nirgendwo auf der Welt, glaube ich, die politische Lage zum Positiven gebracht.
Karkowsky: Auf "Spiegel online" appellieren Sie dafür, das Gespräch mit Putin wieder aufzunehmen, dem Präsidenten einen Weg heraus aus der Enge aufzuzeigen. Aber wie dieser Weg aussehen könnte, das wissen Sie gerade auch nicht, oder?
Kaminer: Erstmal muss er seine Leute aus der Ukraine abziehen. Damit er aber kein Gesicht verliert in den Augen der eigenen Bevölkerung – das ist machbar, dann kann er sagen – weil dieser Krieg ist ja letzten Endes gegen Amerika, weil Amerikaner hinter dieser ukrainischen Revolution stecken. Das erzählt zumindest das russische Fernsehen. Und vielleicht glaubt es sogar der Präsident. Also kann er sagen, Amerika hat er schon besiegt, es werden keine NATO-Stützpunkte in der Ukraine gebaut. Aber dann kommt natürlich die Frage mit der Krim. Die ist noch schwerer zu beantworten. Es ist einfach viel zu viel passiert in diesen vier, fünf Monaten. Wissen Sie, davor stand die russische Politik still, das hat auch weder die Amerikaner oder Europa eigentlich interessiert, was in Russland alles falsch läuft, und jetzt, in vier Monaten haben sie plötzlich einen Riesenberg gemacht auf der Welt.
Karkowsky: Was bedeutet Ihnen das eigentlich alles persönlich. Ich hatte den Eindruck, viele, viele Jahre hat es Ihnen Riesenspaß gemacht, als inoffizieller Botschafter Russlands in Deutschland unterwegs zu sein. Wie ist es heute?
Wollte immer das Bild eines europäischen Russen vermitteln
Kaminer: Das ist Spaß. Ich betrachte das als einen Teil meiner Lebensaufgabe. Ich bin ein Russe. Ich komme aus der Sowjetunion, ich habe mein halbes Leben dort verbracht. Ich bin ein Russe, der in Europa wohnt, also habe ich mir Mühe gegeben, eben das Bild eines europäischen Russen zu vermitteln. Ich habe immer versucht, zu zeigen, dass Russen keine Kriegshetzer, keine Hinterwäldler, ganz normale Menschen sind, die sich als Teil der großen Welt betrachten. Und wollen auch diese Welt kennenlernen, in die Welt ziehen – oder in eine größere Wohnung mindestens, in ein neues Auto. Aber nicht in einen Krieg.
Karkowsky: Und heute?
Kaminer: Das ist schwierig, aber es ist so. Nach der letzten Umfrage haben wir weniger als zehn Prozent, können sich eine militärische Auseinandersetzung vorstellen in Russland. Das ist eine zwiespältige Angelegenheit. Zum einen mögen sehr viele den Präsidenten und unterstützen zum Beispiel die Annexion der Krim, zum anderen wollen sie aber selbst nicht in einen Konflikt geraten. Sie wollen, dass jemand anderes für sie das alles erledigt. So ein Mann für 150 Millionen. Das ist eine dämliche Lage, deswegen war ich schon immer für eine demokratische Staatsordnung. In einer Demokratie können die Menschen auch mitregieren, sie können mitreden, diskutieren mit ihrer eigenen Regierung. Und in einem solchen System wie heute in Russland bedeutet jede Fehlentscheidung eine Sackgasse.
Karkowsky: Die USA verschärfen ihre Sanktionen gegen Russland. Die EU hatte das zuvor getan. Wir sprachen mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer im Kompressor auf Deutschlandradio Kultur. Herr Kaminer, vielen Dank für das Gespräch!
Kaminer: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.