Ulf Stolterfoht: Fachsprachen XXXVII-XLV
Gedichte
kookbooks, Berlin 2018
104 Seiten, 19,90 Euro
Wenn Luther zum Gangster-Rapper wird
Virtuose Textmixe aus den entlegensten Wortfeldern und Sprachwelten haben Ulf Stolterfoht in der Lyrikszene berühmt gemacht. Nun veröffentlicht er den fünften Band seiner poetischen "Fachsprachen". Darin disst Luther den Papst im Stil eines Rappers.
Sie sind sein Lebenswerk. Vor 20 Jahren hat Ulf Stolterfoht den ersten Band veröffentlicht und damit die deutsche Lyrikszene aufgemischt. Zahlreiche Bücher, Auszeichnungen und Stipendien später ist der gebürtige Stuttgarter bis heute vor allem dafür berühmt sofern man mit avantgardistischer Lyrik in Deutschland berühmt werden kann: die Fachsprachen. Das sind virtuos in Langverse gepresste und mit Reimleim verklebte Textmixe aus den entlegensten Wortfeldern und Sprachwelten. Neun Bände will Stolterfoht damit insgesamt füllen.
Im aktuellen, dem fünften Teil beweist er, wie er sich treu sein kann und dennoch neu erfinden. Fast alle Arbeiten des Bandes sind Gelegenheitsgedichte. Hommagen an Kollegen und Kolleginnen wie die große dänische Lyrikerin Inger Christensen, ein Klappengedicht für den Komponisten und Lachenmannschüler Clemens Gadenstätter, die Variation auf einen Bibelpsalm – die Anlässe sind die Anlasser, damit die stupenden Stolterfohtstrophen losknattern können. Denen ist keine Assoziation zu weit und kein Gedankengang zu lang. Kirchenarchitektur und Poetik zum Beispiel werden zur nkl amalgamiert, das steht für "neue konfessionelle lyrik":
"durch den eher ungünstigen standort auf einer linken seite ist das ge-
dicht nicht genau geostet, sondern leicht nach norden verschwenkt.
seine maximale strophe in höhe der querarme beträgt 25 cm. es han-
delt sich um einen wandler vorarlberger prägung in nachfolge des ab
ca. 1686 entstandenen alb-donau-textes."
dicht nicht genau geostet, sondern leicht nach norden verschwenkt.
seine maximale strophe in höhe der querarme beträgt 25 cm. es han-
delt sich um einen wandler vorarlberger prägung in nachfolge des ab
ca. 1686 entstandenen alb-donau-textes."
Luther disst die katholischen "Papisten"
Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung heißt ein Essayband zum Reformationsjahr. Klingt nach überschaubarem poetischen Potenzial. Stolterfoht holt in seinem Beitrag zu diesem Buch den Feldstecher heraus und Martin Luther so ganz nah an uns heran. Der Reformator wird zum Gangsta-Rapper, der die Katholiken ("Papisten") disst:
"[geräusch, das ein gorilla beim trommeln auf die eigene brust
verursacht] was ich alles kann: ich kann prima psalme aus-
legen – darin sind die papisten schlecht. ich kann verlässlich
dolmetschen – sie können es nicht, ich dichte – sie sind narra-
tive wichte."
verursacht] was ich alles kann: ich kann prima psalme aus-
legen – darin sind die papisten schlecht. ich kann verlässlich
dolmetschen – sie können es nicht, ich dichte – sie sind narra-
tive wichte."
Im Epos "der große holmgang in strophen" dreht Stolterfoht sein Fernglas um. Das angebliche "schlüsselgedicht über die deutschsprachige, nament- / lich berliner lyrikszene" rückt ein "úlfur gunnarsson" in ferne Zeiten der isländischen Sagas, wo ein Streit im Zweikampf, dem Holmgang, entschieden wurde. Stolterfoht fabuliert einen Sängerwettstreit herbei, Poesie wird zum blutigem Ernst, und das wiederum ein großer Spaß.
Das gilt auch für eines der Lieblingsthemen des studierten Linguisten, die Sprachphilosophie. Da geht es mit ihm gern mal durch. Frech kündigt er beispielsweise "hier noch was zum schmunzeln" an und schiebt dann nach, "dass sämtliche / allquantifizierten konditionale über diese gegenstände trivial wahr // sind".
Bei kaum einem anderen Lyriker der Gegenwart bereitet Nicht-Verstehen so viel Vergnügen wie bei Ulf Stolterfoht.