Russland lässt Oleg Senzow weiter hungern
Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow befindet sich weiter im Hungerstreik. Das Ende sei nahe, warnt seine Familie. Für ein Einlenken von russischer Seite gibt es unterdessen noch keine Anzeichen.
Oleg Senzow geht es wohl immer schlechter. Dazu existieren verschiedene Anhaltspunkte. Der erste besteht in Aussagen seines Anwalts, der seinen Mandaten nach eigenen Angaben regelmäßig etwa alle zwei Wochen in der Kolonie in Labytnangi nördlich des Polarkreises besucht. Der Jurist schilderte vor kurzem im Kanal Nastojaschtschee wremja, dass zunehmend Organe angegriffen seien:
"Sein gesundheitlicher Zustand ist sehr schlecht. Er hat jetzt Probleme mit seinem Herzen, weil es vorige Woche in Labytnangi große Hitze mit bis zu 40 Grad gab. Sein Blutdruck ist niedriger und sein Puls langsamer geworden. Außerdem hat er Probleme mit den Nieren und der Leber."
Ein zweiter Anhaltspunkt ist ein Post, den Senzows Cousine auf ihrem Facebook-Profil verbreitete. Dort schrieb sie, sie habe von ihrem inhaftierten Verwandten einen Brief erhalten. Die Situation, in der er sich befinde, sei nicht einfach schlecht, sondern alles sei katastrophal schlecht. Das Ende sei nah, und gemeint sei nicht seine Freilassung. Senzow habe sich erkundigt, ob sich irgendjemand für seinen Hungerstreik interessiere. Man gebe ihm in der Haftanstalt keine Briefe von außerhalb, weshalb er über die Resonanz seines Handelns nichts erfahre.
Zum dritten kursiert ein Foto, das Senzow vor gut einer Woche als sichtlich hageren Mann zeigt. Allerdings trägt er eine Häftlingsuniform, womit weitergehende Schlüsse über den Zustand seines Körpers nicht möglich sind.
Widersprüchliche Informationen über den Zustand
Darüber hinaus gibt es auch widersprüchliche Informationen über den Zustand des ukrainischen Regisseurs. Sein Anwalt Dinse gab in einem Interview mit dem russischsprachigen Nachrichtenportal Meduza an, Senzow nehme ein – Zitat: "künstliches Gemisch" - zu sich, über dessen Inhalt der Jurist jedoch keine genauen Angaben machte. Es handele sich um Nahrung, die normalerweise Komapatienten verabreicht werde. Der Gefangene wolle unbedingt vermeiden, bewusstlos zu werden. In diesem Fall fürchte er, gegen seinen Willen in ein Haftkrankenhaus verlegt und dort künstlich ernährt zu werden. Deshalb messe er jedes Gramm des "künstlichen Gemischs" genau ab, wiege inzwischen 30 Kilogramm weniger, nun noch 70 Kilogramm. Senzow liege inzwischen viel, wolle sich aber an der Entstehung eines Films beteiligen. Es liefen Gespräche, inwieweit der Regisseur aus der Haftanstalt heraus künstlerische Entscheidungen wie etwa über die Besetzung der Rollen treffen könne. Die Arbeiten sollten möglichst im September beginnen.
Einmal mehr betonte der Anwalt in dem im Netz verbreiteten Transskript des Gesprächs: Der Ukrainer Senzow wolle mit seinem Hungerstreik vor allem erreichen, dass mehr als 60 Landsleute aus russischen Gefängnissen freikämen. Sie seien politische Gefangene. Um ihn selbst gehe es ihm nicht. Senzow sei nach wie vor entschlossen, seinen Hungerstreik bis zu seinem Tod zu führen, wenn notwendig. Er sei aber bereit, ihn bereits zu beenden, wenn nur einige der einsitzenden Ukrainer freikämen und insgesamt erkennbar Bewegung in die Verhandlungen komme.
"Anerkennen, dass es bei uns politische Häftlinge gibt"
In die Gespräche hatte sich vor wenigen Tagen auch der französische Präsident Macron eingeschaltet. Als Lösungsansatz gilt, dass sich die Ukraine und Russland auf den Austausch von politischen Gefangenen der jeweils anderen Seite einigen. Gestern jedoch teilte der Kreml ein weiteres Mal mit, es gebe aus Sicht der russischen Staatsführung keine Neuigkeiten. Die Senatorin im Föderationsrat Ljudmila Narussowa, die Präsident Putin seit Jahrzehnten näher kennt, erklärte im Fernsehsender RTVI, was eine Lösung erschwert:
"Dafür muss man anerkennen, dass es bei uns politische Häftlinge gibt. Das ist ein heikler Moment für die Russische Föderation. Deswegen, glaube ich, wird die Lösung dieser Frage verzögert."
Oleg Senzow war 2015 zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Ihm wurden die Planung von Terroranschlägen, Brandstiftung, der Besitz von Waffen sowie Verbindungen zum extremen Rechten Sektor, einer gewaltbereiten Gruppierung in der Ukraine, vorgeworfen. Senzow hatte vor, während und nach der Annexion der Krim durch Russland Widerstand gegen die neuen Machthaber unterstützt. Strittig ist aber, inwieweit er zu Gewalt aufgerufen hat. Das Urteil beruft sich maßgeblich auf die Aussage eines Zeugen, der später öffentlich erklärte, er sei gefoltert worden und habe Senzow deshalb beschuldigt.