"Wir fühlen uns im Stich gelassen"
Die ukrainische Maidan-Aktivistin Kateryna Mischchenko ist von Brüssel enttäuscht. Anlässlich des heutigen EU-Sondergipfels betonte sie, wie wichtig Kooperationen zwischen der EU und der Ukraine in allen Bereichen seien, auch in der Bildung und Kultur.
Nana Brink: Beim heutigen Sondergipfel der Europäischen Union wollen die Staats- und Regierungschefs auch über den Konflikt in der Ukraine sprechen und mögliche weitere Sanktionen gegen Moskau beraten. Allerdings hat man ja den Eindruck, die EU möchte dem neugewählten Präsidenten Poroschenko noch ein wenig Zeit geben und sich nicht so weit gegenüber Moskau aus dem Fenster lehnen. Aber wie blickt man eigentlich seitens der Maidan-Bewegung heute in Richtung Europa? Wir erinnern uns ja, der Auslöser des Umbruchs war ja die proeuropäische Maidan-Bewegung. Und wer wüsste das besser als Kateryna Mishchenko, sie ist freie Autorin und Aktivistin der ersten Stunde. Schönen guten Morgen, Frau Mishchenko!
Kateryna Mishchenko: Guten Morgen!
Brink: Was tut sich denn gerade innenpolitisch in der Ukraine, mal abgesehen vom Osten. Gibt es Fortschritte?
Mishchenko: Ach, es tut sich ganz viel, aber ich glaube, sowohl die Regierung als auch die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger sind jetzt ganz mit dieser Situation im Osten beschäftigt. Und für viele meiner Mitbürger ist es wirklich eine Kriegssituation und Kriegserfahrung. Und ich glaube, es ist auch jetzt schwierig, über irgendwelche andere Themen und Fragen grundsätzlich nachzudenken, und das ist natürlich auch nicht einfach für die Entwicklung des Landes.
Brink: Dann stellt sich natürlich mir sofort die Frage: Die Ukraine ist auseinandergefallen. Sie sagen, das ist das, was uns so beschäftigt. War es das dann wirklich wert?
"Wir hoffen, dass die Sanktionen funktionieren"
Mishchenko: Ach, ich würde nicht sagen, die Ukraine ist auseinandergefallen. Wahrscheinlich ist es beides: Einerseits haben wir wirklich eine Spaltung erlebt auf der Krim und im Osten, die das auch vielleicht Russland einfacher gemacht hat, dort eine eigene Politik zu führen. Andererseits gibt es auch eine große Solidarität von allen Bürgern, die jetzt auch die ukrainische Armee unterstützen und auch ganz viele Flüchtlinge, die aus dem Osten dann in die ganze Ukraine fahren, sei es Kiew oder auch irgendwelche westukrainischen Städte. Und überall gibt es Unterstützung und Engagement von einfachen Menschen. Und das ist auch eine sehr wichtige Entwicklung und eine wichtige soziale Erfahrung. Also, wie auch auf dem Maidan, haben die ukrainischen Menschen nicht so viele Hoffnungen auf die Regierung vielleicht und auf die EU. Ich würde das so sagen.
Brink: Fühlen Sie sich von der EU im Stich gelassen?
Mishchenko: Ich glaube schon. Aber dieses Gefühl ist mir schon von den Zeiten des Maidan bekannt. Es ist auch jetzt nichts Neues. Natürlich gibt es jetzt, glaube ich, mehr Verständnis dafür, dass die EU doch vieles beeinflussen kann.
Brink: Was hätten Sie sich denn erhofft von der EU?
Mishchenko: Wir hoffen noch immer, dass die Sanktionen funktionieren werden und dass diese russische Aggression stoppt. Bisher gibt es keine Zeichen, dass Russland jetzt einen Schritt zurück machen will. Und das erwarten wir.
"Zeichen geben, dass die Ukraine auch ein Teil von Europa ist"
Brink: Also mal abgesehen von dem Druck, den Sie sich erwarten vonseiten der Europäischen Union in Richtung Moskau – das wird ja wahrscheinlich eher nicht passieren, dass die Sanktionen verschärft werden –, was würden Sie sich denn an Unterstützung wünschen, also innenpolitisch für die Ukraine vonseiten der Europäer?
Mishchenko: Diese Geschichte mit den Sanktionen und mit der Politik der EU, die macht auch etwas pessimistisch, was die Kooperation zwischen der Ukraine und der EU betrifft. Und ich glaube, man soll doch verstehen, dass die Ukraine das, was wir die europäischen Werte nennen, also diese allgemeinmenschlichen Werte, dass die Ukraine bereit ist, sie zu vertreten und dass die Bürger total engagiert sind, und man kann ja nicht so offensichtlich oder so offen der Ukraine zeigen, dass die Ukraine nicht so wichtig ist für die EU. Und ich glaube, diese, ja – ein Zeichen zu geben, dass die Ukraine auch ein Teil von Europa ist, vom neuen Europa ist, wäre auch eine Unterstützung. Natürlich meine ich auch institutionelle Unterstützung des Landes, und auch Kooperationen auf unterschiedlichen Ebenen. Auf der Kulturebene, auf der Bildungsebene, die momentan auch von – also auch politisch wichtig wäre.
Brink: Aber finanziell ist die Unterstützung ja doch schon passiert und das Abkommen unterzeichnet.
Mishchenko: Ja. Die Unterzeichnung des Abkommens hat mit der finanziellen Unterstützung nicht so viel zu tun, es gibt aber andere Quellen der Unterstützung. Es geht hier nicht nur um das Geld. Ich glaube, es geht darum, dass diese Kommunikation zwischen einzelnen Ländern passieren soll, und dafür muss auch ein bestimmter institutioneller Rahmen geschaffen werden. Es passiert schon viel, aber ich glaube, man muss in dieser Richtung auch weiter arbeiten.
Brink: Kateryna Mishchenko, freie Autorin und Aktivistin der ersten Stunde der Maidan-Bewegung. Schönen Dank, Frau Mishchenko!
Mishchenko: Ja, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.