Ulrich Peltzer: "Das bist du"

Zerschellende Liebesutopie

06:30 Minuten
Cover "Das bist du" von Ulrich Peltzer
"Kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller verfasst so empfindsam entfaltete Liebesgeschichten und schöne Liebesszenen." © Deutschlandradio / S. Fischer Verlag
Von Ursula März |
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In den Achtzigerjahren lebte man in Kneipen ein Gegenmodell zum Kapitalismus. Ulrich Peltzer fängt diese Zwischenzeit ein und erzählt eine ebenso leidenschaftliche wie fatale Liebesgeschichte. Dem Sog dieses Romans kann man sich kaum entziehen.
Im Jahr 2011 begann Ulrich Peltzer seine Frankfurter Poetikvorlesungen mit einem Zitat aus Rolf-Dieter Brinkmanns Collagenbuch "Rom Blicke": "Was nützen mir historische Ruinen? Ich will mehr Gegenwart".
Eben das wollen auch die Bewusstseinsromane Ulrich Peltzers. Sie erschaffen Gegenwärtigkeit in einem Kaleidoskop aus Fragmenten, Splittern, Sinneseindrücken, Ereignissen und Momenten.
Sie erzählen filmisch, springen assoziativ durch die Zeitebenen, entwickeln sich entlang der Gedanken ihrer Figuren.
Eine geradlinige Story findet sich in keinem Peltzer-Roman. Dies und die entschiedene Modernität seines Schreibens hat ihm den Ruf eingetragen, ein brillanter, wenn auch etwas schwieriger Autor zu sein; ein intellektueller Kopf, weniger ein Fall fürs breite Lesepublikum.

Schicksalsergeben

Wie auch immer man diese Schubladisierung bewertet, sie lässt eine Besonderheit außer Acht: Kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller verfasst so empfindsam entfaltete Liebesgeschichten und schöne Liebesszenen. Ein paar Gesten, Blicke, Dialogsätze reichen und die Luft schwirrt.
Sie schwirrt auch im neuen Roman "Das bist du", der einen Fall von Liebe auf den ersten Blick umkreist. Er ereignet sich im "Dschungel", der Berliner Kultdiskothek der 80er-Jahre. An einem Winterabend ist der Icherzähler mit einer Begleiterin zu Besuch. Unvermittelt fällt sein Blick auf eine Frau am Ecktisch neben der Bar.
Ohne zu zögern, geradezu schicksalsergeben, lässt er die Freundin stehen und geht zu der Unbekannten. Vor ihr, sie heißt Leonore, liegt ein Buch, Brinkmanns "Rom, Blicke".
Der Verrat, den der junge Pädagogikstudent begeht, indem er die Diskothek mit einer Frau betritt und mit einer anderen verlässt, wird sich gegen ihn wenden. Was er für unabwendbare Liebe hält, wird sich als Illusion erweisen.
Er kann nicht glauben, dass Leonore ihn für einen älteren, etablierteren Mann verlässt, versinkt in einem Nebel aus Liebesschmerz, Amphetaminen, Alkohol und Kneipennächten, die bis zum nächsten Vormittag dauern.
Gefühle aber sind bei Ulrich Peltzer immer durchdrungen von der Gesellschaft. So findet sich in der zerschellenden Liebesutopie der Verlust politischer Utopien der Nach-68er-Generation wieder, der Ulrich Peltzer, geboren 1956, und sein Protagonist angehören.

Alle Gewissheiten kommen abhanden

"Das bist du" vergegenwärtigt eine Zwischenepoche. Die Zeit der späten Siebziger- und Achtzigerjahre, in der vieles möglich und nichts notwendig schien, in der das ummauerte Berlin mit billigen Altbauwohnungen, offenen Verkehrsformen, nie schließenden Kneipen und künstlerischen Existenzen aller Art zum Gegenmodell des bundesdeutschen Kapitalismus wurde.
Es ist die Zeit, in der David Bowie, Iggy Pop, Romy Haag und Michel Foucault an der Bar des "Dschungel" saßen, ohne als Promis begafft zu werden. Eine Zeit des Rausches und der Gefahr, sich in ihr zu verlieren.
In dieser Spannung steht das Porträt eines jungen Mannes, der allen Gewissheiten und beinahe sich selbst abhandenkommt, der sich am Ende zwischen der Notwendigkeit eines bürgerlichen Berufes und der Freiheit des Schriftstellers für Letztere entscheidet. "Das bist du" ist meisterliche Prosa – schwierig daran nur, sich ihrem Sog zu entziehen.

Ulrich Peltzer: "Das bist du"
Roman. S. Fischer, Frankfurt 2021
288 Seiten. 22 Euro

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