Ulrich Fischer: "Asbest"
Franz Kafka als Unternehmer
Wallstein Verlag, Göttingen 2022
200 Seiten, 22 Euro
Ulrich Fischer: "Asbest – Franz Kafka als Unternehmer"
© Wallstein Verlag
Kafkas Kampf mit der Beteiligung an einer Fabrik
06:12 Minuten
Ulrich Fischer
AsbestWallstein Verlag, Göttingen 2022200 Seiten
22,00 Euro
Die Zerrissenheit Franz Kafkas zwischen Brotberuf und dichterischer Berufung ist bekannt. Dass er darüber hinaus als Teilhaber einer Asbest-Fabrik unter Zusatzbelastungen litt, ist weniger geläufig. Kafkas Tagebuchnotizen erscheinen so in neuem Licht.
Der Broterwerb war eine große Last für Franz Kafka, der bekanntlich nichts als schreiben wollte. Dem Geschäftlichen in Kafkas Leben hat der Jurist Ulrich Fischer nun ein Buch gewidmet. Der Titel „Asbest“ bezieht sich auf die Fabrik, deren Mitbesitzer Kafka sieben Jahre lang war, zum anderen lässt sich das Wort auch als Metapher lesen für eine unerkannte Gefahr.
Der Untertitel "Kafka als Unternehmer" schließlich wirkt geradezu paradox. Unwillkürlich denkt man an die Stelle im "Brief an den Vater": Er werde nun einmal nicht vom "Kafkaschen Lebens-, Geschäfts-, Eroberungswillen" bewegt, heißt es dort.
Dass Kafka jeden Tag bis um 14.30 bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt im Bureau arbeitete, ist bekannt. Er hatte dort „eine gehobene Sachbearbeiterposition“ inne, so Ulrich Fischer. Sehr viel weniger bekannt ist dagegen Kafkas Teilhabe an der Firma „Prager Asbest-Werke Hermann & Co“. Oft heißt es, er sei nur ein „stiller Teilhaber“ gewesen, doch wie Ulrich Fischer nun nachweist, war Kafka ein voll vertretungsberechtigter und persönlich haftender Gesellschafter.
In die illegale Nebenbeschäftigung gezwungen
Die treibende Kraft hinter der Firmengründung von 1911 war Kafkas Schwager Karl Hermann, der kurz zuvor seine Schwester Elli geheiratet hatte. Das Geld für Kafkas Einlage kam vom Vater: Möglicherweise habe er den Sohn als Strohmann benutzt, um im Falle eines Scheiterns nicht selbst zu haften, vermutet Ulrich Fischer.
Denkbar sei auch, dass Hermann Kafka seinen ungeratenen Sohn in die unternehmerische Welt habe einführen wollen. Der Vater warf dem Sohn von Anfang an vor, die Fabrik zu vernachlässigen. Kafka rechtfertigt sich: "Ich erklärte, ich hätte mich beteiligt, weil ich Gewinn erwartete, mitarbeiten könne ich aber nicht, solange ich im Bureau sei."
Kafka hatte seine Nebenbeschäftigung der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt nicht gemeldet. Als Jurist wusste er, dass er damit illegal handelte. Ulrich Fischer bringt einen Kuraufenthalt in Zusammenhang mit dieser psychischen Belastung.
"Jammervolle Fabrik" mit Gefahren für Arbeiter
Die Aussicht auf Gewinn war nicht unrealistisch. Angesichts der "Wunderfaser Asbest" herrschte damals Goldgräberstimmung: Das Material fand bei der Herstellung von Autos Verwendung und diente als feuersichere Auskleidung von Schließfächern und Safes.
Die "Prager Asbestwerke Hermann & Co" standen von Anfang an unter einem schlechten Stern. Mit seinem Schwager verband Kafka kaum etwas, anlässlich der Vertragsunterzeichnung spricht er im Tagebuch gar von einer „leichten theoretischen Feindseligkeit“. Überdies hatten die beiden Gesellschafter keinerlei Erfahrung. Der Einzige, der in der Fabrik über ausreichend technische und betriebliche Kenntnisse verfügte, war offenbar der deutsche Werkmeister.
Im Tagebuch notiert Kafka schon beinahe resigniert: "In der Fabrik gewesen und im Motorraum 2 Stunden lang Gas eingeatmet. Die Energie des Werkmeisters und des Heizers vor dem Motor, der aus einem unauffindbaren Grunde nicht zünden will. Jammervolle Fabrik."
Das Fabrikgebäude glich eher einer Hinterhofbaracke, zu ihren besten Zeiten hatte die Firma 25 Angestellte und 14 Maschinen. Die Gefahren des Asbests waren damals noch unbekannt, doch auch sonst kümmerte sich der Versicherungsbeamte Franz Kafka als Chef kaum um die Sicherheit seiner Angestellten: Es gab weder Arbeitskleider noch Absaugeinrichtungen oder Vorrichtungen zum Schutz gegen abspringende Treibriemen.
Stilllegung durch Ersten Weltkrieg
Das „Tripelleben“ zwischen Bureau, Fabrik und dem Schreiben sollte Kafka an seine Grenzen bringen. Wie sehr er unter der Fabrik litt, zeigen Zitate aus seinen Tagebüchern: "Die Qual, die mir die Fabrik macht. Warum habe ich es hingehen lassen, als man mich verpflichtete, daß ich nachmittags dort arbeiten werde. Nun zwingt mich niemand mit Gewalt, aber der Vater durch Vorwürfe, Karl durch Schweigen und mein Schuldbewußtsein."
Schon nach einem Jahr schreibt er seinem Freund Max Brod, dass es für ihn nur zwei Möglichkeiten gebe "entweder nach dem allgemeinen Schlafengehen aus dem Fenster zu springen oder in den nächsten 14 Tagen täglich in die Fabrik und in das Bureau des Schwagers zu gehn."
Die Geschäfte gingen schlecht, und mit dem Krieg kam 1915 die Stilllegung der Fabrik, denn Asbest und Gummi waren kriegswichtige Materialien. Für den Chef allerdings bedeutete das keine Pause, so Kafka in einem Brief an Felice: "Jetzt aber mußte ich wirklich heran und jeden Tag hingehn (…). Die Fabrik stand ja still, aber immerhin ist ein Lager da, Gläubiger und Kunden müssen vertröstet werden u.s.w."
Lieber Kriegsdienst als die Fabrik
Um der Fabrik zu entkommen, meldete sich Kafka gar freiwillig zum Kriegsdienst, glücklicherweise meldete ihn die Arbeiter-Versicherungsanstalt als „unabkömmlich“. 1918 kam es nach sieben Jahren zur Liquidierung des Unternehmens.
Warum die Firma scheiterte, ist sehr viel leichter zu erklären als die Frage, warum es überhaupt zu ihrer Gründung kam. Trotz ausgiebiger Recherche konnte Ulrich Fischer in den Quellen nichts dazu finden.
Die Lektüre des Buchs ist daher etwas unausgeglichen: Manches hätte man gar nicht so genau wissen wollen, etwa die ausführlichen Biografien von Kafkas Vorgesetzten oder die bürokratischen Details einer Unternehmensgründung in Böhmen anfangs des 20. Jahrhunderts. Was den Band trotz mancher Abschweifungen spannend macht, sind die Zitate von Franz Kafka: Sie erscheinen jetzt in einem neuen Kontext.