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"Intoleranz-Brigaden links wie rechts"
07:25 Minuten
"Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt stellt der aktuellen Debattenkultur ein miserables Zeugnis aus: Er vermisst ernsthafte Kontroversen, beklagt "Meinungscluster" und "Gedankenbällchen". Und er erklärt, warum er nicht mehr twittert.
Schlecht, Tendenz schlechter werdend: So beurteilt "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt die Art und Weise, wie in Deutschland derzeit diskutiert wird. So gebe es "sehr viele Meinungscluster", die die Reihen immer dichter schlössen. Und: "Es gibt eine Art von Talkshow-Schlagabtausch, wo man gewissermaßen routinierte Rhetorikprofis sieht, wie sie ihre frisch präparierten Ideen - und Gedankenbällchen einander zuwerfen."
Tiefgehende Auseinandersetzungen mit Gedankenwelten, die möglicherweise nicht die eigenen seien, fänden immer weniger Anhänger, sagt Poschardt: "Stattdessen haben wir die jeweiligen Intoleranz-Brigaden, die es links wie rechts gibt". So sei die Antifa "in ihrer Blödheit nicht zu überbieten", wenn sie jemandem wie Thomas de Maizière - einem "liberalen Konservativen" - das Rederecht verweigere. Eine in Göttingen geplante Lesung des CDU-Politikers war am Montagabend von Aktivisten verhindert worden.
Proteste gegen Lucke: "politische Dummheit"
Mit Blick auf die Proteste gegen die Vorlesungen des AfD-Mitgründers und Ökonomie-Professors Bernd Lucke an der Universität Hamburg spricht Poschardt von "absurder Haltung" und "politischer Dummheit". Lucke habe sich von der AfD losgesagt - anders als Alexander Gauland, der sich zum Rechtsextremen "schauerlichst" entwickelt habe:
"Eigentlich muss die politische Logik sein, dass alle Abtrünnigen in der AfD wieder in den Kreis der normalen Demokraten aufgenommen werden. Wenn das aber nicht der Fall ist und auch noch ein total liberaler Mann der Mitte wie Christian Lindner nicht reden kann, dann wird es absurd. Und dann wird das, was Habermas als linken Faschismus mal bezeichnet hat, sozusagen so eine andere Art von Unwucht." Die Universität Hamburg hatte eine Veranstaltung mit FDP-Chef Lindner nicht zugelassen - und beruft sich dabei auf ihren Grundsatz, generell keine Veranstaltungen mit parteipolitischer Ausrichtung in ihren Räumen zu dulden.
Die "Habeckisierung" des nachdenklichen Intellektuellen
Dass er selbst mitunter schrill kommentiert, will Poschardt nicht gelten lassen. Schrill sei etwas anderes als klar. Aber:
"Meine Selbstkritik ist unter anderem - deswegen twittere ich nicht mehr - ich war selber Teil. Und das kriegt einen dann, das ist sozusagen die 'Habeckisierung' des nachdenklichen Intellektuellen. Ich habe geschmunzelt, als er rausgegangen ist. Ich glaube in der Tat, der eine oder andere Tweet von mir war vielleicht nicht so überlegt, wie er hätte sein sollen. Auf der anderen Seite ist Twitter halt nicht ein Leitartikel. Ich glaube, in sozialen Medien kann man mal eine schrille Pointe setzen, wenn danach 500 kluge Texte kommen."
(bth)