Propaganda auf Telegram

Welche Strategien verfolgt die Ukraine?

10:47 Minuten
Ein ukrainischer Flüchtling hält ein Smartphone in der Hand und sieht sich das Video einer Rede von Wolodymr Selenskyi an.
Insbesondere via Apps verbreiten sich Wolodymyr Selenskyjs Reden rasend. © picture alliance / dpa / CTK / David Tanecek
Ivo Mijnssen im Gespräch mit Teresa Sickert und Tim Wiese |
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Auch Social Media ist ein Schauplatz des Ukraine-Kriegs. Dort kursiert eine Unmenge von Propaganda. Wie Russland zensiert und Fake News verbreitet, ist bekannt. Doch auch die Ukraine ist als Konfliktpartei nicht neutral.
Neben den militärischen Auseinandersetzungen ist Krieg auch immer ein Kampf um Informationen und Deutungshoheit. Mit den Möglichkeiten von Social Media hat der Informationskrieg eine neue Stufe erreicht: Noch nie spielte er eine so große Rolle wie jetzt beim russischen Überfall auf die Ukraine. Eine der bedeutendsten Plattformen ist Telegram, eines der wichtigsten Netzwerke in Osteuropa und Russland. 
Wie die beiden Kriegsparteien den Messengerdienst nutzen, hat sich der Journalist Ivo Mijnssen für die "Neue Zürcher Zeitung" angeschaut. Das Offensichtliche: Russland verbreitet gezielt Fakes und Lügen, um die Invasion in der Ukraine zu rechtfertigen.

Selektive Darstellung des Krieges

Doch welche Strategien verfolgt die Ukraine? Von Neutralität kann hier keine Rede sein, stellt Mijnssen klar. „Die Ukraine kämpft in diesem Krieg gegen einen übermächtigen Gegner um ihr Überleben. Das heißt natürlich auch, dass die Ukraine sehr viel Propaganda macht und dabei auch sehr viele Informationen rausgibt, die schwer zu überprüfen sind.“
Auf Telegram zeigen die pro-ukrainischen Kanäle nur einen bestimmten Teil des Krieges, vor allem Bilder von Bombardierungen und zivile Opfer, aber auch "Bilder von Zerstörungen russischer Kolonnen durch die ukrainische Armee. Das ist nicht unbedingt falsch. Ich glaube auch nicht, dass das Falschinformationen oder Fake News sind. Aber es ist natürlich nur eine selektive Darstellung des Krieges.“

Internationales Publikum als Zielgruppe

Trotzdem kann in der Ukraine weiterhin auch eine sehr große Bandbreite an freien, auch ausländischen Medien konsumiert werden – während Russland immer härter zensiert und der Krieg dort in den Medien beispielsweise nur euphemistisch „Spezialoperation“ genannt werden darf.
Auffällig ist, dass die ukrainischen Telegram-Kanäle in mindestens drei Sprachen senden: ukrainisch, russisch und englisch. Außerdem übersetzen sie die Reden des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Screenshot eines ukrainischen Telegram-Kanals, der die Ansprachen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi ins Englische übersetzt.
Screenshot eines ukrainischen Telegram-Kanals, der die Ansprachen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi ins Englische übersetzt.© Screenshot Telegram
Nach Mijnssens Ansicht verbirgt sich dahinter eine "sehr ausgeklügelte Strategie und auch eine deutlich geschicktere Strategie als die Russlands. Im Gegensatz zur russischen Propaganda spricht man ein sehr breites, auch internationales Publikum an.“

Unzulässige Bilder von Kriegsgefangenen

Mijnssen kritisiert auch die Berichterstattung in den Medien: Zu Beginn des russischen Angriffs wurden ukrainische Botschaften zum Teil auch unkritisch übernommen. Dabei ginge es weniger um Aussagen des Präsidenten, sondern insbesondere um den Umgang mit Kriegsgefangenen.
Für ihn ist das "eigentlich der heikelste Aspekt, dass diese Kriegsgefangenen von beiden Seiten einfach auf Social Media ausgestellt und auch auf sehr herabwürdigende Weise behandelt werden. Das verstößt natürlich gegen die Genfer Konvention."
(nog)
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