Ulrich Seidls Film "Sparta"

Die Grenzen einer Inszenierungsmethode

05:32 Minuten
Ulrich Seidl
Gegen Regisseur Ulrich Seidl werden schwere Vorwürfe erhoben. © IMAGO / Independent Photo Agency Int. / Simone Comi / ipa-agency.net
Von Christian Berndt |
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Ulrich Seidls Film "Sparta" wurde beim Filmfestival Toronto aus dem Programm genommen. Der österreichische Filmemacher soll beim Dreh des Films in Rumänien minderjährige Darsteller unangemessen behandelt haben. Seidl weist die Vorwürfe zurück.
Ewald kommandiert spielerisch eine Horde von Jungs, die sich als römische Soldaten verkleidet haben - mit Rüstung, Helm und in Unterhosen. Die Szene stammt aus Ulrich Seidls neuem Spielfilm „Sparta“. Georg Friedrich spielt einen Österreicher, der nach Rumänien kommt, um ein Jugendcamp für Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen aufzubauen. Dabei entdeckt er seine verdrängten pädophilen Neigungen. Dem Regisseur des Films, Ulrich Seidl, wurden Anfang September im "Spiegel" schwere Verfehlungen beim Dreh vorgeworfen. Das Nachrichtenmagazin schreibt:

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„Nach Recherchen des SPIEGEL soll Seidl die minderjährigen Laiendarsteller, die zum Zeitpunkt des Drehs zwischen 9 und 16 Jahre alt waren, und ihre Eltern bewusst im Unklaren darüber gelassen haben, dass es in dem Film auch um Pädophilie geht. Bei den Dreharbeiten wurden sie offenbar ohne ausreichende Vorbereitung und angemessene Betreuung mit Alkoholismus, Gewalt und Nacktheit konfrontiert.“

Abgründe spielen sich nur im Kopf ab

Wegen dieser Vorwürfe hat das Filmfestival Toronto die geplante Weltpremiere von „Sparta“ abgesagt, San Sebastian aber hat den Film gezeigt, Seidl allerdings blieb der Premiere fern. Der "Spiegel" hat mit den Familien der minderjährigen Laiendarsteller in Rumänien und ehemaligen Mitarbeitern Seidls gesprochen. Auch der Leiter des Kulturressorts im österreichischen Nachrichtenmagazin "Profil", Stefan Grissemann, hat recherchiert:
„Meines Wissens und meinen Recherchen entsprechend hat er allen Familien durchaus gesagt, was in dem Film vorkommt, dass es ein Film ist, der von einem mitteljungen Mann handelt, der mit sich hadert, der ein dunkles Geheimnis hat, der sich zu Kindern hingezogen fühlt und mit denen Zeit verbringen will. Er hat natürlich nicht das Wort Pädophilie verwendet, er wollte es auch nicht so drastisch und dramatisch ausschildern, wie ich ihn verstehe, um die Leute auch nicht auf die falsche Fährte zu führen. Denn wenn man seinen Film sieht, das ist ein Film, wo sich das Abgründige nur im Kopf des Darstellers abspielt.“

Kinder aus schwierigen Familien retraumatisiert?

Es gibt im Film keine Szenen sexualisierter Gewalt mit Kindern. Aber trotzdem muss man den Kontext mitberücksichtigen, sagt der Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort, der Filmproduktionen mit Kinderdarstellern wie „Systemsprenger“ beraten hat:
„Die entscheidende Frage ist ja immer, selbst wenn das in der konkreten Situation für das Kind überhaupt keine Bedeutung hatte, ist es ja trotzdem ein Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, dass es in diesem Kontext aufgenommen und gezeigt wird.“
Seidl bemüht sich, die Vorwürfe zu entkräften, ist nach Rumänien gereist und hat den Familien den Film vorgeführt. Der Hauptvorwurf im "Spiegel"-Artikel richtet sich gegen die Art, wie Seidl mit den Kindern gearbeitet hat. Die Seidl-Produktion hätte Jungs aus schwierigen Familien ausgewählt und sie dann in Spielszenen, in denen es um Gewalt und Alkoholismus geht, bewusst retraumatisiert. Die eigene Lebenserfahrung seiner Laiendarsteller in ihre Filmrollen einfließen zu lassen, ist seit 40 Jahren Seidls Arbeitsmethode:
„Es gibt keine wirklichen Drehbücher, die er weiterzugeben hätte, auch das ist ja ein Punkt, den ihm viele vorwerfen: Dass er niemandem ein Drehbuch in die Hand drückt, das wird auch wieder als Geheimhaltung ausgewiesen. Aber de facto ist das natürlich auch Teil seiner Arbeitsweise, die darauf fußt, dass man vor Ort und am Schauplatz erst die wirklichen Entscheidungen trifft und dass dann, was immer passiert oder wie immer auch die Figuren drauf sind und welche Ideen die Improvisierenden im Spielen haben, dass das eingebaut werden kann. Also dass er alles noch mitreinnehmen will, was ihm die Wirklichkeit bietet und was ihm die Laiendarstellungen bieten.“

Seidl-Film gibt Anlass zur Diskussion

Seidls Protagonisten lassen sich auf dieses Entblößen ihrer intimsten Erfahrungen ein. Geraten diese Methoden, wie sie Seidl und andere Regisseure schon lange verwenden, bei Kinderdarstellern an ihre Grenzen? Können Kinder zwischen Realität und Rolle unterscheiden?
"Das ist nicht grundsätzlich problematisch, das hängt sehr davon ab, was für ein Kind es ist. Es gibt sehr resiliente Kinder, für die sozusagen die Begegnung persönlicher Themen oder persönlicher Szenen aus ihrem Familienleben nicht retraumatisierend sein muss. Da muss man auch ein bisschen vorsichtig sein, nicht jede Wiederbegegnung mit etwas, das einen im Leben belastet hat, ist automatisch retraumatisierend. Aber das muss man im Einzelfall immer prüfen."

Ethik-Boards für die Produktionen

Schulte-Markwort vermisst eine allgemeine Diskussion über das Thema. Wenn man das Kindeswohl ernst nehme, müsse man tatsächlich in Form von Ethik-Boards bei Produktionen konkret klären, was beim Dreh mit Kindern ethisch vertretbar ist. Viele Filmproduktionen unterschätzen diese Aufgabe:
„Wenn die sich dann entscheiden: Das öffentliche Interesse für dieses Thema ist so wichtig und wir können so viel Gutes, so viel helfen damit oder aufklären, wir sind bereit, die Belastung eines Kindes dafür in Kauf zu nehmen, dann kann das sein, dass ich das auch mittrage.“
Für solche Fälle sei psychologische Betreuung und Aufklärung der Kinder allerdings unabdingbar. Die Vorwürfe im Fall Seidl bieten, meint Schulte-Markwort, den idealen Anlass, um eine Diskussion zu diesem Thema anzustoßen.
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