Solidarität mit der Ukraine

Angst, Wut und die Sehnsucht nach Normalität

05:23 Minuten
Demonstrierende Menschen in Berlin, die gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen.
Forderung nach Frieden: Demonstration in Berlin. © picture alliance / Zumapress / Michael Kuenne
Von Gesine Dornblüth  · 19.02.2022
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In vielen europäischen Städten gibt es Aufrufe für Demonstrationen gegen die drohende Eskalation des Kriegs in der Ukraine. Ein Treffpunkt für die Vorbereitung der Kundgebungen ist die Berliner Bar „Meduza Space“. Unsere Reporterin hat sich dort umgehört.
Die Bar „Meduza Space“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Von den Decken hängen Leuchter mit langen Fäden, sie tauchen den Raum in violettes, grünes und silbriges Licht.

Keine Loblieder auf Putin

Diana Kiprach steht hinter dem Tresen und zapft Bier. Sie ist Ukrainerin.

Wir müssten eigentlich eine 2-G-plus-plus Regel einführen in unserer Bar. Geimpft, genesen, getestet und die richtige Antwort auf die Frage: Wem gehört die Krim? Als Extra- Zertifikat. Aber das ist nur ein Scherz. Wenn ich allerdings höre, wie jemand hier in der Bar Putin als einen tollen und starken Präsidenten lobt, dann überlege ich schon, ob ich nicht hingehe und ihm Hausverbot erteile. Aber ich habe das noch nie getan. Ich habe die Leute nur gebeten, das Thema zu wechseln. Man darf bei uns natürlich über Politik reden, aber Putin-Loblieder – das geht nicht.

Diana Kiprach, Bar-Betreiberin

Kiprach betreibt die Bar gemeinsam mit ihrem Mann und einem Freund. „Meduza heißt Qualle in Ukrainisch, Russisch, Italienisch und vielen anderen Sprachen", sagt sie. Zu ihnen kämen viele Zugereiste, denn sie seien eine englischsprachige Bar. "Und wir sind eine Art Zuhause für ukrainische Emigranten."

Verkostung mit ukrainischem Honiglikör

Kiprach organisiert auch ukrainische Kulturveranstaltungen: Mal eine Buchpräsentation, mal Kurzfilme, mal kleine Konzerte. Oder eine Verkostung mit ukrainischem Honiglikör. "So etwas gibt es in Berlin sonst nirgendwo", sagt sie. "Auch deshalb kommen viele Ukrainer hierher. Und auch viele Russen.“
Im hinteren Zimmer sitzen Vlada Vorobiova, Anton Dorokh und Maxim Gyrych im Halbdunkel. Auf Tischen stehen Kerzenleuchter.
Ein bunter Schriftzug - „Happy Birthday“ - erinnert an unbeschwerte Zeiten. Die drei schauen auf ein Handy. Anton Dorokh klickt auf eine Karte, die zeigt, dass es Kundgebungen in Leipzig, Budapest und Chemnitz geben soll.

Engagement für die Ukraine

Zahlreiche Organisationen haben den 19. Februar zum „Europäischen Tag der Solidarität mit der Ukraine“ erklärt. Europaweit soll demonstriert werden, in Berlin direkt am Brandenburger Tor. Die drei jungen Leute helfen bei der Vorbereitung. Sie haben schon in den vergangenen Wochen Demonstrationen auf die Beine gestellt. Zu denen kamen aber vor allem Angehörige der ukrainischen Diaspora.
„Dieses Mal wird es international", sagt Dorokh. Es soll die gleichen Demonstrationen in Wien, in Paris, in Lissabon und anderswo geben:

Es geht darum, zu zeigen, dass Europa sich um die Ukraine sorgt. Und darum, Menschen wachzurütteln. Denn in den letzten Jahren haben sie die Ukraine fast vergessen.

Anton Dorokh, Regisseur

Der Student Max Gyrych wurde für sein Engagement mal belächelt, mal als ukrainischer Nationalist beschimpft. Er sagt: „Das hört man schon öfter. Und leider auch das Vorurteil, dass die Ukraine immer ein Teil von Russland war." Deswegen wollen die Organisatoren die deutsche Öffentlichkeit entsprechend bilden. "Hoffentlich wird das auch bald Früchte tragen. Ich bin da ziemlich zuversichtlich."

Der Mörder vor der eigenen Haustür

Die 18-Jährige Vlada Vorobiova studiert Kulturwissenschaft und jobbt in der Bar. Sie sagt:

Ich möchte, dass sich die Menschen in Deutschland vorstellen, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem man ständig in Sorge ist. Es ist, als wärest du in deiner Wohnung, alles ist gut, du hast Netflix und Snacks, alles, was du brauchst, um Spaß zu haben, aber vor deiner Wohnungstür steht einer mit dem Messer, der dich jederzeit umbringen kann. Und du weißt nie, ob er jetzt die Tür aufbricht. Wenn ich meine Freunde einlade, mit mir zu demonstrieren, dann will ich ihnen sagen: Schaut mal, ihr solltet dankbar sein, dass ihr demonstrieren und anschließend sorglos nach Hause gehen könnt. Ich denke, wir sollten alle mehr Empathie füreinander zeigen.

Vlada Vorobiova, Studentin

Anton Dorokh kann das nur bestätigen. Er ist 2014 aus dem besetzten Donezk in der Ostukraine geflohen, als dort der Krieg begann. In Berlin arbeitet er als Journalist und Regisseur: „Ich kann schlafen, aber immer, wenn ich aufwache, bin ich wütend, richtig wütend."

Sehnsucht nach Normalität

Er arbeite, organisiere die Demonstrationen, verfolge die Nachrichten. "Dieser Ärger gibt mir Energie, aber er stresst mich auch. Ich möchte das Leben zurück, das ich vor dieser Eskalation hatte." Da hätten sie sich in der Bar getroffen und überlegt, was für Kulturveranstaltungen sie machen. "Ich wünschte, wir müssten die Leute nicht mit Protesten und Sprechchören aufklären, sondern könnten uns darauf konzentrieren, ihnen unsere schöne Kultur zu zeigen."

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