Ukraine-Krise

Putinfreunde am Polarkreis

Die Bohranlage 27 in den Weiten des Urengoj-Gasfeldes nahe der Stadt Nowy Urengoi, aufgenommen am 03.12.2014. Hier fördert das russisch-deutsche Unternehmen Achimgaz aus 4000 Metern Tiefe Gas auch für den europäischen Markt.
Eine Gasförderanlage nahe der russischen Stadt Nowy Urengoi - Viele Menschen leben hier, um in der Gasindustrie zu arbeiten. © picture alliance / dpa / Ulf Mauder
Von Gesine Dornblüth |
Wie nehmen die Menschen in den Randbezirken Russlands die Ukrainekrise wahr? Unsere Korrespondentin hat sich am Polarkreis umgehört. Dort erfahren sie von dem Konflikt aus dem russischen Staatsfernsehen und setzen vor allem auf Putin.
In Nowy Urengoj sind an diesem Tag minus 37 Grad. Es liegt rund 60 Kilometer vom Polarkreis entfernt, eine Stadt, gegründet in den 70er-Jahren für die Gasindustrie. Die Förderung boomt, mit ihr die Wohnviertel. Überall sind fünf- bis zehnstöckige Hochhäuser entstanden. Es gibt Kinos. Die Einkaufszentren heißen "Sonne" und "Polareule". Überheizte Busse von Gazprom fahren die Menschen durch die Straßen. Dampfsäulen der Heizkraftwerke kleben waagerecht am Himmel.
Mittlerweile ist das Thermometer auf minus 40 Grad gesunken. In der Markthalle ist es gut sechzig Grad wärmer, über 20 Grad plus. Auf der Galerie im ersten Stock gibt es Kleidung. Rabijat Ganipajewa lehnt an der Brüstung. Sie verkauft Damenjacken, Daune und Fell, und gefütterte Jeans. Heute war noch kein Kunde da. Rabijat kommt aus Dagestan im Nordkaukasus.
"Ich bin 2003 hier hergezogen. Meine Verwandten waren schon hier. Man konnte damals viel Geld verdienen. Jetzt gibt es weniger Arbeit. Und die Leute haben Schulden und müssen ihre Kredite abbezahlen. Bei Gazprom und den Baufirmen verdienen die Leute sehr gut. Aber dort kommt nicht jeder unter."
Sie blickt hinunter ins Erdgeschoss. Der Obst- und Gemüsestand bietet ein trauriges Bild: Die Äpfel verschrumpelt, die Tomaten derangiert, Kartoffeln in großen Säcken, Kohl. Alles muss Tausende Kilometer angeliefert werden, ist dementsprechend teuer.
"Wir sind hier, um Geld zu verdienen"
In Novy Urengoj sei im Juni Frühling, im Juli Sommer, im August Herbst, den Rest des Jahres Winter, scherzen die Leute hier. Und im Sommer ist auch noch alles voller Mücken, denn dann verwandelt sich der Permafrostboden in Sumpf. Rabijat schreckt das nicht.
"Wenn ich drei Monate in Dagestan Urlaub mache, dann zieht es mich am Ende wieder hier her zurück. Das Klima ist zwar rau. Aber mir gefällt es hier. Weil ich hier Arbeit habe. Wir sind hier, um Geld zu verdienen. In Dagestan sind alle Fabriken geschlossen."
Neben ihr steht Aljona Nevzgoda und drückt auf ihrem Mobiltelefon herum. Sie verkauft Pullover, Mützen, Accessoires.
"Die Menschen hier sind gut. Hier gibt es ja keine Einheimischen, alle sind zugezogen. Und da erwartet niemand etwas von dem anderen. "
Aljona stammt aus Vinniza in der Zentralukraine. Elf Jahre lebt sie schon am Polarkreis. Sie hat mal eine Marineschule abgeschlossen und eine Zeit lang im Fernen Osten Russlands auf einem Fischtrawler gearbeitet.
"Russland gefällt mir besser. Hier gibt es Arbeit. In der Ukraine nicht, und das wird sich auch nicht ändern."
"Putin wird einen Weg finden"
In Nowy Urengoj leben viele Ukrainer. Über den Krieg versuchen sie nicht zu reden, sagt Aljona.
(Stöhnen.) "Ehrlich gesagt, ich bin schwach in Politik. Aber was in der Ukraine passiert, ist grauenvoll, und ich mache mir große Sorgen, weil mein Sohn dort ist. Ich hoffe, dass der Konflikt zum Sommer oder schon zum Frühjahr gelöst ist. Putin wird einen Weg finden. Auf ihm ruht meine einzige Hoffnung. Er ist ein sehr kluger Mensch, und er wird diesen Konflikt irgendwie lösen."
Alle ihre ukrainischen Freunde in Nowy Urengoj denken so, sagt Aljona.
"Und eins regt mich wirklich auf: Warum haben sie in der Ukraine das russische Fernsehen abgeschaltet? Warum können meine Landsleute dort keine Informationen mehr beziehen? Die denken, dass wir alle hier irgendwelche Zombies sind, gehirngewaschen von unserem Fernsehen. Aber Sie sehen doch, wir sind ganz normal. Und wir sagen, dass die Menschen dort Zombies sind.
Das ukrainische Fernsehen macht mich verrückt mit seiner Verlogenheit. Ich guck das nicht mal, wenn ich in der Ukraine bin.
Und das russische gucke ich auch nicht. Ich schaue mir oberflächlich die Nachrichten an, aber sobald es um die Kampfhandlungen geht, schalte ich aus. Dort wie hier. Denn wenn ich das russische Fernsehen gucke, will ich die Fenster mit Brettern vernageln wie 1941 und weinen."
Der Vergleich mit 1941 kommt nicht von ungefähr. In dem Jahr überfiel Hitler die Sowjetunion. Die russische Führung beschwört heute erneut eine faschistische Gefahr, das russische Fernsehen unterlegt das oft mit Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg.
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