Choral-Synagoge in Drohobytsch
Die Altstadt von Drohobytsch im Sommer 2018. Die große Choralsynagoge ist eines der Wahrzeichen der Stadt. © imago images / ZUMA Press / Michal Fludra
Eine Sanierung mit russischem Geld wird zum Problem
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Die ehemals wichtigste Synagoge Galiziens, die Choral-Synagoge im ukrainischen Drohobytsch, wurde mit Mitteln von russischen Oligarchen restauriert. Angesichts des russischen Angriffskrieges nichts, worüber die Menschen gerne reden.
Auf einem Platz im Zentrum von Drohobytsch spielen Kinder, skaten oder fahren in kleinen Elektroautos. Musik schallt aus den Cafés. Viele der Frauen und Kinder hier sind aus dem Osten des Landes geflüchtet. Bis zu 20.000 Neuankömmlinge leben nun in der Stadt, die sonst nur knapp 75.000 Einwohner zählt.
Auf dem Platz wehen Fahnen, zwei blau-gelbe Flaggen der Ukraine mit und ohne Dreizack und daneben die rot-schwarze Fahne der UPA. Die UPA war eine Partisanenarmee, die im Zweiten Weltkrieg zeitweise an der Seite der Deutschen kämpfte und deren Angehörige sich am Holocaust beteiligten.
Einst das jüdische Zentrum Galiziens
Im Hintergrund ragt, halb verdeckt durch ein Einkaufszentrum, der hohe, dreistöckige, Bau der alten Choralsynagoge hervor, ein Wahrzeichen der Stadt.
„Der große polnische Dichter Marian Hemar hat einmal gesagt: Drohobytsch, das ist die Stadt der drei Hälften, einer polnischen, einer ukrainischen und einer jüdischen Hälfte. Aus diesen drei Hälften ist die Stadt entstanden. Und die Synagoge zeugt davon, dass es hier einmal eine große jüdische Gemeinde gegeben hat, die sich auch für den Ausbau der Stadt engagierte.“
Leonid Golberg führt die Geschäfte der jüdischen Gemeinde in Drohobytsch, in Abwesenheit des Gemeindevorsitzenden Jozef Karpin, der sich bei seinem Sohn in Deutschland aufhält. Die Choralsynagoge zählt zu den bedeutenden jüdischen Kulturdenkmälern Osteuropas. Die ornamentale Vorderseite mit ihrem breiten Giebel, gekrönt von den Gesetzestafeln, verrät etwas vom Selbstbewusstsein der Gemeinde.
Als der Bau 1865 eröffnet wurde, boomte die Erdölindustrie in Ostgalizien, damals ein Teil der Habsburger Monarchie. Viele der 9000 Juden von Drohobytsch hatten am Boom Teil.
„Es war die größte Synagoge in Galizien. Hier gab es eine große Gemeinde mit vielen wohlhabenden Mitgliedern.“
Erst Synagoge dann Stall und Möbelgeschaft
Und einigen später weltberühmten Angehörigen. Zu ihnen gehörte der polnisch-jüdische Avantgardekünstler Bruno Schulz, der als Sohn eines Tuchhändlers am Marktplatz von Drohobytsch 1892 zur Welt kam.
In vielen Zeichnungen und in seiner Prosa verewigte Schulz, Autor der heute weltberühmten „Zimtläden“ und anderer Erzählungen, die galizische Stadt Drohobytsch als Ort sehnsüchtiger Kindheitsfantasien und als Mikrokosmos einer vom Untergang bedrohten Vielvölkerwelt. Zwischen den Weltkriegen gehörte Drohobytsch und Umgebung zu Polen, das sich 1918, nach über einem Jahrhundert der Teilungen, wieder als Staat konstituiert hatte.
„Als die Sowjets Drohobytsch 1939 besetzten, ließen sie alle Gotteshäuser schließen und richteten dort Geschäfte oder Lagerräume ein. 1941 kamen die Deutschen und verwandelten die große Synagoge in einen Pferdestall, womit sie die Synagoge ruinierten. 1945 kamen die Sowjets zurück und richteten darin ein Möbelgeschäft ein.“
Nur ein paar Hundert von ehemals über 15.000 Drohobytscher Jüdinnen und Juden hatten den Massenmord durch die Deutschen überlebt. Auch der Dichter Bruno Schulz war kurz vor seiner geplanten Flucht aus dem Ghetto im Oktober 1942 den Kugeln eines SS-Manns zum Opfer gefallen. Die Überlebenden hatten es zu sowjetischen Zeiten schwer.
Das Ergebnis der Renovierung spaltet
Erst Ende der 1980er-Jahre konnte die jüdische Gemeinde von Drohobytsch wiedergegründet werden und erhielt die alte große Choralsynagoge in einem vollkommen baufälligen Zustand zurück. Es dauerte weitere zwei Jahrzehnte, bis man das Gebäude dank Spendengeldern in Höhe von fast einer Million Euro erneuern konnte, erst das Dach, dann die Fassade. Die Wandbilder im mehrstöckigen Hauptraum wurden sorgsam restauriert. Nicht alle sind mit dem Ergebnis zufrieden.
„Ich kann die Seele des Hauses nicht mehr entdecken. Man hat diese Synagoge so restauriert, dass man gar nicht mehr sieht, dass es ein altes Gebäude ist.“
…ärgert sich Wjera Meniok. Die ukrainische Literaturprofessorin von der Universität Drohobytsch setzt sich seit vielen Jahren für das jüdische Erbe der Stadt ein. Unter anderem organisiert sie alle zwei Jahre ein Festival, das Bruno Schulz und darüber hinaus der Vielvölkertradition der Stadt gewidmet ist.
Kein Wort mehr über die russischen Geldgeber
„Es gab kein echtes architektonisches Projekt. Für so etwas existieren europäische Normen. Entschuldigen Sie, aber man betritt diese Synagoge wie ein privates Badezimmer. Solche Fliesen haben sie da verlegt. Das geht doch nicht. Aber die Gemeinde freut sich, das ist verständlich.“
Noch etwas behagt einigen in Drohobytsch nicht. Ein Großteil des Geldes für die Renovierung der Synagoge stammt von einem russischen Oligarchen und Vertrauten Wladimir Putins: Wiktor Felixowitsch Wekselberg, geboren 1957 in Drohobytsch. In Zeiten von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine klingt das in vielen Ohren prekär. Leonid Golberg, geschäftsführender Leiter der Jüdischen Gemeinde, will gar nicht über Wekselberg sprechen. Was ihn bewegt, ist die Verteidigung seines Landes und die mangelnde Unterstützung durch den Westen.
„In Westeuropa, in einem großen Teil des vereinten Europas hat man Angst davor, dass die Ukraine siegt. Die Deutschen, die Franzosen, zum Teil sogar die Amerikaner haben Angst vor einem Sieg der Ukraine, weil Europa sich dann verändern würde. Aber wir müssen diesen Verbrecher Putin loswerden.“
Dann eben Bandera-Juden
Schon lange schlägt Golbergs Herz für die unabhängige Ukraine. In Drohobytsch gibt er die Online-Zeitschrift „Majdan“ heraus. Putins Propaganda über die faschistischen Traditionen der Ukraine empört ihn. Die Organisation Ukrainischer Nationalisten unter Stepan Bandera, sagt der bald 70-jährige Golberg, sei eine ukrainische Befreiungsbewegung gewesen, auch wenn einige ihrer Angehörigen zeitweise mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiteten.
Und Bandera, dessen Denkmal im Stadtpark von Drohobytsch steht, sei ein Held. Er trage keine Mitverantwortung für den Holocaust. Genauso wenig wie mit ihm verbundene UPA-Partisanenarmee: Sie sei nur antisowjetisch und niemals faschistisch gewesen, auch wenn sie mit Nazideutschland kollaborierte.
„Wenn man behauptet, dass es bei uns hier in der Ukraine Nazis gibt, Bandera-Anhänger, Faschisten, dann sind wir hier eben die Bandera-Juden", erklärt Golberg trotzig.
Luftalarm unterbricht unser Gespräch. Drohobytsch wurde bislang noch nicht angegriffen. Die Menschen auf der Straße gehen in Ruhe weiter ihren Beschäftigungen nach. Die Warnung vor Putins Raketenangriffen gehören längst zum Alltag. Leonid Golberg und ein paar seiner Mitarbeiter verharren im Gemeindebüro im Erdgeschoss der großen Synagoge und hoffen auf bessere Zeiten.