Ulisses doppelte Heimkehr

Von Jörn Florian Fuchs |
Als mehrdimensionales Spiel hat Claus Guth die Montiverdi-Oper "Il ritorno d´Ulisse in patria" eigenwillig gedeutet. Die Balance von Komik und Ernst stimmte und das Publikum im Theater an der Wien reagierte mit widerspruchsfreiem Applaus.
Um gleich die Spannung herauszunehmen. Natürlich gibt es sie auch hier wieder, die gute alte Drehbühne. Und Christian Schmidt hat wieder mal ein holzgetäfeltes Raumkonglomerat kreiert, inklusive gediegenen Wohnmöbeln, schicker, blank polierter Bar und imposantem Foyer. Irgendwo dazwischen sieht man gelegentlich ein rabenschwarzes WC aufblitzen, das der dicke Iro gern nutzt und das designmäßig stark nach Jean Nouvel aussieht. Iro ist eine der diversen Buffo-Figuren, die bei Monteverdi bereits angelegt sind, doch die Claus Guth mit Lust am Detail überzeichnet.

Zentraler Topos ist aber der Versuch des Titelhelden, in sein altes Leben zurückzukehren. Ulisse diente offenbar als Soldat in irgendeinem unserer zahllosen heutigen Kriege, nun kommt er nach Hause und leidet an Eingewöhnungsschwierigkeiten. Die Situation hat sich stark verändert, Penelope hielt ihren Gatten für tot und baute sich eine eigene, innere Welt auf. Zahlreiche Männer umschwärmen sie, Penelope genießt diese Aufmerksamkeit, achtet aber strikt auf den platonischen Charakter des Ganzen. Verärgert und voller Neid muss sie zur Kenntnis nehmen, dass ihr Serviermädchen gerade frisch verliebt ist. Die Verehrer werden unterdessen immer aggressiver und fordern Penelope auf, sich endlich für einen von ihnen zu entscheiden.

An diesem Punkt kehrt Ulisse sozusagen ein zweites Mal zurück, zunächst als Bettler verkleidet. Er wirbt um seine Frau, kann als Einziger mit seinem Pfeil und Bogen umgehen. Nach dem Massaker an den Freiern sitzt er gepflegt neben Penelope auf der Couch, und beide sehen wohl einer ziemlich biederen Zukunft entgegen.

Soweit die Haupthandlung. Doch was ist mit den Seitensträngen? Und was mit den Göttern? Weil Ulisse von Beginn an zumindest physisch schon da ist, werden Stürme und Reisen, Visionen und Albträume allesamt zu seinem Erinnerungsrausch. Durch die Brille des Kriegsheimkehrers sehen wir Schreckensbilder: Verwundete, Erschossene, aber auch die meist unbarmherzigen Götter. Sie tragen weiße Kopfmasken, am Ende, wenn der Spuk vorüber ist, bleiben nur noch weiße Hüllen übrig. Während des Prologs agieren die Allegorien als schneeweiß gekleidete Figuren im Publikum und verhandeln darüber, was ein Mensch ist. Und Minerva zeichnet Guth korrekt als Wesen aus zwei Welten, das Ulisse berät und zunehmend menschlich wird.

Während der erste Teil des Abends die Dinge recht gedankenschwer verhandelt, haut Guth nach der Pause immer wieder auf die Pauke und bietet zeitweise überaus pralles Theater. Insgesamt funktioniert dieses mehrdimensionale Spiel - und auch die Balance zwischen Ernst und Komik stimmt.

Christophe Rousset war mit seinen Talens Lyriques ein idealer musikalischer Partner. Die Continuo-Gruppe wurde mit Harfe, Regal und Orgel luxuriös erweitert, der Gesamtklang war samtweich und mild federnd, an den passenden Stellen etwas angeraut und schnarrend. Delphine Galou sang Penelope mit zart zerbrechlichem Timbre, Garry Magee warf sich dagegen mit Wucht in die Titelpartie. Bei den kleineren Rollen überzeugten vor allem Sabina Puértolas als Minerva und Amore sowie Jörg Schneider als polternder Iro.

Das Premierenpublikum reagierte auf diese eigenwillige Monteverdi-Deutung mit widerspruchsfreiem Applaus.

Il ritorno d´Ulisse in patria
Oper in einem Prolog und von Claudio Monteverdi
Regie: Claus Guth
Musikalische Leitung: Christophe Rousset
Theater an der Wien
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