Ukraine

"Russland verhält sich sehr destruktiv"

Wladimir Putin schreitet durch eine goldbesetzte Flügeltür, die ihm von zwei Uniformierten geöffnet wird, zu seiner Rede.
Wladimir Putins Politik sei von Phantomschmerz geprägt, meint Werner Schulz. © dpa / picture-alliance / Michael Klimentyev
Werner Schulz im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Das "Wiedereinsammeln" ehemaliger Sowjetrepubliken in einer Eurasischen Union sei das Projekt von Russlands Präsident Putin, sagt der Europa-Abgeordnete Werner Schulz. Doch die Ukrainer orientierten sich in Richtung EU.
Korbinian Frenzel: Wohin baut die Ukraine ihre Brücken? Richtung Europa, Richtung EU oder Richtung Osten, Richtung Russland? Heute verhandelt der ukrainische Präsident Janukowitsch in Moskau über eine engere Wirtschaftskooperation. Einen knappen Monat, nachdem er entsprechende Verhandlungen mit der EU einseitig aufgekündigt hatte. Das sorgt für Zoff im Land selbst, in der Ukraine, das sorgt aber auch, und zwar nicht zu knapp, für Zoff zwischen der EU und Russland.
Der Grünen-Politiker Werner Schulz, mein Gesprächspartner jetzt, hat eigentlich das Gegenteil zum Job, er soll beide Seiten zusammenführen, als Vorsitzender des Kooperationsausschusses zwischen der EU und Russland im Europäischen Parlament. Einen schönen guten Morgen, Herr Schulz.
Werner Schulz: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel.
Frenzel: Kooperation ist das letzte Wort, das mir im Moment einfallen würde, wenn es um die EU und Russland geht. Haben wir nicht eher fast schon so etwas wie die Rückkehr des Ost-West-Konflikts?
Schulz: Wir haben zumindest extreme Spannungen im Verhältnis, die sich in den letzten Monaten, ja sogar Jahren eigentlich, aufgebaut und verschärft haben. Ja, wir verhandeln seit einigen Jahren über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und kommen eigentlich nicht von der Stelle, weil Russland sich wenig bewegt und wenig darauf eingeht, dass man im Grunde genommen eine gleiche Wertebasis aufbauen wollte. Ja, das sieht im Moment nicht gut aus.
Frenzel: Das heißt, Russland ist schuld.
Schulz: Ach, das klingt dann so banal, wenn man das so sagt, aber Russland verhält sich sehr destruktiv, und seit Präsident Putin wieder im Amt ist, also Putin der Dritte, seine dritte Amtszeit, hat er sich ein sehr ehrgeiziges Projekt vorgenommen, das ist die Re-Integration im postsowjetischen Raum. Also die Wiederzusammenführung von ehemaligen Sowjetrepubliken in eine sogenannte Eurasische Union. Und das versucht er mit brutaler Härte, Druck, Drohungen, dem ganzen Instrumentarium, was so eine neoimperiale Politik ausmacht. Das erleben wir momentan in der Ukraine, das haben wir bei Georgien erlebt, das erleben wir in Armenien, also all diesen Staaten, mit denen die EU eine Partnerschaftspolitik eigentlich konzipiert hatte.
Frenzel: Wenn wir diese Geschichte mal aus russischer Perspektive erzählen, und der russische Außenminister Lawrow hat das ja gestern in Brüssel getan, dann könnte man das auch so sehen: Die EU ist diejenige, die da letztendlich in einen Einflussbereich hineinregieren möchte. Man könnte ja auch sagen: Was spricht eigentlich dagegen, dass eine ja gewählte demokratische Führung in der Ukraine entscheidet, die Kooperation mit Russland zu suchen und nicht mit der EU?
Schulz: Ja, das tut sie offenbar gegen ihre Bevölkerung. Das erleben wir ja momentan auf dem Euro-Maidan, dass eine große Mehrheit in der Ukraine sich eher für die Orientierung in Richtung EU entscheiden möchte. Man muss ja dazu sagen, die Sowjetunion hat sich aufgelöst, Putin empfand das als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Und dieser Phantomschmerz, dass man Sowjetrepubliken verloren hat, das prägt seine Politik heute. Er hat allerdings, glaube ich, den Realitätsverlust, dass sein Russland von heute eine Weltmacht von gestern ist. Das heißt, es gelingt ihm nur mit Druck, diese Sowjetrepubliken wieder einzusammeln. Die baltischen Republiken, also Litauen, Lettland, Estland sind ohnehin zur EU gegangen.
Man hat das ja auch bei der Osterweiterung gesehen. Es ist ja nicht so, dass die EU sich ausdehnt, sondern dass diese Staaten eher zur EU möchten, weil das Gesellschaftsmodell, das politische Modell ist attraktiv. Es beruht auf Demokratie, auf Freiheit, auf Souveränität, auf Wohlstand, auf Rechtsstaatlichkeit. Das ist das, was diese Länder wollen. Und als in Prag die Östliche Nachbarschaftspolitik konzipiert worden ist, 2009, war es ja so, dass diese Staaten, also die Ukraine, Moldawien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien zur EU sich hingewendet haben und nicht nach Russland. Also die Erfahrung mit Russland und mit Moskau und dem Kreml haben sie, das wollen sie eigentlich nicht noch mal erleben.
Werner Schulz, Europaabgeordneter Bündnis90/ Die Grünen
Werner Schulz, Europaabgeordneter Bündnis90/ Die Grünen© picture alliance / dpa/Schindler
Frenzel: Sie sagen, das politische Modell Europas ist attraktiv, aber ganz offenbar, jetzt im konkreten Fall Ukraine, war das Angebot nicht so interessant für die ukrainische Führung oder vielmehr ein Angebot, das sie eigentlich gar nicht annehmen konnten, wenn klar war, dass dann die Kooperation mit Russland schwierig wird. Hat die EU hier nicht einen zentralen Fehler gemacht, dass sie nicht ein besseres Angebot an die Ukraine gemacht hat?
Schulz: Ich kann den Fehler wirklich nicht erkennen. Weil es ist ja nicht, dass wir die Ukraine abkaufen wollen und da mit großen Summen hantieren, sondern es ist das zivilisatorische Modell, was einen großen Anreiz bietet. Und die Ukraine steckt natürlich in großen Schwierigkeiten, wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sie ist abhängig von den Gaslieferungen aus Russland. Und Russland hat ja nicht zum ersten Mal mit der Abdrosselung der Gaslieferungen gedroht. Das ist ja schon zweimal passiert. Man hat doch den Gaspreis hoch gesetzt, man operiert mit dem Gaspreis oder erpresst die Ukraine. Von Russland aus ist der Druck gegangen. Es gab einen regelrechten Handelskrieg, Warenboykott an der Grenze.
Man hat Stahlrohre nicht mehr ins Land gelassen nach Russland, man hat Pralinen zurückgewiesen, man hat die ukrainischen Gastarbeiter nicht über die Grenze gelassen. Man hat gedroht. Der Wirtschaftsberater Putins, Sergei Glasjew, hat gesagt, das sei politischer Selbstmord, wenn die Ukraine sich in Richtung EU orientieren würde, und hat ein Drohgemälde an die Wand gemalt. Der Mann hat in diesem Jahr dann einen Preis bekommen, dass er es geschafft hat, die Ukraine wieder in den Wirtschaftsverbund mit Russland zurückzuholen. Also hier versucht Russland, wieder die Staaten einzusammeln, die früher mal zur Sowjetunion gehörten.
Frenzel: Aber Herr Schulz, ist das nicht ein bisschen das Problem unserer westlichen Wahrnehmung, dass, wenn wir die Dinge betreiben, dass es dann immer um das Wahre, Gute und das Schöne geht, und wenn die anderen Dinge tun, dann sind das schnöde Interessen, dann ist das schnöde Interessenpolitik. So einfach kann es doch nicht sein, oder?
Schulz: Na ja, aber wir achten die Souveränität der Ukraine. Es ist ja nicht so, dass wir die Ukraine erpresst haben oder der Ukraine irgendetwas abverlangt haben, sondern die Ukraine selbst, die Menschen sehnen sich nach der Rechtsstaatlichkeit, sie wollen diese Korruption, diese Kleptomanie überwinden. Sie möchten endlich in einem Land leben, das nicht von Oligarchen beherrscht wird. Das erleben wir doch momentan auf dem Euro-Maidan.
Frenzel: Wir sehen einige hunderttausend Menschen, die demonstrieren. Aber ist das die gesamte Ukraine? Die Ukraine hat ja gewählt. Sie hat einen Präsidenten Janukowitsch gewählt.
Schulz: Ja, das ist wohl richtig. Allerdings ist keine der bisherigen Wahlen in der Ukraine wirklich koscher gewesen. Das muss man dann mit dazu sagen. Das ist ja auch gerade der politische Widerstand von Julia Timoschenko gewesen, die die Wahl von Janukowitsch angezweifelt hat. Im Übrigen war das ja auch 2004 schon der Auslöser für die Orangene Revolution, dass die Wahl nicht in Ordnung war. Aber davon abgesehen: Wir erleben auf diesem Euro-Maidan wirklich ein unglaubliches Bekenntnis zu Europa. Wann hat man das mal erlebt, dass die Europafahne von Demonstranten geschwungen worden ist, dass sie zu Europa halten und sich aus dieser Richtung her eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erhoffen?
Es ist die Zukunft, die sie in Europa sehen, und sie fühlen sich betrogen um ihre Zukunft, um ihre Perspektive. Das macht den Protest im Moment aus. Und Sie mögen recht haben, das ist in der Westukraine wesentlich stärker ausgeprägt als in der Ostukraine. Aber schauen Sie sich die Gegendemonstration an – die musste organisiert und bezahlt werden, um ein paar Tausende nach Kiew zu holen. Es gibt keine großen Protestdemonstrationen in Donezk oder in Charkow. Also, obwohl sich dort sicherlich die Begeisterung für die EU eher in Grenzen hält.
Frenzel: So sieht es Werner Schulz, Europaabgeordneter für die Grünen und Vorsitzender des EU-Russlandausschusses im EU-Parlament. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Schulz: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema