Ukraine-Krieg und Afrika
Getreide konnte wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine monatelang nicht von dort exportiert werden. © picture alliance / Daniel Kubirski
Hungerkrise und die Hoffnung auf neue Energie-Deals
23:25 Minuten
Viele afrikanische Staaten sind abhängig von Weizenimporten aus der Ukraine und Russland. Ihnen droht eine Hungersnot. Die Suche nach Alternativen zu russischen Energieressourcen könnte für einige afrikanische Länder aber auch eine Chance sein.
Kenia, Ostafrika: An ihrem Straßenstand in der Hauptstadt Nairobi rollt Ruth Gichoke Teig aus. Er soll zu Chapati werden, dünnen Weizenfladen, die in Kenia gerne zum Frühstück, aber auch zu anderen Mahlzeiten gegessen werden. Sie verkauft sie an einer der Hauptstraßen im Armenviertel Kangemi. Eigentlich ein guter Standort. Trotzdem laufen die Geschäfte zuletzt schlecht.
Wegen der hohen Preise würden weniger Kunden kommen, erzählt sie. Weil Weizenmehl und Öl so viel teurer geworden sind, muss sie inzwischen doppelt so viel wie noch vor einigen Wochen verlangen.
Einer noch unentschlossenen Kundin ruft sie darum ein freundliches Willkommen zu. Als die Frau den Preis von umgerechnet 20 Cent hört, ist ihr aber klar: Mehr als einen Fladen kann sie sich nicht leisten. “Früher war das Leben billiger", sagt sie. "Jetzt ist es schwer, eine Familie zu ernähren. Alle Nahrungsmittel sind teurer. Ein Grund dafür ist der Krieg in der Ukraine, denn vieles wird importiert, wie Treibstoff zum Beispiel.“
Weniger und teurer
Auch Weizen stammt zu einem großen Teil aus Russland und der Ukraine. Insgesamt deckt der Kontinent nach Angaben der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung etwa ein Drittel seines Bedarfs dort. In Kenia ist es noch mehr. Hinzu kommt, dass es über viele Monate zu wenig geregnet hat. Die Ernten sind auf den Feldern verdorrt. In einer Zeit, in der die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel steigen, ist das Land noch mehr als sonst auf teure Importe angewiesen.
Der Sprecher des Welternährungsprogramms in Deutschland, Martin Rentsch, befürchtet, dass in dieser Situation Unruhen ausbrechen könnten. „Weil Hunger auch immer eine ganz große destabilisierende Wirkung hat und das ja auch politische Konsequenzen nach sich zieht. Wir wissen aus der Vergangenheit, aus den Ländern Nordafrikas, wie das eben zu Konflikten führen kann, und was sich die Welt momentan überhaupt nicht leisten kann, sind weitere Konflikte.“
Sorge vor Unruhen in Nordafrika
Steigende Lebensmittelpreise waren etwa vor elf Jahren unter anderem in Tunesien der Zündstoff für die Revolution, den sogenannten Arabischen Frühling. Der kleine nordafrikanische Staat bezieht bis zu 60 Prozent seiner Weizenimporte aus der Ukraine und Russland.
Deshalb macht sich der Krieg in Tunesien auch in den Supermärkten und Bäckereien bemerkbar: Schon Anfang März spürten Kunden das tagtäglich, auch weil viele aus Panik Hamsterkäufe tätigten – wie diese Frau erzählt, als sie aus einem Supermarkt in der Hauptstadt Tunis kommt. „Gerade haben sie Couscous aufgefüllt", sagt sie. "Zucker und Reis gibt es quasi nicht, aber irgendetwas findet man. Sie füllen auf und dann ist es gleich wieder weg. Sie füllen auf, und dann leert es sich komplett. Das ist fast jeden Tag so.”
Anstehen für Mehl
In der Hauptstadt Tunis sei die Situation noch erträglich, berichten Verbraucherinnen. In anderen Regionen stünden die Menschen stundenlang Schlange vor Bäckereien, sagt Chiheb Nasr. Nasr kommt aus Douz, einer Kleinstadt am Rande der Wüste und hat einen Haushaltsbedarf-Großhandel. „Das Mehl wird nur schwarz verkauft", sagt er. "Wenn du jemanden darum bittest, dann kriegst du vielleicht nach vier, fünf Tagen etwas, aber auch nur über Beziehungen. Wenn du den Lebensmittelhändler oder den Großhändler kennst, legt er dir vielleicht etwas beiseite."
Öl und Mehl gebe es sonst höchstens auf dem Schwarzmarkt. "Neulich habe ich gesehen, dass sie im Supermarkt eine Palette Mehl abgeladen haben. Ich bin also hin. Die Schlange ging von der Kasse bis zur Tür, durch alle Gänge. Da standen vielleicht hundert Leute, jeder mit zwei Paketen Mehl.“
Grundnahrungsmittel sind in Tunesien stark staatlich subventioniert. Getreide wird zentral vom Staat importiert. Ausländische Marken werden als Luxusgüter eingestuft und sind durch die hohen Zölle für viele Verbraucher in Tunesien zu teuer.
Am Anfang war die Verschuldung
Schon vor dem Krieg in Europa sei die tunesische Regierung nicht mehr in der Lage gewesen, eingehende Weizenlieferungen zu bezahlen, berichtet auch der spanische Abgeordnete Javier Nart bei einer Sitzung des Außenausschusses des Europaparlaments. „Die Europäische Union musste zwei Weizenschiffe finanzieren, weil Tunesien kein Geld hatte, um diesen Weizen zu bezahlen. Wenn wir das Geld nicht in bar gegeben hätten, hätten wir die Fracht nicht ausladen können.”
Dass Tunesiens Regierung wichtige Weizenlieferungen nicht mehr bezahlen kann, liege an steigenden Weltmarktpreisen, massiver Verschuldung und der Pandemie. Wichtige Einnahmen wie beispielsweise aus dem Tourismussektor seien ausgeblieben, sagt Thomas Claes von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis. „Tunesien hat gleichzeitig erheblich Schulden aufgenommen in den Jahren zuvor und dabei über seine Verhältnisse gelebt. Da kommen jetzt die Rechnungen. Tunesien musste im vergangenen Jahr die Schulden begleichen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar."
Das habe zu einem erheblichen Druck auf die tunesischen Währungsreserven geführt. "Da ist dann oft einfach nicht mehr genug da, um Rechnungen für Schiffe, die Nahrungs- oder Düngemittel reinbringen, schnell zu begleichen.”
Auf Geldmangel folgt Innovationsmangel
Laut Thomas Claes muss Tunesien seinen Agrarsektor umbauen, mehr für den heimischen Bedarf produzieren. Präsident Kais Saied, der im Sommer 2021 die Regierung entmachtet hat und de facto allein regiert, beschäftigt sich zurzeit eher damit, den Machtapparat des Staates umzubauen.
Für die meisten Tunesier ist das nicht das drängendste Problem. Eine fragile Wirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit und nun auch noch Probleme, Grundnahrungsmittel zu kaufen: ein Pulverfass.
Subventionen müssten sich Staaten wie Tunesien, die sich in einer Wirtschaftskrise befinden, aber auch erst einmal leisten können, sagt Abeer Efeta, Sprecherin des Welternährungsprogramms WFP. „Lebensmittel zu subventionieren, bedeutet in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs, dass Ressourcen in Subventionen fließen und nicht in Entwicklung.”
Ein Teufelskreis sei das, sagt Abeer Efeta, denn der Hunger berge politische Risiken. „Es wird immer die Sorgen geben, dass Nahrungsmittelkrisen und Hunger das Risiko politischer Unsicherheit und für Konflikte erhöhen wird.”
Sahelzone besonders betroffen
Mali, Tschad, Burkina Faso, Niger: Besonders Staaten in der sogenannten Sahelregion rund um die Sahara-Wüste sind von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs betroffen. Das sagt auch Jan Sebastian Friedrich-Rust von der Hilfsorganisation Aktion gegen den Hunger.
Er beobachtet die Entwicklungen in der Sahelregion mit Sorge: Allein mehr als sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren seien dort vom Hungertod bedroht. „Die Auswirkungen auf humanitäre Akteure wie uns sind natürlich dramatisch, denn auch wir sind natürlich an Weltmarktpreise gebunden. Die Preissteigerungen bei Öl beispielsweise führen zu einer Preissteigerung von therapeutischer Fertignahrung, die wir einsetzen, um akut mangelernährte Kinder zu behandeln. Im Klartext: Wir können Kinder, die akut vom Hungertod bedroht sind, mit den vorhandenen Mitteln teilweise einfach nicht behandeln.”
Schlimmste Nahrungsmittelkrise seit zehn Jahren
Das UN-Welternährungsprogramm schätzt nun, dass aufgrund der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs allein in Westafrika sieben bis zehn Millionen mehr Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sein könnten. Hilfsorganisationen haben jüngst bereits Alarm geschlagen: Demnach seien in Westafrika insgesamt bis zu 38 Millionen Menschen von Hunger bedroht: die schlimmste Nahrungsmittelkrise seit zehn Jahren.
Drohen Hungerrevolten? In verschiedenen Staaten hat es immerhin schon Demonstrationen gegen die Preissteigerungen gegeben. Der Sahel-Experte der International Crisis Group, Richard Moncrieff, sagt, der Zusammenhang zwischen Brotpreisen und politischen Machtkämpfen sei extrem schwer zu fassen. “Die Zusammenhänge zwischen Inflation und politischer Instabilität sind sehr schwer zu belegen. Es gibt eine sehr hohe Widerstandskraft in den afrikanischen Gesellschaften, und die Gründe für Gewalt und Unruhen liegen oft nicht in der Sorge um die nackte ökonomische Existenz.”
Im Zentrum der Vielfachkrisen
Viele Staaten im Sahel kämpfen jetzt schon gegen Vielfachkrisen. Zwei Jahre Auswirkungen der Pandemie, zusätzlich noch die Folgen des Klimawandels, ethnische Konflikte und der sich ausbreitende islamistische Terror im Sahel führen bereits seit Jahren zu Tausenden Toten und Millionen von Vertriebenen. Auf dem afrikanischen Kontinent fliehen insgesamt mehr und mehr Menschen vor Gewalt und Terror – und auch der Hunger treibt viele in die Flucht.
Somalia, Krisenland in Ostafrika: In einem Krankenhaus der SOS-Kinderdörfer in der Hauptstadt Mogadischu werden Neuankömmlinge registriert. Seit Wochen werden es immer mehr, die hier mit ihren Kindern Hilfe suchen. So wie Hassan Ali, der mit seinem Sohn auf einem Bett sitzt und auf Behandlung wartet. Der Kleine ist genau wie sein Vater abgemagert.
„Ich bin aus dem Süden hierhergekommen", sagt Hassan Ali. "Meinen Kindern geht es schlecht, weil sie unterernährt sind. Ich bin Landwirt, aber ich hatte nichts mehr, was ich ihnen zu essen geben konnte.“
Internationale Unterstützung dringend benötigt
In Somalia sind mehrere Regenzeiten in Folge ausgefallen. Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten Dürre seit vier Jahrzehnten. Betroffen sind auch die Nachbarländer Kenia und Äthiopien. Mehr als 18 Millionen Menschen sind hier nach Schätzungen der UN auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Doch es fehlt an Mitteln, um sie zu versorgen, klagt der Sprecher des Welternährungsprogramms Petroc Wilton.
„Die Nahrungsmittelpreise in Somalia sind wegen der ausgefallenen Ernten sowieso schon durch die Decke gegangen", sagt er. "Der Ukraine-Krieg könnte die Lage verschärfen. Somalia ist bei seinen Weizenimporten stark von der Schwarzmeer-Region abhängig. Die Preise für dieses Grundnahrungsmittel sind auf dem Weltmarkt gestiegen. Auch der Transport kostet mehr. Das Geld, das zur Verfügung steht, reicht darum für weniger Nahrungsmittel.”
2011 starben etwa eine Viertelmillion Menschen aus Somalia an Hunger. Danach wurden Frühwarnsysteme installiert, die solche Katastrophen verhindern sollten. Sie halfen, als 2017 wieder Ernten ausfielen. 2011 habe der Welt eine schmerzhafte Lektion erteilt, sagt Petroc Wilton. "Viele Menschen haben nicht überlebt, vor allem Kinder. 2017 waren wir vorbereitet und haben schnell genug reagiert. Es ist noch nicht zu spät, auch jetzt noch das Schlimmste zu verhindern. Aber wir brauchen mehr Ressourcen und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.”
Wenn alle Hilfe vergeblich ist
Vor der Klinik in Mogadischu werden die Kinder in einer hängenden Plastikwanne gewogen, um festzustellen, ob sie ambulant behandelt werden können oder eingewiesen werden müssen.
Ärztin Hani Hussein versucht alles, um ihren kleinen Patienten schnell zu helfen. Doch manchmal sei das vergeblich. „Zwei Kinder sind in den vergangenen Tagen gestorben. Als sie ins Krankenhaus kamen, war es schon zu spät. Sie hatten mit ihren Eltern eine weite Strecke zu Fuß laufen müssen, um hierherzukommen.“
Das Krankenhaus ist für viele auch darum eine Anlaufstelle, weil Behandlungen hier kostenlos sind. Die Einrichtung wird außer von SOS-Kinderdörfer auch noch von anderen Organisationen unterstützt.
Doch in der Notlage ist es für Klinik-Direktor Ahmed Mohamed Abdullah schwieriger geworden, mit den Ressourcen auszukommen. „Viele Menschen, die durch die Dürre vertrieben werden, kommen hierher. Jeden Tag sind es etwa 200 Kinder und 100 Mütter. Wir haben aber nur zehn Ärzte, die sich um sie kümmern können. Außerdem fehlen Medikamente und andere wichtige Materialien.“
Zum Hunger kommt in Somalia der Terror
Lange wird der Betrieb so nicht mehr weiterlaufen können. Jetzt müssten die Geldgeber einspringen. Doch der Direktor fürchtet, dass die Zuwendungen sogar weniger werden könnten. „Bisher stellen wir nicht fest, dass europäische Länder die Zahlungen zurückfahren. Aber der Krieg in der Ukraine könnte das ändern. Wir bieten kostenlose Behandlungen an und sind von unseren Geldgebern abhängig.“
Die politische Situation in Somalia ist instabil. Weite Teile des Landes, vor allem auch die Dürregebiete im Süden, werden von der islamistischen Shabaab-Miliz kontrolliert. Zum Hunger kommt der Terror. Ohne Hilfe von außen wird Somalia es nicht schaffen, mit der Krise fertig zu werden.
Doch die internationale Gemeinschaft scheint wie schon 2011 auf die Warnungen nicht ausreichend zu reagieren. Im Schatten des Ukraine-Konflikts steuert Somalia auf eine Hungerkatastrophe zu.
Auch in Südafrika steigen die Preise
Auch ganz im Süden des Kontinents sind Auswirkungen des Krieges spürbar. Die Benzinpreise zwingen die Menschen in Südafrika förmlich in die Knie. Mehr als 26 Rand pro Liter Benzin müssen sie bezahlen, umgerechnet etwa 1,60 Euro – so viel wie noch nie.
Das stellt Banto Badrudeen vor Probleme. Er hat ein Lebensmittelgeschäft in Bonteheuwel, einem armen Stadtteil von Kapstadt. „In dieser Gegend können wir die Preise nicht erhöhen, weil die meisten Menschen arbeitslos sind. Ich bin seit 35 Jahren hier, ich weiß, was die Leute hier durchmachen. Ich kann nicht teurer werden, weil die Benzinpreise steigen. Wir müssen auf die Menschen eingehen, sonst verlieren wir unser Geschäft.“
Gute Getreideernten dämpfen die Probleme
Auch aus Sicht der Verbraucher gibt es jetzt Herausforderungen, die schwerer wiegen als vor Beginn des Krieges in der weit entfernten Ukraine.
Angelina Mahlokwana lebt in Soweto südlich von Johannesburg. Sie hat Arbeit und muss doch jeden Rand zweimal umdrehen, denn die Fahrt im Sammeltaxi zur Arbeit oder die Fahrt mit dem Schulbus werden allmählich unerschwinglich, erzählt sie. „Wir haben früher zwölf Rand bezahlt, nur für die Fahrt von Soweto in die Innenstadt, jetzt sind es 20 Rand. Wenn ich an die Kinder denke: 600 Rand kostet der Schulbus pro Kind – und ich habe drei! Das wird schwierig. Ich glaube, sie werden bald zur Schule laufen müssen.“
Schon ohne den Krieg in der Ukraine hatte Südafrika seine Schwierigkeiten. Die Preise für Strom und Wasser werden seit Jahren immer wieder erhöht. Die weltweit höheren Preise für Rohöl kommen nun dazu. Die Regierung dringt seit Beginn der Krise darauf, dass sie durch Gespräche, durch Verhandlungen gelöst wird.
Auch Außenministerin Naledi Pandor ist sich der Situation bewusst. „Das Kernproblem für uns sind die gestiegenen Rohöl-Preise und die Auswirkungen, die sie auf alle anderen Waren und alle Bereiche des Handels haben. Darum müssen wir uns kümmern. In Südafrika hatten wir in den vergangenen Jahren gute Getreideernten. Sollte der Konflikt aber sehr lange dauern, werden die Folgen auch für uns schwerwiegender sein.“
Selbstversorger sind im Vorteil
Südafrika gilt seit langem als eines der ungleichsten Länder der Welt, mit einem tiefen Graben zwischen Arm und Reich. Arme Menschen stehen jeden Tag vor einer Art Verteilungskampf, und das, obwohl die Landwirtschaft tatsächlich gut läuft. Engpässe gibt es tatsächlich nämlich nicht.
Heleen Viljoen gehört zu Grain SA, einer eigenständigen und unabhängigen Organisation für Getreidehandel. Sie erklärt das am Beispiel Weizen. „Wenn wir unsere eigene Produktion betrachten, machen wir uns keine Sorgen. Laut unseren Vorhersagen hat Südafrika genügend Vorräte bis zum Ende der Handelssaison, also bis September. Weil wir im eigenen Land genug lagern, haben wir für weitere zwei Monate Weizen. Ab September wird auch eine neue Ernte reinkommen, weil die Bauern hier ja noch den Winterweizen gesät haben. Was Importe angeht, sind wir auch nicht besorgt. Die Länder, aus denen wir Weizen importieren, sind nicht Russland und die Ukraine.“
Die Verluste sind mittelfristig
Verglichen mit anderen Ländern des Südlichen Afrikas steht Südafrika noch gut da. Der Kap-Staat kann sich nicht nur selbst versorgen, sondern exportiert auch viele Lebensmittel. Piet Engelbrecht baut Zitronen und Orangen an. Zehn Prozent seiner Früchte hat er bisher nach Russland geliefert. Die Exporte, die nun liegen bleiben, sind für ihn nicht der große Schlag, sagt er. Betroffen ist er dennoch. „Das überleben wir schon. Das wird aber ein schwieriges Jahr, denn selbst wenn die Nachfrage hier steigt, geht das nicht so schnell", sagt er. "Die zehn Prozent kompensieren wir damit nicht. Auch viele unserer Düngemittel und unser Benzin kommen aus Russland und der Ukraine. Die Preise können sich verdoppeln oder verdreifachen. Wir werden das in den nächsten Monaten spüren.“
Neue Märkte lassen sich nicht so schnell erschließen, und Lebensmittel kann man nicht endlos lagern. Piet Engelbrecht rechnet deshalb mittelfristig mit Verlusten. Er schließt nicht aus, dass er einige Arbeitskräfte seiner Zitrus-Farm noch in diesem Winter entlassen muss.
Mehr Angebote für Ende des Jahres erwartet
Die Preissteigerung in diesem Jahr betrug seit März fast sechs Prozent. Selbst wenn Sonnenblumen direkt in Südafrika angebaut und das Öl auch im Land gepresst und abgefüllt wird, müssen Verbraucher dafür mehr zahlen. Das Gute aus südafrikanischer Sicht ist aber wohl, dass es immerhin Grundnahrungsmittel in ausreichender Menge gibt.
Heleen Viljoen von Grain SA zufolge ist die Tendenz sogar steigend. „Ich glaube nicht, dass wir einen Engpass haben werden, das müssen wir nicht befürchten", betont sie. "Die Langzeitfolgen, die wir durch den Krieg spüren werden, sind, dass die Preise hoch bleiben. Das hat für die Konsumenten einen Anteil an den höheren Lebensmittelpreisen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir ausreichend Sommergetreide geerntet haben, Mais, Sonnenblumen oder Sojabohnen. Und der Winterweizen ist laut unserer Vorhersage auf einer größeren Fläche, auf mehr Hektar, angebaut worden. Am Ende des Jahres wird es mehr Angebot geben.“
Mehr Angebot bedeutet aber nicht gleich geringere Preise, kritisiert Banto Badrudeen. Der Besitzer des Lebensmittelgeschäfts in Bonteheuwel, dem armen Stadtteil in Kapstadt, will seinen Laden aber – komme, was wolle – auf keinen Fall schließen. „Ich hatte den Gedanken schon, dachte dann aber: Nein, vielleicht wird es ja wieder besser. Ich gebe nicht auf und versuche, bei den Menschen zu bleiben, für die es schwierig ist.“
Hoffnung auf neues Gas-Geschäft im Senegal
Ob Afrika oder Europa: Auf beiden Kontinenten versuchen Staaten, sich unabhängiger zu machen von überlebenswichtigen Importen. Das könnte zumindest in einem Bereich für afrikanische Staaten eine Chance sein: Energie.
„Wir werden Senegal auch im Rahmen der G7 weiter unterstützen und natürlich auch im Rahmen einer Klimapartnerschaft", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Afrika Ende Mai. Seine erste Station: Senegal.
Senegal hat das, wonach Deutschland gerade weltweit sucht: Gas. 425 Millionen Kubikmeter Erdgas vermutet der Energiekonzern BP vor der westafrikanischen Küste. Senegal und Mauretanien haben Anteile daran, und Senegal will ab Herbst 2023 Flüssiggas, sogenanntes LNG, exportieren. Auf die Frage eines Reporters, ob er das auch nach Europa liefern würde, sagte Präsident Sall: Bei dieser Frage könne er vor Freude Luftsprünge machen.
Kein Wunder, denn das Erdgasfeld vor der Küste könnte Senegal große Einnahmen bescheren. Aber nicht nur das, sagt Jean Charles Biagui, Politikwissenschaftler an der Universität von Dakar. “Es ist nicht nur ein großer finanzieller Glücksfall für Senegal, sondern auch aus strategischer Sicht: Damit lassen sich die Energiequellen des Senegals diversifizieren. Das ist wichtig, schließlich haben wir viele Schwierigkeiten bei der Energieerzeugung, insbesondere beim Strom.”
Europas Energiehunger: ein Glücksfall
So geht es auch anderen afrikanischen Staaten. Europas neuer Energiehunger könnte auch afrikanische Staaten krisensicherer machen. Viele afrikanische Energie-Projekte nehmen durch den Krieg in der Ukraine Fahrt auf und rücken in Europas Blickfeld. Doch bis mehr afrikanisches Erdgas, der erste grüne Wasserstoff oder die erste Solarenergie aus der Sahara nach Europa fließen, wird es dauern.
Ganz Afrika spürt die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, auch wenn diese weit entfernt ist. Selbst Länder, die sich in der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht ausdrücklich gegen Russland gestellt haben, hoffen, dass es bald wieder Frieden gibt.