Ulrich Becher: "Murmeljagd"

Ein Sprachmeisterwerk wird neu entdeckt

29:26 Minuten
Schwarz-Weiß Porträt des Schriftstellers Ulrich Becher.
Gebürtiger Berliner, zuhause in Österreich und in der Schweiz: der Autor Ulrich Becher (1910-1990). © Isolde Ohlbaum/laif
Eva Menasse im Gespräch mit Joachim Scholl · 03.03.2020
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Ulrich Becher ist einer der heute fast vergessenen Exilautoren. Nun legt der Schöffling Verlag zwei seiner Bücher neu auf: den Roman "Murmeljagd" und "New Yorker Novellen". Die Autorin Eva Menasse erklärt, warum sie den Roman nicht weglegen konnte.
Sie könne sich noch genau an die erste Lektüre von Ulrich Bechers "Murmeljagd" erinnern, sagt die Autorin Eva Menasse. "Ich habe von den Figuren geträumt, bin aufgewacht und dachte: Ich muss weiterlesen. Dann gegen Ende hatte ich dieses Gefühl: Bloß nicht zu schnell lesen, jeden Tag nur zehn Seiten, ich will, dass dieses Buch nie zu Ende geht."
Der Roman handelt vom Exil: Der Held, der Journalist Albert Trebla, flieht 1938 aus dem von Nazis besetzten Österreich in die Schweiz, wo seine Freunde und Familienmitglieder auf rätselhafte Weise sterben. Becher (1910-1990), der aus Berlin stammte, war selbst ein unerwünschter Autor. Er lebte in Wien und später in der Schweiz, emigrierte nach Brasilien und in die USA. Seine Karriere begann er zunächst als Kunstmaler, ausbilden ließ er sich von George Grosz. Bekannt wurde er als Bühnenautor.
Buchcover zu Ulrich Bechers "Murmeljagd".
Nach Jahren wieder aufgelegt: Ulrich Bechers "Murmeljagd".© Schöffling + Co
Ulrich Becher ist heute fast vergessen, seine Bücher vergriffen. Um den Autor wieder bekannter zu machen, bringt der Verlag Schöffling und Co. seinen Roman "Murmeljagd" von 1969 neu heraus, zusammen mit den "New Yorker Novellen", drei Erzählungen von 1974. Auf der Verlagswebsite ist die Liste der Lobeshymnen länger als die Buchbeschreibung. Menasse hat das Nachwort zu dem Buch geschrieben.

Zwischen Lachen und Erschrecken

"Murmeljagd" sei, so Menasse, in einer Sprache geschrieben, die wir heute nicht gewöhnt seien. "Das ist ein expressionistisches Meisterwerk." Becher erweise sich als großer Sprachmeister und tue alles, was mit der deutschen Sprache möglich sei. "Es ist sehr wild, ungezügelt, teilweise kalauerhaft, aber auch unglaublich witzig." Der Roman sei spannend, enthalte unvergessliche Szenen und Figuren. Becher habe die seltene Gabe, das Lachen und Erschrecken miteinander zu verbinden. Er schaffe es, die grässlichste Szene in sarkastischen Humor zu tränken.
Allerdings räumt Menasse ein, dass man sich auf das Buch etwas einlassen müsse, bis man hineinfinde. So beginne es mit einer fantastischen, aber rätselhaften Szene, die man am Ende noch einmal lesen sollte. Dann aber mache Becher einen Fehler, indem er einen zehnseitigen Brief einschiebe. Dieser stelle beim Lesen eine Hürde dar. "Ich flehe Sie an", sagt Menasse. "Lesen Sie bis zum Ende dieses Briefs oder überspringen Sie den Brief. Das Buch beginnt danach." Wenn man sich dann dem Klang überlasse, könne man nicht mehr aufhören.
(leg)

Ulrich Becher: "Murmeljagd"
Schöffling & Co. 2020
712 Seiten, 26 Euro

"New Yorker Novellen"
Schöffling & Co. 2020
408 Seiten, 24 Euro

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