"es war seltsam ende der siebziger in
einem viertel wie heslach: für junge, weiße schulverweigerer
blieben allein lyrik und improvisierte musik, um dem ghetto
zu entkommen. viele schafften das ohne chemische hilfe nicht,
und für die war muskat wie geschaffen: amphetaminartig
putschend, leicht bewusstseinsverändernd und vergleichsweise
billig - da blieb man für tage am tisch"
"Da blieb man für Tage am Tisch"
04:03 Minuten
Für den Schriftsteller und Lyriker Ulf Stolterfoht ist der Stuttgarter Arbeiterbezirk Heslach der Ort seiner Kindheit. Darüber zu schreiben, bringt ihn ins Erzählen. Hilfe bekommt er dabei auch von seiner Mutter.
"Der eigentliche Punkt, von dem das alles ausging, dieses Heslach-Buch, war eigentlich der Wunsch, aus diesem experimentellen Käfig ein bisschen rauszukommen", sagt der Stuttgarter Schriftsteller Ulf Stolterfoht. "Ich habe vorher drei 'Fachsprachen'-Bücher gemacht, die viel, viel strenger aufgebaut sind als das 'Heslach'-Buch. Gleichzeitig wollte ich aber nicht ganz raus aus dem, was ich mal für richtig erkannt hatte und hab gedacht, so ein quasi-autobiografisches Setting ist vielleicht eine Möglichkeit, so zu tun, als ob man autobiografisch schreibt."
Herausgekommen ist ein lustvolles Fabulieren, viel mehr Dichtung als Wahrheit. Heslach, dieser Arbeiterbezirk in Stuttgart, sei eigentlich völlig unspektakulär, sagt Ulf Stolterfoht. Aber genau deshalb war er für ihn literarisch so interessant: als Spielwiese für seine Fantasie.
Auseinandersetzung über die Jugend
In seinem Langgedicht "holzrauch über heslach" erfindet er einen schrägen Gründungsmythos. Stolterfoht beschreibt Heslach als gefährliches Ghetto. Da regieren die Clans, da wird ein erfundenes Idiom namens "Manisch" gesprochen, da flüchtet sich die Jugend in Drogenexzesse:
Heimisch im eigenen Dialekt
Mit Stolterfohts eigener Jugend in dem Arbeiterbezirk Heslach hat sein Gedicht nur am Rande zu tun. Echt sind zum Beispiel die topografischen Fixpunkte in dem Text: Die Kneipen, die Bäckereien, der Metzger. Aber Stolterfoht, der sonst ein fleißiger Bücherverwurster ist, musste diesmal anders arbeiten:
"Ich war für ein Jahr in Rom und hatte nicht viel Material dabei, einfach weil wir für ein Jahr mit dem Flugzeug hingeflogen sind, da kam man nicht so viele Bücher mitnehmen. Und da konnte ich schön aus meiner Erinnerung arbeiten, ohne auf meine Bücher angewiesen zu sein. Und wenn ich mal was nicht wusste, dann habe ich meine Mutter angerufen, die ein so gutes Gedächtnis hat. Die wusste alles. Wie hieß der kleine Laden an der und der Ecke? Und so."
Heslach ist für Ulf Stolterfoht bis heute wichtig, auch wenn er schon lange in Berlin lebt und dort eine Familie gegründet hat. Es bleibt vor allem die emotionale Bindung. Das hat viel mit Vertrautheit zu tun.
"Die größte Rolle – ja, peinlich, das einzugestehen – ist natürlich der Dialekt. Sobald ich in die Bäckerei reinkommen und 'Grüß Gott!' sagen kann, das ist was anderes, als in Schöneberg 'Guten Morgen' sagen zu müssen. Also, der Dialekt ist auch sehr wichtig, glaube ich."
Rückkehr an den Ort der Kindheit
Stuttgart-Heslach, dieser Ort der Kindheit hat Ulf Stolterfohts Schreiben verändert. Weniger Formkorsett. Mehr Erzählen, mehr fabulieren, mehr Freiheit. Vielleicht ist er durch diese literarische Auseinandersetzung mit dem Stadtteil seiner Jugend auch sich selbst ein wenig näher gekommen. Als Autor. Literarisch mag Stuttgart-Heslach für den Lyriker Stolterfoht abgearbeitet sein. Der Mensch Stolterfoht aber kann nicht genug davon bekommen:
"Wenn es irgendwie geht, wenn ich in Stuttgart bin, dann geh ich auch nach Heslach und verbring da möglichst viel Zeit. Und ich habe das Gefühl, da bin ich dann auch wirklich am richtigen Ort."