Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband

"Wir haben Umverteilung zum Tabu erklärt"

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband, im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband, im Studio von Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio - Andreas Buron
Moderation: Martin Steinhage |
Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, mahnt: Die Armut in Deutschland hat einen historischen Höchststand erreicht. 12,5 Millionen Menschen sind betroffen - darunter viele Alleinerziehende mit ihren Kindern, Langzeitarbeitslose und Rentner. Wenn die Politik nicht gegensteuert, werde die Not weiter zunehmen, prophezeit Schneider.
Deutschlandradio Kultur: Über meinen heutigen Gast schrieb kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Für die einen ist er der Mann, der den Finger in die Wunde legt. Anderen geht er nur auf die Nerven." Die Rede ist von Ulrich Schneider, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Hallo, Herr Schneider, schön, dass Sie da sind.
Ulrich Schneider: Hallo.
Deutschlandradio Kultur: Herr Schneider, nicht jeder kennt den Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der jüngst erschienen ist, ein Bericht, der eine Kontroverse ausgelöst hat, die bis heute nachwirkt und über die wir natürlich auch in dieser Sendung sprechen werden. - Zunächst aber einmal die Frage: Was sagt der Armutsbericht Ihres Verbands, wie groß ist die denn, die Armut in Deutschland?
Ulrich Schneider: Wenn wir der Definition folgen, die die EU vorgibt, dann sind alle arm oder armutsgefährdet, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben. Dann sind es 15,5 Prozent heute. Das sind 12,5 Millionen Menschen, die dann in der Tat so wenig Einkommen haben, dass sie unter die Armutsgrenze fallen.
Aber natürlich muss man diese Zahl auch interpretieren.
Darunter sind beispielsweise viele Studenten, wenn nicht sogar alle Studenten, von denen wir wissen, die haben eine gute Ausbildung, die werden es schon zu was bringen. Dazwischen sind Menschen, die nur ganz kurzzeitig unter die Armutsgrenze fallen, aber Perspektiven haben. Und deswegen muss man auch immer die einzelne Lebenssituation sich anschauen.
Aber wenn wir sehen, dass in Deutschland die Zahl derer, die von Fürsorgeleistungen leben müssen, mittlerweile bei über acht Millionen liegt, also zehn Prozent auch ausmacht, dann zeigt das, dass diese Zahlen schon in einem Zusammenhang stehen, bei dem man von Armut sprechen muss.
Deutschlandradio Kultur: Welche Menschen beziehungsweise Gruppen von Menschen sind besonders armutsgefährdet?
"Dann ist Armut für Alleinerziehende fast so was wie die Regel geworden für viele"
Ulrich Schneider: In Deutschland sind es vor allen Dingen, und die stechen heraus, einmal die Erwerbslosen. Das sind weit über die Hälfte, die unter der Armutsschwelle leben, deshalb auch, weil viele auf Hartz IV angewiesen sind. Hartz IV aus unserer Sicht Armut ist. Das ist nicht ausreichend, was da gezahlt wird. Auch weil wir die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zusammengekürzt haben mit der Agenda 2010. Die Menschen fallen schneller ins Loch, schneller in Hartz IV.
Und daneben sind es aber vor allen Dingen - und das ist erschütternd, glaube ich - die Alleinerziehenden in Deutschland. Wenn wir anschauen, dass mittlerweile 39 Prozent der Alleinerziehenden in Hartz IV sind, ist das irre; eine irre Zahl, dass fast die Hälfte unter der Armutsschwelle lebt, dann ist mittlerweile Armut für Alleinerziehende fast so was wie die Regel geworden für viele. Und das ist schon sehr schwierig, zumal das Problem seit Jahren bekannt ist und offensichtlich sehr wenig dran getan wird.
Deutschlandradio Kultur: In welcher Risikogruppe nimmt denn die Zahl der Armen besonders zu?
Ulrich Schneider: Es sind die Rentnerinnen und Rentner. Wir haben – zum Glück, muss man sagen – heute noch bei den Rentnerinnen und Rentnern eine unterdurchschnittliche Armutsquote. Das heißt, denen geht's im Durchschnitt noch ganz gut, besser als dem Rest der Bevölkerung. Das ist so. Und deswegen wird das Thema auch immer runter gespielt: "Es gibt keine Altersarmut". Aber, das muss man sehen, es ist die Gruppe mit den allerhöchsten Zuwächsen. In den letzten Jahren hat sie galoppierend zugenommen, die Armut unter den Rentnerhaushalten, dass wir davon ausgehen müssen, dass bereits im Laufe dieses Jahres Rentner ebenfalls zu den Gruppen gehören werden, die überdurchschnittlich Armutsquoten aufweisen – mit wachsender Dynamik. Wir gehen davon aus, dass wir in etwa zehn, 15 Jahren fast eine Verdopplung der Altersarmut bei den Rentnern zur Kenntnis nehmen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Wo gibt es auffällig viel und wo besonders wenig Armut? Wo sind die regionalen Unterschiede festzumachen? Können Sie da Beispiele nennen?
Ulrich Schneider: Wir haben ein Süd-Nord-Gefälle.
Deutschlandradio Kultur: Also nicht mehr Ost-West?
Ulrich Schneider: Ost-West ist in der Tendenz auch noch da, aber eigentlich ist Deutschland, was Armutsrisiken anbelangt, regional ein Flickenteppich geworden. Wenn man sich eine Karte mal vor seinem geistigen Auge vorstellt und rote Punkte überall einfügt, wo die Armut besonders hoch ist, da ist das Ruhrgebiet beispielsweise mit deutlich höheren Armutsquoten über 19 Prozent besonders betroffen und hat mehr Arme als beispielsweise Thüringen oder Teile von Brandenburgs, etwa im Süden Brandenburgs. Und wir haben eine unheimlich starke Armutsquote in Bremen. Bremen hat die Rote Laterne in Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Und Bremerhaven noch mal schlimmer.
Ulrich Schneider: Bremerhaven ist noch schlimmer. Also, wenn in Deutschland immer etwa von Neukölln gesprochen wird durch die Literatur von Herrn Buschkowsky: Neukölln hat im Vergleich zu Bremerhaven tatsächlich noch eine bessere Armutsquote. Bremerhaven ist da ganz schlimm. Da sieht man auch, Ost-West allein trägt nicht mehr.
Die Länder, die positiv herausragen, die soll man erwähnen. Das ist Bayern, Baden-Württemberg, auch Teile von Hessen, die wirklich relativ wenig Armut zeigen. Und da, wo es also wirklich schlimm aussieht nach wie vor: Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, auch Sachsen. Das heißt, wir haben auch Osten, aber nicht mehr nur Osten.
"Im Armenhaus gibt es relativ keine Armut"
Deutschlandradio Kultur: Herr Schneider, Sie haben schon eingangs gesagt, nach welchem Kriterium Sie Armut oder relative Armut bemessen. Und an dieser Definition von Armut hat sich ja eine Kontroverse entzündet, die teilweise recht heftig geführt wurde und auch noch wird. Vergleichsweise moderat, aber eben doch gewichtig war die Einlassung von Bundessozialministerin Andrea Nahles. Wie auch andere stellte die Sozialdemokratin die Aussagekraft der Messmethode in Frage. Begründung: Diese führe in die Irre. Wenn der Wohlstand hierzulande explodieren würde, dann bliebe – getreulich der Definition – das Ausmaß an Armut trotzdem gleich, nur eben auf viel höherem Niveau.
Ist diese Messmethode wirklich ein geeigneter Indikator? Oder anders gefragt: Ist sie nicht zu simpel für solch ein komplexes Problem?
Ulrich Schneider: Man hat um diese Messmethode jahrelang gestritten auf der EU-Ebene. Ist sie tauglich, ist sie es nicht? Ob sie tauglich ist oder nicht, ob diese Ungleichheit, die sie ja eigentlich nur misst, noch keine Armut ist, ob die tatsächlich was über Armut aussagt, das muss dann jeweils bewertet werden anhand der konkreten Beträge in Euro, die da ausgewiesen werden.
Man muss sich also genau anschauen: 60 Prozent, was ist das überhaupt? Wo liegt die Armutsgefährdungsgrenze? Und wenn man sich das anschaut, dann sind das immer Werte, ich kann sie auch mal nennen: Das ist beispielsweise für einen Singlehaushalt 892 Euro oder für einen Paar-Haushalt mit zwei Kindern sind das 1.873 Euro. Das sind Werte, die immer um Hartz IV liegen. Also, je nach Mietkosten, die können sehr unterschiedlich sein je Region, ist man mal unter Hartz IV, mal nicht: Man würde mit diesen Beträgen noch Hartz IV beziehen. Oder man ist sogar dann tatsächlich knapp über Hartz IV. Wir haben es mal durchgerechnet. In der Tat, man ist mit diesen Beträgen nie weit weg, häufig aber auch unter Hartz IV.
Deswegen sagen wir in diesem konkreten Fall, und die Prüfung muss man allerdings schon machen, in diesem konkreten Fall sagt diese 60-Prozent-Schwelle etwas über Einkommensarmut aus, wenn man der Überzeugung ist, und das sind wir als Paritätischer Wohlfahrtsverband, dass Hartz IV nicht geeignet ist in der Höhe, Armut auszuschließen.
Und darum geht der eigentliche Streit auch mit der Arbeitsministerin. Sie weiß, wenn sie sich auf diese Messmethode einlässt, hat sie eine Regelsatzdiskussion über Hartz IV an den Hacken. Und das fürchtet sie wahrscheinlich wie der Teufel das Weihwasser.

Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
Die Armut in Deutschland nimmt zu© dpa / picture alliance / Paul Zinken
Deutschlandradio Kultur: Sie haben es eben im Nebensatz angedeutet; darf ich da nochmal nachhaken: Haben wir es dann tatsächlich eher mit einer Messmethode zu tun, die die Ungleichheit bemisst und weniger die Armut?
Ulrich Schneider: Ja. Es ist eine Messmethode, die fast ausschließlich auf Ungleichheit abzielt. Man kann zu absurden Ergebnissen kommen in der Tat mit dieser Messmethode, wenn man beispielsweise nur Bremerhaven messen würde. Man würde schauen, was haben diese Menschen in Bremerhaven an Einkommen. Dann würde man feststellen, wir haben keine Armut in Bremerhaven, wenn man Bremerhaven als einzigen Maßstab nimmt.
Mit anderen Worten: Im Armenhaus gibt es relativ keine Armut. Das ist das Paradoxe an dieser Messmethode.
Und auch hier ist ein Streit entfacht. Wir sagen: Ja, es kann nur das mindestdurchschnittliche Einkommen zählen, weil, laut Grundgesetz werden wir für gleichwertige Lebensverhältnisse von Bremerhaven bis München zu sorgen haben. Das ist ein zweiter Streitpunkt durchaus, aber den muss man politisch auch aushalten.
Deutschlandradio Kultur: Da kommen wir gleich nochmal drauf zurück. Zunächst einmal zurück zur Ministerin: Andrea Nahles stellt auch die Kernaussage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Frage, wonach die Armut in Deutschland einen historischen Höchststand erreicht habe. Auf diese Weise, so Nahles, verliere man den Blick für die wirklich Bedürftigen, wie etwa illegale Einwanderer.
Das klingt ein bisschen so, als wenn Sie, Herr Schneider, über nicht wirklich Bedürftige reden.
Ulrich Schneider: Ja, genau da wird jetzt der politische Streit ansetzen. Frau Nahles hat als Arbeitsministerin wie andere auch natürlich ein Interesse daran, die Armut möglichst klein zu rechnen. Denn wenn ich Armut akzeptiere als Politiker, dann akzeptiere ich einen Handlungsbedarf. Und dann habe ich schon eine Aufgabe definiert, nämlich Armut zu bekämpfen auch mit Geld, der Frau Nahles in dieser Koalition überhaupt nicht nachkommen kann. Diese Koalition hat Umverteilung in jeglicher Form ausgeschlossen, hat Steuererhöhungen zum Tabu erklärt. Woher will also Frau Nahles Geld nehmen, um Armut zu bekämpfen?
Das heißt, sie muss ein Interesse daran haben, sich – und das ist eine uralte rhetorische Figur in diesem Zusammenhang – auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren. So nennt sie es dann auch. Das heißt immer, alle anderen sind ja gar nicht wirklich bedürftig. Das ist ein politischer Trick, der ist mindestens so alt wie die Armutsdiskussion.
Deutschlandradio Kultur: Werden dann hier schlussendlich "gefühlte" Arme gegen "echte" Arme ausgespielt?
"Die Mietkosten sind in der Tat ein Riesenhammer"
Ulrich Schneider: Ja, auch das gab es in einem Kommentar zu diesem Armutsbericht: Unsere Zahlen würden nicht der gefühlten Realität entsprechen. Das hat mich so ein bisschen erinnert an Westerwelle mit seiner gefühlten Abgabenquote von 90 Prozent. Ich denke, da wird es skurril an einem bestimmten Punkt. Wir haben Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Statistik ist da, um uns zu helfen und entscheidungsfähig zu machen. Und die Gefühle der Kritiker in allen Ehren, aber sie sind, glaub ich, keine geeignete Grundlage für politisches Handeln.
Deutschlandradio Kultur: Haben wir hier ein bisschen auch den Kampf um die Deutungshoheit? Sie legen den Armutsbericht vor. Alle vier Jahre erscheint der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Er ist jetzt eigentlich überfällig und soll doch nun erst Ende 2016/ 2017 kommen. Schon beim letzten Mal 2013 gab es ja eine heftige Diskussion, weil im Bericht stand, die Schere zwischen Arm und Reich schließe sich langsam. Das haben Sie naturgemäß ganz anders gesehen.
Baut die Ministerin jetzt ein bisschen vor, um zu sagen, die übertreiben maßlos und ich weiß, wie es wirklich ist?
Ulrich Schneider: Ich denke mal, die Ministerin hat schon erkannt, wie brisant ein solcher Bericht ist. Das hatte auch Frau von der Leyen als ihre Vorgängerin erkannt. Nur hat sie es sehr offensiv genommen. Sie ist hingegangen und hat plötzlich selber eine Verteilungsdiskussion losgetreten zur Überraschung ihrer eigenen Fraktion und Ministerkollegen. Ich glaube, das wird Frau Nahles in dieser Koalition als Juniorpartner nicht tun können. Das heißt, sie wird sehr bedächtig vorgehen.
Und die ersten Äußerungen, die Sie auch zitierten von Frau Nahles, deuten schon darauf hin, dass es strategisch darum gehen wird, Deutschland darauf einzuschwören, dass es uns doch eigentlich ganz gut geht - das hatten wir auch schon unter Arbeitsminister Scholz, der hat den Armutsbericht unterschrieben mit den Worten "der Sozialstaat wirkt" – und uns dann mal so konzentrieren auf drei oder vier wirklich Bedürftige, illegale Einwanderer, die sie da benennt: Es ist wirklich in der Masse nicht das Riesenproblem, was wir haben.
Und so käme sie natürlich gut raus. Aber ich denke mal, der Armutsbericht wird so oder so eine Riesendiskussion wieder aufmachen. Dann wird man auch über diese Legislaturperiode hinaus Pflöcke setzen müssen über das, was in Deutschland zu geschehen hat.
Deutschlandradio Kultur: Herr Schneider, nochmal zurück zu den Zahlen: Bei einem Vierpersonenhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Lebensjahren, Sie sagten es, liegt die Grenze zur relativen Armut bei 1.873 Euro, wohlgemerkt einschließlich aller Transferleistungen. Also, da ist dann das Kindergeld schon drin, möglicherweise auch das Wohngeld usw. usf. Das kommt hier nicht on top oben drauf.
Mit knapp 1.900 Euro kann ich in der Lausitz oder in Ostfriesland bestimmt deutlich mehr anfangen als in München oder Hamburg, allein wenn man an die Mieten denkt. Macht es wirklich Sinn bei der Berechnung von Armut, die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Deutschland völlig außer Betracht zu lassen?
Ulrich Schneider: Die Lebenshaltungskosten für die Armen unterscheiden sich fast ausschließlich nur über die Mietkosten, über die Wohnkosten.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ja der Hammer, das nimmt ja etwa ein Drittel weg.
Ulrich Schneider: Ja, eben. Aber nur noch mal, um es deutlich zu machen, weil immer gesagt wird, da kann man viel billiger einkaufen und es schwebt den Leuten häufig vor, es ist nicht so, es wird beim Discounter gekauft. Wer nichts hat, dem kann es mathematisch und rechnerisch auch egal sein, ob man irgendwo – was weiß ich – sein Supersteak in einem Restaurant für 80 Euro essen kann oder irgendwo für 40. Er wird sich beides nicht leisten können. Beides drückt aber sehr unterschiedliche Lebenshaltungskosten einer Region aus. Deswegen muss man sehr genau schauen bei diesen Berechnungen, wofür gibt der Einzelne eigentlich sein Geld aus und wo kauft der ein. Das ist der Discounter. Und diese Preise sind in aller Regel flächendeckend gleich in Deutschland. Unabhängig von der Region werden Sie bei Aldi in dem einen Laden keine großen Preissprünge zum anderen Laden entdecken.
Die Mietkosten sind in der Tat ein Riesenhammer. Deswegen haben wir auch dieses verglichen in einzelnen Regionen stichprobenhaft, um zu schauen, wie drückt sich das aus. Die Mietkosten schlagen sich ja vor allen Dingen in den Berechnungen beim Hartz IV-Niveau sofort nieder. Alle bekommen den gleichen Regelsatz, als Erwachsene 399 Euro. Und dann kommen die Wohnkosten drauf. Und dann gibt es erhebliche Unterschiede. Und dann haben wir halt das, so dass wir sagten: Gut, diese vierköpfige Familie – von der Sie sprachen –, die hat wegen der unterschiedlichen Mietkosten etwa in der Nähe von Greifswald, wo die Mieten sehr günstig sind, dann 57 Euro über Hartz IV, also ganz knapp, aber eben dran, während man in Wiesbaden bereits schon 200 Euro in Hartz IV drin steckt.
Aber wir sagen, weil es sich alles um Hartz IV herum abspielt, macht es durchaus Sinn. Und ich schränke ein, solange wir keine bessere Messmethode haben, solange wir dies nicht können, so zu berechnen, wie wir es berechnen.
Deutschlandradio Kultur: Interessant war auch, ich konnte das jetzt nicht nachprüfen, aber ein Kollege schrieb: Würde man die regionalen Lohnverhältnisse berücksichtigen, was ja bei dieser Messmethode auch nicht getan wird, dann gäbe es in Dortmund beispielsweise deutlich weniger Armut, dafür aber in München doppelt so viel.
"Ruhrgebiet muss mit der gleichen Messlatte gerechnet werden wie München"
Ulrich Schneider: Das ist dieser Effekt, den ich vorhin kurz auf den Punkt brachte mit dem Armenhaus. Da gibt es keine Armut. Was Ihr Kollege meint, sind weniger die Lohnverhältnisse als vor allem die Einkommensverhältnisse. Wenn ich also einen Stadtteil habe, wo nur Hartz IV-Bezieher wohnen und alle das Gleiche haben, dann habe ich keine Abweichungen mehr und keine Unterschiede mehr, keine Ungleichheit mehr und nichts mehr, womit ich Armut messen kann. Das ist der statistische Effekt. Und so ist es tatsächlich. Wenn man nur das Ruhrgebiet berechnen würde, hätten die wahrscheinlich weniger Arbeit als beispielsweise München, weil in München die Spreizungen im Einkommen größer sind.
Wir sagen jedoch, das Ruhrgebiet muss trotzdem mit der gleichen Messlatte gerechnet werden wie München, weil wir in einem Land leben, weil wir alle die Verpflichtung haben, allen die gleichen Chancen zu geben.
Deutschlandradio Kultur: Was ja auch im Grundgesetz steht.
Ulrich Schneider: Was im Grundgesetz steht. Und wenn in Dortmund alle gleich wenig Geld haben, dann heißt das auch, alle haben gleich wenig Chancen sich zu verwirklichen, sich einzubringen, teilzuhaben, sich zu bilden, auch dafür braucht man Geld, nicht gleiche Chancen, sich gut zu ernähren, Kultur etc. Und dann kann ich nicht mehr sagen, nur weil in Dortmund keiner eine Chance hat, im Zweifelsfalle gibt's dort auch keine Armut. Das wäre absurd. Das wäre mathematisch begründbar, hätte aber mit politischem Handeln und Alltag nichts mehr zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Herr Schneider, Stichwort Dortmund, Sie kommen aus Oberhausen, in dem Zusammenhang eine persönliche Frage: Es ist ja bekannt, wer sich mit Ihnen beschäftigt hat, Sie sind nicht nur ein Kind des Ruhrgebiets, sondern Sie stammen aus kleinen Verhältnissen, wie viele im Ruhrgebiet. Es war immer nur wenig Geld da, obwohl die Eltern stets malocht haben.
Haben sich die Schneiders eigentlich damals arm gefühlt in dem Sinn, den wir hier besprechen?
Ulrich Schneider: Nein, wir haben uns nie arm gefühlt. Wir hatten nur kein Geld. Das hört sich lapidar an, aber es ist ein Riesenunterschied, in welcher Situation ich kein Geld habe. Mein Vater musste zum Teil zwei Jobs gleichzeitig machen. Also, er war bei der Wach- und Schließgesellschaft und tagsüber als Bierfahrer unterwegs, hatte immer nur vier, fünf Stunden Schlaf streckenweise, also war richtig Maloche. Und trotzdem hat's dann immer nur so kaum gereicht. Und die Wohnung war viel zu klein, streckenweise zweieinhalb Zimmer für vier Personen.
Deutschlandradio Kultur: Die Kinder mussten draußen spielen, weil der Alte mal schlafen muss.
Ulrich Schneider: Ja gut, das war im ganzen Ruhrgebiet aber so. Das kam durch die ganzen Schichtarbeiter ganz genau. Deswegen hat man im Ruhrgebiet auch viel auf der Straße zugebracht als Kind – war auch sehr angenehm.
Nein, aber der Punkt ist: Wir hatten alle Perspektive. Für uns war völlig klar, und mein Vater hat uns gepredigt, mach Realschulabschluss, dann kannst du ins Büro. Mach Abitur, dann kannst du sogar studieren. Und später kriegten wir mit, wenn ich studiert habe, dann habe ich garantiert mindestens BAT II. Und das stand wie in Stein gemeißelt. Und es war für uns sonnenklar. Wir haben wirklich gedacht, Freiheit der Berufswahl meint – also, als junge Kinder haben wir es gedacht – ich könnte den Beruf wählen, hätte ein Anrecht darauf.
Heute sieht das ganz anders aus. Die Perspektiven waren gut. Ich wurde ja in einer Zeit auch Jugendlicher dann, die war damals geprägt von der Politik Willy Brandts. Bafög wurde eingeführt, Studiengänge neu eingeführt.
Deutschlandradio Kultur: ...Sie sind Jahrgang 58.
Ulrich Schneider: Ich bin wirklich so ein Bildungsgewinner. Es wurde unheimlich viel für uns getan, für uns Arbeiterkinder, dass wir auch unsere Abschlüsse machen konnten. Das sieht heute ganz anders aus. Wenn man sich anschaut, dass Hartz IV-Bezieher zur Hälfte Langzeitbezieher sind, vier Jahre und länger im Bezug, das ist Perspektivlosigkeit pur, gerade auch für die Kinder. Und das ist der Unterschied, glaube ich, zu unserer Situation damals, kein Geld zu haben, mit der heutigen Situation, kein Geld zu haben und deshalb arm zu sein.
"Wir hatten eine Mehrheit für eine Umverteilung in Deutschland"
Deutschlandradio Kultur: Wenn man sich fragt, was sind denn die Ursachen der Armut, und das ist ja die ganz wesentliche Frage, dann stellt man zumindest einmal verwundert fest: Die Wirtschaft brummt. Es wird so kräftig konsumiert wie lange nicht mehr. Die Zahl der Arbeitslosen schrumpft.
Wachsender Wohlstand und wachsende Armut, wie passt das zusammen?
Ulrich Schneider: Das passt zusammen, wie es der Statistiker ausdrücken würde: Wenn jemand mit dem Kopf im Ofen liegt und mit den Füßen im Eisschrank, ist es trotzdem angenehm warm im Durchschnitt. Das ist genau der Punkt, um den es geht.
Wir haben einen von Jahr zu Jahr wachsenden volkswirtschaftlichen Reichtum in dieser Gesellschaft. Nur er verteilt sich sehr ungleich. Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass die Zuwächse vor allen Dingen bei den ohnehin schon sehr Vermögenden landen. Wir wissen, dass zehn Prozent der Vermögendsten in Deutschland mittlerweile auch über die Hälfte des Gesamtvermögens Deutschlands auf sich vereinen. Und die Tendenz dieser Spaltung steigt. Das heißt, es kommt prozentual betrachtet, relativ betrachtet immer weniger bei denen, die es bräuchten, an.
Das wird bei den Löhnen gerade zum Teil korrigiert. Aber auch hier muss man sehen, mit Ausnahme des Mindestlohnes, der eine gewisse Wirkung hat zweifellos, ist es so, dass insbesondere gut qualifizierte Berufe gute Lohnzuwächse haben, während schlecht qualifizierte nach wie vor rumdümpeln und im Zweifelsfall Reallohnverluste nach wie vor hinzunehmen haben.
Das ist aber auch im Sozialstaatlichen so. Wir haben Umverteilung in Deutschland mit dieser Großen Koalition zum Tabu erklärt. Es wird keine Steuererhöhungen geben. Wir werden sehen, dass auch bei der jetzt anstehenden Erbschaftssteuerreform kaum Nennenswertes rauskommen wird. Da bin ich eigentlich relativ überzeugt von. Es wird auf eine Vermögenssteuer verzichtet. Es wird auf eine Erhöhung der Einkommenssteuer verzichtet. Mit anderen Worten: Es wird kein Geld in die Hand genommen, um Umverteilung zu organisieren. Und die ist das A und O, wenn ich Armut bekämpfen will.
Ich meine damit nicht mal nur die Erhöhung von Hartz IV-Regelsätzen oder Ähnliches. Ich meine auch Infrastruktur. Es wird viel über Bildung gesprochen. Es wird viel über Kindergärten gesprochen. Es wird viel davon gesprochen, dass man Sonderprogramme bräuchte, etwa zur Unterstützung von Alleinerziehenden, etwa auch für Kinder in besonders sogenannten bildungsferneren Familien. Aber das alles kostet Milliarden. Und diese Milliarden werden nicht aufgebracht und sollen auch nicht aufgebracht werden, folgt man dieser Bundesregierung. Das ist für mich das Grundproblem der Armutsbekämpfung in Deutschland.

Eine Demonstrantin zeigt am 04.10.2014 in Berlin ein Schild mit der Aufschrift "Ich fordere: Mindestrente Euro 1250,-".
Vielen Menschen droht in Deutschland im Alter die Armut. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn Hoffnung, dass sich mittelbar an dieser Situation etwas ändern wird, dass also Sie oder auch andere erhört werden mit dem Wunsch, dass da über Steuern etwas umverteilt wird?
Ulrich Schneider: Wir müssen sehen, wir hatten im letzten Bundestagswahlkampf – und alle Umfragen, Meinungsumfragen in der Bevölkerung bestätigten das – eine Mehrheit für eine vernünftig begründete Umverteilung in Deutschland. Wir hatten eine Mehrheit dafür, dass man Steuern für sehr Reiche mit sehr guten Einkommen, sehr vermögende Menschen erhöht, auch Erbschaftssteuer erhöht, um davon diesen Sozialstaat besser zu finanzieren als er bisher finanziert ist.
Die Wahlen sind ausgegangen, wie sie ausgegangen sind. Die Koalition ist gekommen, wie sie gekommen ist. Damit war das Thema erstmal vom Tisch. Aber diese Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, die besteht nach wie vor. Und in sehr vielen Gesprächen mit sehr vielen Politikern auch aus Regierungsfraktionen nehme jetzt ich wahr, dass hier auch eine gewisse Unzufriedenheit herrscht, wenn es darum geht, etwa Programme für Langzeitarbeitslose aufzusetzen, die ja bitter notwendig wären. Dann bräuchte es nicht diesen Tropfen auf den heißen Stein. Dann bräuchte es wirklich durchgreifende Programme. Die kosten aber Milliarden.
Oder wenn es darum geht, dieses unsinnige Bildungs- und Teilhabepaket, sprich diese Zehn-Euro-Gutscheine für arme Kinder, zu ersetzen mit vernünftiger Infrastruktur, dann kostet das Milliarden.
"Diese Gesellschaft fällt zunehmend auseinander in Arm und Reich"
Deutschlandradio Kultur: ...die teilweise mit Essensgutscheinen verrechnet werden.
Ulrich Schneider: Ja, die werden dann verrechnet mit Essensgutscheinen. Es gibt ja die kuriosesten Dinge. Im Endeffekt wird das Geld gar nicht abgerufen, weil das alles viel zu verwaltungsaufwendig ist. Und es gibt viele Politiker, gerade auch in der SPD-Fraktion, die sagen, das müsste man alles reformieren. Das kostet Geld. Aber wir können ja nicht, wir hängen in dieser Koalition und dürfen über Steuererhöhung gar nicht sprechen. Ich weiß nicht, ob dies weitere vier Jahre tragen würde, diese Zwangsehe.
Deutschlandradio Kultur: Einer repräsentativen Umfrage zufolge glauben knapp 80 Prozent der Deutschen, die sozialen Unterschiede in Deutschland würden in den nächsten Jahren noch eher zunehmen.
Einmal angenommen, die Mehrheit hat Recht, welche Folgen sehen Sie dann für die Gesellschaft?
Ulrich Schneider: Diese Gesellschaft fällt ja jetzt schon zunehmend auseinander in Arm und Reich. Wenn man durch die Städte geht, springt einen das geradezu an. Wir haben Stadtteile wirklich mit Schicki-Micki-Cafés, Restaurants, die für mittleres Einkommen kaum noch bezahlbar sind. Wir haben die Tempel, da stehen diese neuen Tempel heutzutage von Banken, während auf der anderen Seite Massenkaufhäuser dicht machen müssen. Also, das sagt ja was aus.
Wir haben mittlerweile die Armutsvertreibung aus Stadtteilen, weil die Reichen dort einziehen wollen und sich die Wohnungen luxussanieren lassen. Das sind ja alles wirklich ganz handfeste Bewegungen, die man wahrnehmen muss, die diese Spaltung der Gesellschaft letztlich auf den Punkt bringen. Das wäre so eine der Konsequenzen. Diese Gesellschaft zerfällt weiter. Und, was noch schlimmer ist, es würde auch damit einhergehen, dass Jugendliche, und um die geht es vor allen Dingen, um Kinder, nach wie vor zu großer Zahl ohne hinreichende Perspektive bleiben. Und das ist, glaube ich, das Schlimmste, was uns passieren kann. Dann würden wir den Ast absägen, auf dem wir alle sitzen.
Deutschlandradio Kultur: Was glauben Sie, Herr Schneider, warum wird die Debatte über den Armutsbegriff - die wir ja jetzt hier auch miteinander nachvollzogen haben, warum wird die teilweise so verbissen und bisweilen sogar aggressiv geführt?
Ulrich Schneider: Sie wird sehr aggressiv geführt. Ich habe das selten erlebt, wenn wir einen Armutsbericht vorstellten, es wird jetzt streckenweise schon rumgepöbelt, also auch gegen meine Person, das war neu. Ich erkläre mir das dadurch, dass Armut ja immer eine Anklage darstellt.
Deutschlandradio Kultur: "Eure Armut kotzt mich an".
Ulrich Schneider: Einmal... aber unsere Armut heißt auch, wir müssen teilen. Es ist immer eine verborgene Anklage, wenn man diesen Begriff benutzt, einmal gegen die Reichen, die, die abgeben könnten, aber es nicht tun, und immer eine politische Kampfansage gegen eine Bundesregierung, die es möglicherweise unterlässt, etwas zu tun.
Je mehr die, die haben, die, die wirklich viel und gut haben und die auf der Sonnenseite sich aufhalten, feststellen, die haben ja eigentlich Recht, das ist in der Tat so, je stärker sie Tag für Tag die Augen verschließen müssen vor der Wirklichkeit, die auch sie umgibt auf dem Weg zur Arbeit oder sonst wohin, umso aggressiver wird tatsächlich auch der Abwehrreflex, der da plötzlich ausgelöst wird. Wenn man den Finger in die Wunde legt, wie Sie anfangs der Sendung sagten, dann fühlen sich halt immer mehr Leute immer mehr genervt.
"Ich bin es leid, den Neoliberalen die Rhetorik zu überlassen"
Deutschlandradio Kultur: In Ihrem jüngsten Buch mit dem Titel "Mehr Mensch! Gegen die Ökonomisierung des Sozialen" steht die Widmung gleich vorne, wo eine ja auch Widmung hingehört: "Für alle Gutmenschen, Bedenkenträger und Sozialromantiker."
Ist das jetzt Ironie oder Selbstironie oder sogar schon ein Stück Verbitterung? Verbitterung vielleicht deswegen, weil Sie eben auch oft so heftig angegangen werden, als Nervensäge bezeichnet werden, wenn Sie sich als Lobbyist der Armen in diese Rolle begeben?
Ulrich Schneider: Das ist praktisch das Umdrehen des Spießes. Also, ich bin es wirklich leid, den Neoliberalen die gesamte Rhetorik zu überlassen. Es ist eine hohe Kunst, wie Begriffe einfach immer gedreht werden. Die Menschen, die tatsächlich Güte haben, eigentlich eine Tugend, werden plötzlich als "Gutmenschen" diskreditiert, nämlich Phantasten, die sowieso nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Die Menschen, die nachdenklich sind, die vom Ende her denken, die auch möglicherweise auf Fehlentwicklungen hinweisen, werden plötzlich als "Bedenkenträger" diskreditiert, Menschen, die nicht mehr in die Zeit passen. Man denkt heute nicht mehr nach. Und die Menschen, die Gerechtigkeit einklagen, weil die Ungerechtigkeit einen schon anschreit, sind plötzlich Menschen, die eine Neiddebatte führen – so werden Begriffe einfach gedreht.
Und ich sage: Na gut, wenn wir die Begriffe haben, nehmen wir sie so, wie sie sind. Ich bin Gutmensch, klar, weil ich versuche gütig zu sein. Ich bin Bedenkenträger, weil ich versuche auch nachzudenken gelegentlich, vielleicht auch heutzutage hin und wieder ein Nachteil. Und im Zweifelsfalle stehe ich auch dazu, und ich führe Gerechtigkeitsdebatten, und ich wehre mich und kann das nur allen wirklich empfehlen, sich gegen diesen Orwellschen Sprachgebrauch zu wehren, wo Dinge einfach gedreht werden und Menschen letztlich diskreditiert werden sollen, im Zweifelsfalle die politischen Gegner. So geht das nicht. So spielen wir das Spiel nicht. Und da schlage ich im Zweifelsfall auch zurück – deswegen diese Widmung gleich am Anfang dieses Buches, wo es genau um diese Dinge geht.
Deutschlandradio Kultur: Sie beziehen in ihrem Buch Stellung gegen den "blinden Ökonomismus", der sich seit gut einem Vierteljahrhundert in Deutschland auch in der Sozialpolitik breit gemacht habe. Sie verwenden den Begriff der Menschenwürde, die unter die Räder komme. Und Sie verstehen Ihr Buch als Appell in dem Sinn, dass es höchste Zeit sei für eine echte Wertediskussion mit der Kernfrage: Was soll das Soziale hierzulande ausmachen.
Herr Schneider, ganz zum Schluss: Was soll das Soziale hierzulande ausmachen? Können Sie eine kurze Antwort geben?
Ulrich Schneider: Keiner darf abgehängt werden. Das ist das Schlimmste, wirklich das Gefühl zu haben, ich bin abgehängt. Und der Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen, kein Humankapital, keine Verwertungsmaschine, keine Arbeitskraft, sondern wirklich der Mensch mit all seinen Bedürfnissen. Wenn wir das zur Richtschnur unseres sozialpolitischen Handelns machen würden, dann kämen ganz andere Ergebnisse ganz automatisch heraus.
Deutschlandradio Kultur: Herr Schneider, ganz herzlichen Dank.

Ulrich Schneider, geboren 1958 in Oberhausen. Verheiratet, zwei Kinder. Studium der Erziehungswissenschaft an den Universitäten Bonn und Münster. Promotion an der Universität Münster. Erste berufliche Erfahrungen als Leiter eines Projekts mit Schwerpunkt Familienhilfe und Kinder- und Jugendarbeit in Münster. Danach beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, zunächst u.a. als Sozialwissenschaftlicher Referent, später als Geschäftsführer für die Bereiche Grundsatzfragen, Gremien und Kommunikation. Seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Verbands. Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Armut in Deutschland, Verantwortung des Sozialstaats und soziale Gerechtigkeit.

Literaturhinweis:
Ulrich Schneider: Mehr Mensch! Gegen die Ökonomisierung des Sozialen
Westend Verlag, Frankfurt a.M. 2014
160 Seiten, 13,99 Euro

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