Ukrainischer Schriftsteller Jurij Andruchowytsch

„Wir haben keine Wahl, außer zu kämpfen und zu gewinnen“

46:53 Minuten
Jurij Andruchowytsch bei einer Buchpräsentation in der Ukraine im September 2021.
Jurij Andruchowytsch bei einer Buchpräsentation in der Ukraine im September 2021. © imago / Ukrinform / Yurii Rylchuk
Moderation: Britta Bürger · 03.03.2022
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Als wilder junger Poet revolutionierte er die Literatursprache seines Landes. Dann schrieb Jurij Andruchowytsch Romane und wurde einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Ukraine. Heute hofft er auf Putins Niederlage und ist bereit zu kämpfen.
In seiner Heimatstadt Iwano-Frankiwsk, einer Großstadt im Westen der Ukraine, scheinen die Kämpfe um Kiew oder Charkiv noch vergleichsweise weit entfernt, dennoch ist auch hier, unweit der Grenze zu Rumänien und Polen, immer zu spüren, dass das Land im Krieg ist.
„Wir sind im Moment eine der ruhigsten Städte“, sagt der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch. „Trotzdem gibt es nachts Luftalarme, und ich und meine Frau müssen zu unserem Nachbarn in den Keller. Glücklicherweise gibt es dort ein gutes Internet.“ Er informiere sich über alle verfügbaren Kanäle über die Lage im Land, telefoniere mit den Eingeschlossenen in anderen Landesteilen.

Luftalarm und Flüchtlinge

Iwano-Frankiwsk füllt sich mit Binnenflüchtlingen, berichtet Andruchowytsch.

Man kann die Leute aus anderen Regionen in der Stadt treffen. Sie bekommen Erste Hilfe am Bahnhof oder spazieren familienweise im Park mit ihren Hunden. Manche bleiben, andere machen Pläne, weiterzureisen.

Jurij Andruchowytsch

Oft bringen Familienväter ihre Angehörigen an die Grenze oder in den noch ruhigen Teilen der Ukraine in Sicherheit, so Andruchowytsch. Sie selbst dürfen nicht ausreisen, denn die Ukraine verlangt von Männern zwischen 16 und 60 Jahren, im Land zu bleiben.

Lust, zu Leben

Andruchowytsch hält besonders jetzt Kontakt mit Künstlern im ganzen Land. Es gebe Ukrainer, die bleiben, obwohl sie gehen könnten. Regelmäßig telefoniere er mit seinem Freund, dem Dichter Oleksandr Irvanets, der in einer Satellitenstadt von Kiew bei seiner Mutter ausharrt. Sie ist 90 Jahre alt und kann nicht mehr reisen.

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„Die Kämpfe sind in unmittelbarer Nähe, aber er schreibt an seinem Roman und verlässt die Wohnung, um im Supermarkt Zigaretten zu kaufen. Ich bin sehr froh, dass er den Appetit zum Rauchen und – in seinem Fall –, zum Leben nicht verloren hat.“

Im Notfall in den Untergrund

Auch Andruchowytsch behält trotz der schlechten Nachrichten seinen Optimismus. Der aggressive Akt Putins, glaubt er, wird am Ende nicht erfolgreich sein:

Wir haben keine andere Wahl, außer zu kämpfen und zu gewinnen.

Jurij Andruchowytsch

Er sei sich hier ebenso sicher, wie 90 Prozent der Ukrainer sich dessen sicher seien. Er selbst würde dabei bis zum Äußersten gehen. Noch kämpfe er mit Worten für sein Land, wenn es nötig werde, würde er sich aber trotz seines Alters von über 60 Jahren Partisanen anschließen. Es gibt, sagt er, historische Vorbilder:

Wir haben 50 Kilometer südlich von hier die Karpaten. Da gab es bis in die Fünfzigerjahre Partisanen, die gegen die Sowjetmacht kämpften. Aber ich habe die Hoffnung, dass die russische Armee gar nicht viel näherkommt.

Jurij Andruchowytsch

Im Moment sehe es danach aus, dass Putins Soldaten nur wenige Fortschritte machten, nur einige Städte unter Kontrolle hätten, und diese Kontrolle sei sehr relativ. Auch sei es fraglich, ob die Moral der Truppe hoch sei, denn "die Russen schätzen das Leben ihrer eigenen Leute nicht und werfen immer mehr Soldaten als Kanonenfutter in die Schlacht".

Schreiben in Zeiten der Bedrohung

Nach den Kämpfen um dem Euromaidan im Jahr 2014 hatte Jurij Andruchowytsch niedergeschlagen angekündigt, nicht mehr schreiben zu wollen. Dann aber entschied er sich, sich daran nicht zu halten. In Deutschland erscheint Ende dieses Jahres ein neuer Roman von ihm: „Radionacht“. Darin geht es um die Gewalterfahrung der Ukrainer in der Gegenwart, aber nicht nur um sie.
Als junger Mann revolutionierte Jurij Andruchchowytsch mit seinem Roman „Karpatenkarneval“, der erst 2019 in Deutschland erschien, die ukrainische Literatursprache. Später nahm er die Entwicklungen in der Ukraine und Russland satirisch aufs Korn – ein Stil, den er sich auch in Zeiten der Gefahr und der Bedrohung erhält:

Die Mittel der Groteske, der Ironie und des Humors sind immer gefragt. Ich mag Autoren, die auch über große Themen wie das Leben und den Tod mit Humor und Ironie schreiben können.

Jurij Andruchowytsch

Die ukrainische Gesellschaft habe selbst jetzt ihren Humor nicht verloren, sagt Jurij Andruchowytsch: "Dieser Humor ist sehr schwarz, aber es entstehen täglich neue Witze, und sie verbreiten sich durchs Internet rasend schnell.“
Auch wenn es paradox klinge: Eine Zeit schlimmster Tragödien schaffe immer auch eine Welt neuer kreativer Möglichkeiten – und schließe das Lachen nicht aus.
(AB)

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