Wanderphilosoph Hryhorij Skovoroda
Der Wanderphilosoph Hryhorij Skovoroda ließ sich in seinem Schreiben auch von der ukrainischen Landschaft inspirieren. (Hier eine Ansicht von Feodossija von 1839.) © Getty Images / Heritage Images / Fine Art Images
Mit dem „ukrainischen Sokrates“ zur Selbsterkenntnis
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Was ist Glück? Vielleicht liegt es darin, sich selbst zu erkennen und der eigenen Berufung zu folgen. Davon war der Wanderphilosoph Hryhorij Skovoroda überzeugt, der heute als „ukrainischer Sokrates“ bekannt ist.
„Narziss heißt eine Blume. Narziss heißt aber auch ein Jüngling, der sich im klaren Spiegel einer Quelle betrachtete und sich unsterblich in sich selbst verliebte.“ Mit diesen Worten beginnt ein Dialog-Zyklus des Dichters und Philosophen Hryhorij Savytsch Skovoroda aus den 1770er-Jahren.
Die malerische Sprache, die Naturbilder und die erzählerische Form des Textes sind typisch für das philosophische Wirken dieses Mannes, der heute als „ukrainischer Sokrates“ bekannt ist. Nach diversen renommierten Anstellungen – als Musiker am Kaiserhof, als Diplomat und als Lehrer – entscheidet sich Skovoroda 1769 schließlich für einen Weg als Wanderphilosoph, um die Menschen durch seine Lehren zu ihrem Glück zu führen.
Gottgefällige Selbstverwirklichung
Das „praktische Streben nach Glück“ steht im Zentrum von Skovorodas Denken. Als Absolvent der Geistlichen Akademie in Kyiv und tiefreligiöser Mann sieht Skovoroda das höchste Glück in der Vervollkommnung des Menschen durch „Übereinstimmung mit Gott“. Erreichen könne der Mensch diese Übereinstimmung, indem er die ihm von Gott zugeteilte Aufgabe erfüllt.
Diese göttliche Aufgabe besteht für Skovoroda darin, dem eigenen Potenzial gerecht zu werden, der eigenen Berufung, welche es erst zu erkennen gilt. Und, wie Skovoroda in einer Fabel schreibt: „Derjenige ist seiner Berufung der treuste Freund, dessen Liebe der größte Profitverlust, Armut, Schmäh, Verfolgung nicht löschen kann.“
Während seiner Wanderjahre entsagt Skovoroda selbst seinen materiellen Ansprüchen, ganz im Sinne seiner Lehre: Es geht ihm darum, die eigene Tätigkeit nicht nach äußeren Anreizen zu wählen, etwa um möglichst großen Profit zu machen, sondern seine innere Bestimmung zu ergründen, die eigenen „Lebenszwecke“.
Den „inneren Menschen“ freilegen
Diese Aufforderung zur Selbsterkenntnis ist für Skovoroda die eigentliche Botschaft des Narziss-Mythos: „Das Sinnbild Narziss verkündet ‚Erkenne dich selbst‘. Es ist, als wollte er sagen: Möchtest du dir selbst genug sein und dich in dich selbst verlieben? Wirklich? Erkenne dich dann zuerst selbst und prüfe dich genau. Denn wie könntest du dich in etwas Unbekanntes verlieben?“
Nachdem der schöne Jüngling Narziss an seiner Selbst-Liebe stirbt, wächst an der Stelle seines Todes eine Narzisse. Wie der nach innen gekehrte Aufbau der gelben Narzissenblüte hat der Mensch Skovoroda zufolge unter seiner äußeren Hülle seinen „inneren Menschen“. In dieser Lesart ist der Tod des jungen Narziss in der Sage nicht der Preis für übertriebene Selbstliebe – vielmehr gibt Narziss in Skovorodas Augen bereitwillig seine äußere Hülle auf, um jenen „inneren Menschen“ freizulegen, dem seine Liebe eigentlich gilt. Und der in Gestalt der Narzisse sichtbar wird.
Ungleiche Gleichheit
Dieser Idee des „inneren Menschen“ liegt Skovorodas Parabel von der „Ungleichen Gleichheit“ zugrunde. Demnach sind Menschen wie unterschiedlich geformte Gefäße, die Gott jedoch alle gleichermaßen vollgemacht habe: So sind nach Skovoroda alle Menschen, wie unterschiedlich sie auch sein mögen, im gleichen Maße von Gott erfüllt. Um zu Gott zu finden, müsse der Mensch sich also nicht nach äußerlichen Werten, sondern nach seinem inneren Gehalt, nach seinem Wesen, richten.
„Wer im Wasserspiegel des vergänglichen Lebens seine unvergängliche Schönheit erkannt hat, wird sich nicht in Äußerlichkeiten, nicht in die Spiegelung seiner eigenen Vergänglichkeit verlieben, sondern in sein unvergängliches Selbst, in den Mittelpunkt seines Wesens. […] Worin jemand sich verliebt, darin verwandelt er sich auch. Jeder wird zu dem, dessen Herz in ihm schlägt. Jeder ist dort, wo er mit seinem Herzen ist.“
Selbsterkenntnis ist Welterkenntnis
Um seinen inneren Menschen zu erkennen, darf man sich nicht auf seinen Verstand verlassen, sondern muss auf sein „inneres Herz“ hören, so Skovoroda. Das eigene Selbst, das dabei zum Vorschein kommt, ist für ihn als Mystiker der Maßstab für die Erkenntnis der Welt. Dann erst könne der Mensch seine eigenen Werte entwickeln, um somit seine wahre Freiheit zu erlangen – die Freiheit zum selbstbestimmten ethischen Handeln. Eben in dieser Freiheit besteht für Skovoroda das menschliche Glück.
Zusammenfassend lässt sich das Schaffen des ukrainischen Wanderphilosophen als eine optimistische Lebensphilosophie avant la lettre verstehen. Denn er legt eine Möglichkeit dar, hier und jetzt glücklich zu werden, genauer, selbst zu seinem je eigenen Glück zu finden: „Das aber ist Glückseligsein“, schreibt Skovoroda, „sich selbst erkennen, sich selbst finden.“